Ich beobachte seit 1,5 Jahren #Querdenker-Telegramkanäle. Meine Einschätzung der aktuellen Lage: Noch nie standen die Zeichen so deutlich auf Gewalt wie jetzt.
Worauf wir uns meiner Meinung nach gefasst machen müssen – ein Thread.
TW: Tod, Gewalt (1/16)
1. Ausgangssituation
a) Die #Querdenker*innen, die sich jetzt noch in diesen Kanälen bewegen, haben in der Regel ein geschlossen verschwörungsideologisches Weltbild. Informationen von außerhalb der Blase dringen nicht mehr durch. Wer zweifelt, wird häufig ausgeschlossen. (2/16)
Relevant ist hier vor allem die Einstellung zur #Impfung: #Querdenker*innen gehen davon aus, dass diese den Tod zur Folge hat.
Ein Beispiel: Ich habe gestern die Sprachnachricht eines hustenden, jungen Mannes gehört, der nach eigener Aussage nicht mehr zu Ärzten geht. (3/16)
Das wohl traurigste Zitat: "Wenn ich sterbe, dann soll Gott mich holen. Und keine Impfung. Und niemand anderes. Deswegen, ich bin schon an so einem Punkt angekommen, wo ich sage: Wenn mit mir was ist, dann einfach liegen lassen."
Ähnliches begegnet mir zurzeit häufiger. (4/16)
b) Man kann sich jetzt vorstellen, was die Diskussion um eine #Impfpflicht in den #Querdenker-Kanälen auslöst. Wer hinter der Impfung eine "Giftspritze" oder "Todesspritze" vermutet, wird sich natürlich nicht impfen lassen wollen. Und mit aller Gewalt Widerstand leisten. (5/16)
c) Hinzu kommt allgemeine Frustration: Seit 1,5 Jahren ist man im "Widerstand" aktiv, auf der Straße, unterschreibt Petitionen, spendet, verbreitet Verschwörungserzählungen um Menschen die "Augen zu öffnen", bricht mit Freunden und Familie. (6/16)
Und doch sind die Menschen, die man hinter der angeblich geplanten Pandemie vermutet, nicht im Gefängnis, es gibt keine "Tribunale", nichts was die Köpfe der #Querdenker-Szene versprochen haben ist eingetreten. Durchhalteparolen verlieren an Wirkung. Es muss was passieren. (7/16)
d) Gleichzeitig glaubt man weiterhin, ein erheblicher Teil der Bevölkerung sei auf der Seite der #Querdenker*innen. Diese Wahrnehmung befeuern Bilder der Demonstrationen aus #Sachsen, aber auch die von Ausschreitungen in Nachbarländern oder beliebigen Protesten anderswo. (8/16)
2. Tötungsfantasien und Gewalt
a) Was schon länger, nun aber verstärkt diskutiert wird: Die Sinnhaftigkeit friedlicher Demonstrationen. Wenn sich doch nichts geändert hat in 1,5 Jahren, ist diese Protestform dann nicht ungeeignet um die Ziele der Bewegung zu erreichen? (9/16)
b) Die Alternative, die diskutiert wird: Gewalt. Ich stoße zurzeit häufig auf Gewalt- und Tötungsfantasien, teilweise mit konkret benannten Zielen. In öffentlichen Telegram-Kanälen. Wie sicher müssen #Querdenker*innen sich dort fühlen, um solche Beiträge abzusetzen? (10/16)
c) Das, was ich bei der Ausgangssituation angedeutet habe, macht die Umsetzung solcher Fantasien wahrscheinlicher: Wer glaubt, eine #Impfpflicht käme einem Todesurteil gleich, hat "nichts zu verlieren". Aus der Opferrolle wird eine Märtyrerrolle. (11/16)
d) Parallel dazu gibt es bereits reale Gewalttaten: Den Mord in #IdarOberstein. Angriffe auf Impfteams, Journalist*innen, Polizist*innen, Morddrohungen gegen Ärzt*innen, Politiker*innen und Expert*innen, Anschläge auf Impfzentren. Diese Taten haben Signalwirkung. (12/16)
3. Wo steuern wir hin?
Die Gewalt wird meiner Einschätzung nach weiter zunehmen.
a) Wir haben es hier mit einer radikalen, gewaltbereiten Minderheit mit geschlossenem verschwörungsideologischen Weltbild zu tun. Die das Gefühl hat, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. (13/16)
b) Die aktuelle #Corona-Notlage wird verschärfte Maßnahmen erfordern – #Lockdown, #Impflicht, #2GPlus oder andere. All diese Maßnahmen sind in der #Querdenker-Szene mit Ängsten verbunden und erhöhen den Handlungsdruck. Was nicht heißt, dass man sie nicht umsetzen sollte. (14/16)
c) Ja, es gibt Berufsgruppen und Einrichtungen, die durch #Querdenker*innen besonders gefährdet sind. Aber: Dieser Druck kann sich jederzeit entladen, die mögliche Gewalt sich gegen nahezu jeden richten. Das hat auch #IdarOberstein gezeigt. (15/16)
Ich fürchte, wir steuern nicht nur im Hinblick auf die Corona-Lage einem düsteren Winter entgegen – und habe mir noch nie so sehr gewünscht, dass ich mich irre.
(16/16) #Querdenker#Querdenken
Nachtrag: Wow, was ist hier passiert? Bitte entschuldigt, dass ich bei der Masse niemals alle Fragen in den Drukos und PNs beantworten können werde. Ich liege gerade krank zuhause rum und bin die Hälfte des Tages am schlafen.
Deshalb: hier Antworten zu den häufigsten Fragen 👇
1. Wie hältst du das aus?
Nun, erstmal hab ich mir das ausgesucht. Ich halte es für wichtig, über #Rechtsextremismus, #Reichsbürger, und eben auch die #Querdenker-Szene aufzuklären. Das ist kein Hobby, ich bin Journalist und werde dafür bezahlt. Und kann etwas bewirken.
Zu wissen, wofür ich das mache, hilft. Darüber reden hilft. Tolle Kolleg*innen, Freunde, Familie haben hilft. Unterstützung und Solidarität erfahren hilft. Und wenn es zu viel wird, helfen bewusste Pausen. 2. Von welchem Ausmaß sprechen wir?
Das in Zahlen zu fassen ist schwierig.
Wir sprechen hier von dutzenden Kanälen, die ich beobachte. Von hunderten, die es darüber hinaus noch gibt. Die Kanäle haben in der Regel mehrere hundert, oft mehrere tausend, teilweise mehrere zehntausend Mitglieder. Die sich natürlich teilweise stark überschneiden.
Wir sprechen hier pro Kanal von jeweils unterschiedlichen Radikalisierungsgraden der Mitglieder. Von der Ablehnung über die Duldung einer Diskussion über Gewalt als legitimies Mittel bis hin zur Äußerung konkreter Tötungsfantasien. Wer meint es ernst? Wer nicht?
Dazu kommen andere Effekt wie Gelegenheiten, Gruppendynamik, Vernetzung in verschlüsselten Einzelchats und so weiter. Ich kann daher wirklich keine seriösen Angaben zum Personenpotenzial machen. Ich kann nur auf die Gefahr hinweisen und darauf, dass ich sie für real halte.
3. Welche Kanäle sind das? Wo finde ich die Beiträge?
Ich werde hier öffentlich keine Kanalnamen nennen oder Kanäle verlinken, habe ich bisher nie getan. Es sei denn, sie gehörten zu sowieso bekannten Organisationen wie #Querdenken.
Warum? Weil ich nicht weiß, wer hier alles mitliest. Und weil ich nicht dazu beitragen will, dass gewaltbereite Menschen noch auf Gruppen hingewiesen werden, in denen sie Gleichgesinnte treffen können. 4. Ich bin Name12345 und möchte provozieren
Lass es bleiben, get a life.
Nachtrag 2: Meine Gedanken zur Radikalisierung der #Querdenker-Szene gibt es in überarbeiteter Form jetzt auch als Artikel bei @zvw_redaktion. Wer meine Arbeit mit einem (Probe-)Abo unterstützen möchte, den halte ich nicht davon ab: zvw.de/rems-murr-krei…
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Im Raum #Stuttgart ist ein erschreckender Trend zu beobachten: Keine 80 Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft fühlen sich Rechtsextremisten hier wieder sicher. Das hat auch mit dem Aufstieg der rechtsextremen AfD zu tun – ein Thread. (1/16)
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Beispiel 1: Die Neonazis vom "III. Weg" zeigten sich in der Region zuletzt ungewohnt aktiv. Schwerpunkt: #Winnenden und Umgebung. Am Wochenende hatten sie einen Stand auf dem Adlerplatz, mitten in der Stadt, das wäre noch vor eine Jahr undenkbar gewesen.
(2/16)
Die Neonazis hetzen gegen Asylunterkünfte, wandern in Militär-Optik durch den Wald, dokumentieren Wehrsportübungen und wagen sich dabei immer weiter aus der Deckung. Ein Treiber scheint der Partei-Nachwuchs (NRJ) zu sein. (3/16)
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Ich finde die Euphorie, mit der das Urteil zum AfD-Eklat in #Thüringen teilweise besprochen wird, befremdlich. Die ganze Posse war für niemanden außer die AfD ein Erfolg. Das Urteil war einkalkuliert. Die letzte Partei, die sich jetzt feiern sollte, ist die CDU. (1/3)
Wer sich mit der rechtsextremen AfD beschäftigt, kennt die Strategie längst. @akm0803 hat erst gestern wieder darauf hingewiesen. Die einzig wirklich gute Gegenstrategie: Der AfD erst gar nicht die Möglichkeit zur Inszenierung bieten. (2/3)
Und hier kommt die CDU ins Spiel. Die hat eine Änderung der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags vorab verhindert. Die Grünen hatten das vor. Jetzt haben CDU und BSW das selbst vorgeschlagen. Doch der Schaden ist bereits angerichtet. (3/3)
Weil das in der Kommentarspalte unterzugehen droht, mir aber am Herzen liegt: Das, was @polenz_r hier schreibt, ist aus meiner Sicht schlicht falsch. Und macht mich darüber hinaus richtig wütend.
Ich will kurz erklären warum. (1/7)
Ich kenne viele Kolleg*innen, die seit Jahren kontinuierlich und hartnäckig bei etablierten Medien über die Gefahr, die von der rechtsextremen AfD ausgeht, berichten. Für die Kolleg*innen hat das drastische Folgen – Beleidigungen, (Mord-)Drohungen, körperliche Angriffe. (2/7)
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt mit jemandem aus diesem Personenkreis ein längeres Gespräch geführt hätte, in dem es nicht irgendwann um die eigenen Sicherheitsvorkehrungen oder sicherheitsrelevante Vorfälle gegangen wäre. Warum erzähle ich das jetzt? (3/7)
In Thüringen ist eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft. Menschen erwägen, Deutschland zu verlassen. Man könnte meinen, das hätte niemand mitbekommen. Denn statt zu überlegen, wie man mit der Bedrohung durch die AfD umgeht, hilft man ihr noch. (1/15) zvw.de/meinung/angst-…
2018 hatte Horst Seehofer gesagt: „Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land“. Es war auch ein Versuch Seehofers, die CSU vor den Landtagswahlen in Bayern zu positionieren – und einen Wahlerfolg der AfD abzuwenden. (2/15) sueddeutsche.de/politik/horst-…
Der AfD-Wahlerfolg kam trotzdem. Als Reaktion darauf – man mag es heute kaum glauben – änderte die CSU ihre Strategie radikal. „Du kannst ein Stinktier nicht überstinken“, sagte der damalige CSU-Generalsekretär Markus Blume 2020 im „Zeit“-Interview. (3/15) zeit.de/2020/24/markus…
Die rechtsextreme AfD konnte noch im Herbst "vor Kraft kaum Laufen", wie mein Kollege Peter Schwarz treffend formulierte. Monate später ist aus dem Höhenflug ein andauernder Sinkflug geworden. Das äußert sich nicht nur in Umfragen. Kleine Analyse.
(1/8) zvw.de/baden-w%C3%BCr…
Die AfD verliert seit Wochen an Zustimmung. @ntvde hat am Dienstag Ergebnisse einer Forsa-Umfrage veröffentlicht, bei der die Partei nur noch bei 15 Prozent liegt. Auch wenn man bei Umfragen vorsichtig sein sollte, ist der Trend deutlich.
(2/8) n-tv.de/politik/AfD-ru…
Woran liegt das? Darauf gibt es keine klare Antwort, aber Ansatzpunkte.
Die Correctiv-"Geheimplan"-Recherche hat der AfD massiv geschadet. Die darauffolgenden Massendemos rüttelten an der Kern-Erzählung der AfD als Stimme der schweigenden Mehrheit.
(3/8) zvw.de/stuttgart-regi…
Der Unternehmer Hans-Ulrich Kopp aus #Stuttgart war nicht nur beim Geheimtreffen in Potsdam bei, er soll auch rechte bis rechtsextreme Medien mitfinanzieren. Damit ist er noch tiefer in die rechte Szene verstrickt, als bislang bekannt. Ein Thread.
Die Kolleg*innen des Spiegel haben kürzlich öffentlich gemacht, dass Kopp stiller Teilhaber beim rechtsextremen Compact-Magazin gewesen sein soll und es bei einer Tochtergesellschaft weiterhin ist. (Paywall)
Der Journalist @robertandreasch hat zudem herausgefunden, dass der Stuttgarter Unternehmer Kommanditist der Lichtschlag Medien und Werbung KG. Die gibt das neurechte Medium "Eigentümlich frei" heraus. Kopps Einlage laut Handelsregister: 35.000 Euro.