Thread by @zineworkshop

Aber eine Regierung von links

, die existiert nicht. Mit diesem kleinen Nepp in der Schlagzeile, zuerst die Erwartung, dann die Enttäuschung, zuerst das wohlverbreitete Argument der Partei linker Regierung, dann die Absage. Aber, ist das denn eine philosophische Fragestellung, die "linke Regierung"? Was hatte

der Philosoph damit gemeint? Hier die Passage, wie sie im Gespräch von Claire Parnet mit Gilles Deleuze unter dem Titel "Qu’est-ce qu’être de gauche?" ("Was beduetet es, links zu sein?") erschien – im Orig.

Französisch: "Je vais te dire: je pense qu’il n’y a pas de gouvernements de gauche. Là aussi, faut pas s’étonner : notre gouvernement qui devrait être un gouvernement de gauche et qui n’est pas un gouvernement de gauche... Ce n’est pas qu’il n’y ait pas de différences

entre les gouvernements... ."

Hier eine Übersetzung ins Englische: "Well, I will tell you that there can’t be any government from the left. It doesn’t mean that there is no differences between governments. The best we can hope for is a government that would be in favor of some of the left’s requirements

but a government from the left, that does not exist." Aber der Abschnitt geht noch weiter. Englisch:" It’s firstly a problem of perception. A problem of perception that is to say what is it not be 'from the left'."

Die Frage Claire Parnets, auf die Deleuze die Antwort gab, lautete (wiederum auf Englisch): "What is it to be 'from the left' for you?".

Hier alles auf Deutsch (Übers. WRKSHP, z.T. noch wortwörtlich) als Interview formatiert, wie der Originaltext:

Claire Parnet: Was beduetet es für dich, "von der Linken" zu sein?

Gilles Deleuze: Nun, ich will dir sagen, dass es keine Regierung von links geben kann. Das bedeutet nicht, dass es keine Unterschiede zwischen Regierungen geben könnte.

UND EIN STOP.

Das Interview wird 1988 geführt.

Was zeigt Wikipedia an zu "Frankreich 1988"?:

"Bei der Französischen Präsidentschaftswahl 1988 am 24. April und am 8. Mai 1988 stellte sich der 1981 gewählte französische Staatspräsident François Mitterrand zur Wiederwahl. Im zweiten Wahlgang konnte er sich gegen Jacques Chirac durchsetzen."

Der Philosoph spricht sehr wahrscheinlich unter dem Eindruck der "linken" oder "sozialistischen" Regierung Mitterands, welche die Erwartungen an sie nicht erfüllte. Wissenswert ist aber selbstverständlich auch, dass das Echo von 1968, dem in Frankreich besonders

massiv versuchten Sturz der Regierung (de Gaulles), gerade mal 20 Jahre andauert. Aber weiter im Text:

"Das Beste, das wir uns erhoffen können, ist eine Regierung, die für einige der linken Forderungen wäre, aber eine Regierung von links, die existiert nicht. Also

wie denifiert man, wie es ist, "links" zu sein, ich würde das in zwei Ansätzren ausdrücken."

1968 war in Frankreich weitaus mehr, als eine versuchte Revolution. Es war eine linke Revolution,... als Versuch?

Hier nochmal Deleuzes ganze Antwort auf Französisch: "Je vais te dire: je pense qu’il n’y a pas de gouvernements de gauche. Là aussi, faut pas s’étonner : notre gouvernement qui devrait être un gouvernement de

gauche et qui n’est pas un gouvernement de gauche... Ce n’est pas qu’il n’y ait pas de différences entre les gouvernements... Au mieux, ce qu’on peut espérer, c’est un gouvernement favorable à certaines exigences ou réclamations de la gauche. Mais un gouvernement de

gauche, ça n’existe pas, car que la gauche n’est pas affaire de gouvernement. Si on me disait : 'comment définir être de gauche'?. ou 'comment définir la gauche'?. Je le dirais de deux manières. Il y a deux façons." Die Frage lautete: "Et qu’est-ce que c’est "être

de gauche", pour toi ?"

Die Betonung liegt im Original also etwas anders, und der Text wird differenzierter, nämlich: "Ich sage Ihnen: Ich glaube, es gibt keine linken Regierungen. Da sollte man sich auch nicht wundern: Unsere Regierung, die

eine linke Regierung sein sollte und die keine linke Regierung ist ... Es ist nicht so, dass es keine Unterschiede zwischen den Regierungen gibt ... Wir können bestenfalls auf eine Regierung hoffen, für bestimmte Forderungen oder Forderungen von links.

Aber es gibt keine linke Regierung, weil es bei der Linken nicht um Regierung geht. Wenn mir jemand sagen würde: "Wie definiert man links sein?" oder "wie definiert man die linke Seite?"* Ich würde es auf zwei Arten formulieren. Es gibt zwei Möglichkeiten."

* Das Fragezeichen sollte auch im Orig.text (s.o.) als _im_ Zitat stehen, die Phrasen "was ist sei" und "linke Seite" als solche kenntlich machend.

Es ist also nicht so, dass der Philosoph nicht un-widersprüchlich antwortet. Es gibt und kann keine linken Regierungen geben – die Generalisierung, da Regierung (Regieren) nicht links ist – der Ausschluss linker Politik im bürgerlichen Staat. Die amtierende Regierung, die

Frankreichs 1988, ist keine linke, sollte jedoch eine sein – was der Generalisierung und der linken Politik widerspricht.

Über mehr soll an dieser Stelle nicht getextet werden. Der Philosoph argumentiert i.W. "kantianisch", legt bei dem was links sei sich auf kukturelle Unterschiede fest. Hier war wichtig zu sehen, zu lesen, wie der Philosoph das Wort "links" besetzt, was links sei in

eine Frage der Regierung/des Regierens hineinzieht, und damit eine, wenn auch philosophische, d.h. deskriptiv nachholende Quelle der Kritik des grundsätzlichen Widerspruchs der Partei einer Linken (links, von links) an der Regierung sein kann. Mehr nicht.

Das Zitat im Bild (s.o.) ist demnach falsch, weil gekürzt: Deleuze sagte nicht eindeutig, dass es keine linke Regierung geben kann, da er ja selbst widersprüchlich argumentiert. Paradox verhielte es sich mit einem abschließenden Syllogismus so: Links regieren ist nicht

Sache der Linken.

Xaver Schulz

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