Ich bin Lehrerin und kann dem Artikel im @Tagesspiegel leider nicht viel abgewinnen. Wer mich und die Arbeit von anderen Lehrer*innen in den letzen beiden Jahren aufmerksam beobachtet hat, wird sehen, dass es alles andere als einfach war.

Ein Blick in mein Alltag:

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#twlz
Alle Unzulänglichkeiten unseres Bildungssystems traten während der Pandemie besonders deutlich hervor: Fehlende #Digitalisierung, marode Schulen, fehlende Ausstattung mit Seife und Toilettenpapier, zu wenig Personal, zu volle Klassen.
Wir Lehrer*innen haben all dies aufgefangen, indem wir in den Ferien und am Wochenende gearbeitet haben, indem wir unsere privaten Endgeräte benutzt und uns mit Programmen für Videokonferenzen auseinandergesetzt haben, weil #BildungslandNRW dafür leider nach wie vor keine…
…Lösungen anbieten konnte.

Konkret sah mein Alltag während des Lockdowns so aus:

Videokonferenz mit Schüler*innen, Lehrer*innenkonferenz, Vorbereitung, Nachbereitung, Korrektur von Lernmaterialien, Telefonate mit Eltern, WhatsApp-Nachrichten von Schüler*innen, …
…einzelne Nachfragen, um zu erfahren warum man im Distanzunterricht nicht anwesend war, IT-Support wenn mal wieder was nicht funktioniert, über den Distanzunterricht hinaus Rede& Antwort stehen, wenn Schüler*innen etwas nicht verstanden haben, …
…Seelsorge, Ersatz für die beste Freundin, Entertainerin, Erfassen von Fehlzeiten, Weckdienst am frühen morgen, wenn einige mal wieder verschlafen haben, Erinnerung daran, dass noch Aufgaben eingereicht werden müssen...usw. Die Liste könnte ich noch beliebig fortsetzen!
Diesen Service habe ich nicht für eine einzelne Person geleistet, sondern für 28 Schüler*innen! Wenn zwischendurch mal Zeit war, habe ich mir einen Kaffee gegönnt.
Um mal mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass wir Lehrer*innen während der Schulschließungen zuhause gemütlich auf der Couch saßen: Nein, das taten wir nicht. Die Mehrheit der Videokonferenzen habe ich von meinem Klassenzimmer aus gestaltet.
Aber selbst die Tage, an denen ich von zuhause aus den Unterricht abhielt, lief nicht immer alles so wie es sollte: Nicht alle Schüler*innen waren imstande sich über die Online-Plattform der Schule für die Videokonferenzen anzumelden. Zwischenzeitliche Lösung:

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Parallele Zuschaltung über WhatsApp-Videocall.

In der Regel bedeutet der Distanzunterricht mehr Arbeit für Lehrer*innen, denn die Betreuung von 28 Schüler*innen ist extrem aufwändig und zeitintensiv.

Neben all dem organisatorischen Aufwand, kommt noch hinzu, dass ich…
…an einer sog. Brennpunktschule arbeite. D.b.: Meine Schüler*innen waren von der Pandemie noch viel stärker betroffen als viele andere, weil ihre Eltern keine Akademiker*innen sind und die Pandemie sie vor soziale und ökonomische Herausforderungen gestellt hat.
Einen großen Teil meiner Schüler*innen habe ich während der Pandemie nicht erreichen können. Die bearbeiteten AB waren unvollständig und fehlerhaft, weil zuhause und im Umfeld niemand da war, der ihnen helfen konnte. Erst im Präsenzunterricht habe ich gemerkt, dass…
…die Lernlücken z.T. so gravierend sind, dass ich zu Beginn schlicht und ergreifend überfordert war und es immer noch bin.

Hinzu kommen natürlich die ständig wechselnden Maßnahmen, unzureichenden Quarantäneregelungen, fehlende Luftfilter, Unterricht bei offenen…
…Fenstern, volle Klassen, in denen der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann und die Ungewissheit, mit der ich jeden Tag in die Schule gehe und meinen Unterricht abhalte. Ich bin ehrlich: Mittlerweile bin ich müde und merke das die beiden letzten Jahre nicht spurlos…
…an mir vorbeigegangen sind. Für all das was ich oder andere Lehrer*innen geleistet und auf die Beine gestellt haben gab es von der Politik keine Unterstützung. Stattdessen muss ich mir nach wie vor anhören, dass Schulen sichere Orte sind und von ihnen keine Gefahr ausgeht.
Die Journalist*innen vom @Tagesspiegel sollten sich vielleicht mal ein umfassendes Bild von der derzeitigen Situation machen, bevor sie Lehrer*innen dafür angehen, dass sie einen Lockdown dem Präsenzunterricht vorziehen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn Kolleg*innen…
…sich schützen möchten und nach zwei Jahren Pandemie erschöpft sind. Es ist ohnehin ein Wunder, dass wir bei all dem nicht schon resigniert und aufgegeben haben. Daher denke ich, dass Lehrer*innen für die bildungspolitischen Verfehlungen nicht als Sündenböcke herhalten sollten.
Der Thread war schnell nebenher getippt und enthält noch viele Lücken. Gerne hätte ich mehr erzählt. Liebe @Tagesspiegel-Redaktion, wenn ihr Interesse habt, kann ich gerne mehr aus meinem Alltag berichten& darüber schreiben, was ich von der aktuellen Politik halte.

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Hier geht es zur Meldung:

taz.de/Merz-bejubelt-…
@_FriedrichMerz glaubt tatsächlich, dass Clankriminalität und Migration die Ursachen für Rechtsradikalismus seien. Das war übrigens ein Statement, welches er ein paar Tage nach dem rassistischen Anschlag in #Hanau gab.

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m.tagesspiegel.de/politik/rassis…
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#60JahreAnwerbeabkommen

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