#Omikron kam, sah und besorgte.
Im Handumdrehen lieferte uns die Wissenschaft Daten, inwiefern die Impfung auch vor der neuen Variante schützen wird. Wie? Durch Neutralisationstests!
Aber was ist das eigentlich? 🧵 1/
Kurz und knapp: man infiziert im Labor Zellen in Anwesenheit von Antikörpern aus Blutseren von Geimpften und prüft, inwiefern sie die Infektion unterbinden können. Schwierig sich das vorzustellen? Wie genau läuft das denn ab? ⬇️ 2/
Zunächst verteile ich Zellen (die ich im Labor in einer Flasche hege und pflege) in eine Zellkulturplatte mit 96 kleinen Vertiefungen. Für den Wildtyp von SARS-CoV-2 eignen sich hier z.B. Vero-Zellen (Affennierenzellen). Unter dem 🔬 gezählt, in die Platte und anwachsen lassen 3/
Dann bereite ich die Antikörper vor: ich stelle aus Seren (der Teil des Blutes, in dem die Antikörper sind) eine Verdünnungsreihe her, sodass zu Beginn eine hohe Konzentration der Antikörper vorliegt, die im Verlauf abnimmt (z.B. von 1:20 bis zu einer Verdünnung von >1:5000) 4/
Zu jeder Verdünnungsstufe der Antikörper gebe ich dann eine definierte Menge Virus dazu (im Falle eines sog. „Live Virus Neutralization Tests“), unter hohen Sicherheitsbedingungen im S3-Labor. Die Virus-Antikörper-Mischung wird dann auf die Platte mit Zellen übertragen. 5/
Nun können die Viren fleißig die Zellen infizieren - AUSSER: sie werden neutralisiert! Durch anwesende neutralisierende Antikörper, die das Virus daran hindern, in die Zelle zu gelangen (z.B. durch Hemmung der Interaktion mit dem Eintrittsrezeptor auf der Zelle). 6/
Das wird i.d.R. auch passieren, bis die Verdünnung zu stark ist. Aber umso mehr und umso „bessere“ Antikörper vorliegen, desto stärker können sie verdünnt werden und noch neutralisieren. Die letzte Verdünnungsstufe, bei der gerade noch neutralisiert wird, ist der „Titer“. 7/
Und wie prüfe ich überhaupt, ob sie neutralisieren? Man schaut sich die Zellen an! Denen sieht man nämlich an, ob sie infiziert wurden - sie verändern ihre Struktur („zytopathische Effekte“). Vero-Zellen z.B. fangen an unter dem Mikroskop auszusehen wie kleine Reiskörner. 8/
Alternativ kann auch hier die PCR eingesetzt werden: werden Zellen infiziert, werden große Mengen Nachkommenvirus produziert und die Viruslast steigt an, was messbar ist. Haben die Antikörper in der jeweiligen Konzentration noch neutralisiert, fehlt dieser Viruslast-Anstieg. 9/
⬆️ geht nur mit „live virus“. Bei der Verwendung von sog. Pseudoviren (Gerüst eines harmlosen Virus fungiert als Träger für das Spike-Protein, bei Varianten mit jeweiligen Mutationen) erfolgt eine einmalige Infektion und die Auswertung der Neutralisation erfolgt optisch 🔬 10/
So oder so - man sieht, ob bzw. in welcher Konzentration die Antikörper vorliegen müssen, um eine Infektion der Zellen verhindern zu können. Erkennen die Antikörper das Spike-Protein nicht mehr so gut (#Omikron), dann galt hier: viel hilft viel ➡️ #boosterimpfung 11/
Aber: Laborbedingungen sind nicht 1:1 übertragbar - der wichtige Schutz vor schwerem Verlauf wird maßgeblich auch von anderen Teilen des Immunsystems mitbestimmt, den T-Zellen. Diese sind von Mutationen tendenziell weniger beeindruckt. 12/
Die Neutralisationstests geben aber wichtige erste Hinweise und erlauben eine Einschätzung. Immunität erfolgt jedoch nicht nach einem alles oder nichts-Prinzip.
Gut. So funktionieren jedenfalls Neutralisationstests.
13/13
Hier zwar schon ein älterer, aber sehr eindrücklicher Tweet, wie sichtbar die Virusinfektion der Zellen wirklich ist! Über erwähnte kleine Reiskörner zu komplett abgeräumtem Zellrasen (z.B. Delta VOC auf CaCo-2 Zellen). Der ganze Thread ist sehr anschaulich, auch > 1 Jahr später!
Da es gerade wieder oft um PCR-Testungen geht: wenn sich die „Test-Kapazitäten“ der „Volllast“ näheren oder „überlastet sind“, stehen dort übrigens ebenso überlastete Menschen dahinter wie überall sonst. Das klingt immer als wären schlicht die Plätze in Maschinen ausgereizt.
Mir fiel schon öfter auf, dass Menschen gar keine konkrete Vorstellung haben, was in einer virologischen Diagnostik z.B. an einem Uniklinikum läuft. Klar, vieles läuft automatisiert (ausgebaut durch Pandemie), aber natürlich arbeiten Menschen für diese Testungen!
Die Proben voller Nasenschleim, Gurgelwasser mit Brezelresten und jedweder vorstellbaren Körperflüssigkeit landen erstmal in menschlichen Händen.
Es zerschnippeln sich z.B. auch Hodenbiopsien von an COVID-Verstorbenen nicht von selbst, um auf Virus getestet zu werden können.
Wieder einen Artikel gesehen, der ohne Einordnung über die fragwürdige Studie berichtet, die Aussagen zu Long COVID auf Nachweisbarkeit von Antikörpern stützte: deshalb ein paar (viele, ups) Worte ganz konkret zur veränderten Antikörperantwort bei #LongCovid bzw. #PostCovid 🧵
Vorab: einen solchen Thread kann man auch über weitere immunologische Unterschiede bei Betroffenen oder über neurologische (⬇️) oder zig andere Befunde. Um aber nicht in purer Informationsflut zu enden, hier Beispiele (natürlich unvollständig) spezifisch zum Antikörper-Aspekt: 1/
Alle sprechen pandemiebedingt über Antikörper, aber wiederholen wir kurz, was das überhaupt ist: Antikörper = „Immunglobuline“ (Ig), Proteine aus verschiedenen Klassen. So ist zB Klasse IgA auf den Schleimhäuten die (kurzlebige) vorderste Front (wie Türsteher an der Pforte). 2/
Dass #falsebalance die emotionale Haltung mitlenkt, merke ich an mir selbst als Mini-Modellorganismus. Ich lese hier tolle Kommunikation mit riesiger Resonanz ➡️ Freude! Stolpere ich über EINEN Schwurbeltweet, werde ich frustriert. Und beide Gefühle nehmen gleichermaßen Raum ein.
Und das, obwohl ich mich in einer wissenschaftlichen Bubble befinde und diese rein quantitativ viel präsenter ist - anders als beim Problem des medialen False Balancing. Auch wenn ich mir darüber bewusst bin, bestimmt es meine Gefühlswelt zur Gesamtsituation ebenbürtig mit.
Ich kann das dann sicherlich eigenständig wieder in den richtigen Kontext setzen, aber wie mag das erst sein, wenn man sich mit der Existenz dieser Dynamik rational gar nicht auseinandersetzt oder sich ihrer eben nicht bewusst ist?
Eines der wohl größten Missverständnisse. „Selten“ ruft bei vielen eine Assoziation zum Faktor Zeit hervor, bei „seltenen“ Nebenwirkungen von Impfungen ist jedoch der kritische Faktor nicht Zeit, sondern: Masse.
Beispiel: ich möchte prüfen, in wie vielen Wassermelonen, die „kernlos“ sein sollten, eben doch Kerne drin sind. Im Winter gibt es sie kaum zu kaufen - bis ich an genügend Wassermelonen rankomme, um eine aussagekräftige Anzahl an kernhaltigen Melonen zu finden, brauche ich ewig.
Im Sommer allerdings gibt es überall massig Wassermelonen zu kaufen. Ich habe die gleiche Anzahl an Wassermelonen in wenigen Tagen prüfen können, für die ich bei geringem Melonenaufkommen durch begrenztes Winter-Angebot bestimmt 10 komplette Winter gebraucht hätte.
Was ist der Unterschied zwischen #LongCovid und dem Post-COVID-Syndrom? Wer sind die Betroffenen und wie viele sind es? Wieso sind Zahlen aus Prävalenzstudien mit Vorsicht zu genießen? Ein kleiner Überblick: 1/
Ganz prinzipiell: Die akute Phase von COVID-19 kann bis zu 4 Wochen bestehen. Long COVID beschreibt anhaltende Symptome >4 Wochen, vom Post-COVID-Syndrom wird ab 12 Wochen gesprochen. "Post-COVID" vermittelt gut, dass NACH der Infektion ein chron. Erkrankungsbild entsteht, 2/
während "Long" evtl suggeriert, die Erkrankung ziehe sich halt bisschen. Eine Viruspersistenz ist definitiv relevant, z.B. wurde in Darmbiopsien asymptom. Infizierter noch nach 4 Monaten virales Erbgut & Immunoreaktivität nachgewiesen. Nicht nur dort: 3/
Bin nicht sicher, was ich mit diesem kleinen wissenschaftsaffinen Account jemals bezwecken kann. Sicher bin ich aber, dass über Wissenschaft zu sprechen nicht in der Mehrheit denen überlassen werden sollte, die sie leugnen. Also schreibe ich hier eben Zeug hin. Yeah Wissenschaft!
Auch bin ich der festen Überzeugung, dass Wissenschaft dadurch ein Gesicht gegeben werden kann, indem Menschen erzählen, was #Wissenschaftganzkonkret bedeutet. Wie läuft ein Experiment konkret ab, über dessen Ergebnis pandemiebedingt alle sprechen?