„Sobald ihr nicht den Palästinensern Ruhe gibt, geben wir euch keine Ruhe“, schrieben unbekannte Täter, die am 17. Mai 2010 an acht Stellen der Synagoge in Worms Feuer legten. In Rheinland-Pfalz.
Weil es ja angeblich keinen israelbezogenen Antisemitismus gibt: ein Thread ⬇️
In Essen im Ruhrgebiet überfiel ein Mob die Synagoge, fünfzig Männer versuchten sie am 7. Oktober 2000 zu erstürmen, kletterten über Zäune, warfen Scheiben ein, feuerten eine Gaspistole ab. Sie kamen von einer Demonstration gegen „Gewalt im Westjordanland“.
In Frankfurt am Main rief Ende Juni 2014 ein Mann bei einem Rabbiner an und drohte, er werde dreißig jüdische Menschen aus der Stadt ermorden, falls seiner Familie in Gaza etwas zustoßen sollte.
In Wuppertal schleuderten Täter zur selben Zeit Brandsätze auf die Synagoge. Der Richter zeigte hinterher Verständnis, weil die Täter „ein Zeichen gegen die israelische Politik“ hätten setzen wollen, und griff mit dieser Begründung zu mildesten Strafen.
Es ist ein Zusammenhang, der sich seit Jahren beobachten lässt: Die antisemitische Aggression in Deutschland folgt Wellenbewegungen. Immer wenn der israelisch-palästinensische Konflikt aufflammt, geht es besonders stark hoch.
Dass Jüdinnen und Juden hierzulande dann nicht unbedingt mit der uneingeschränkten Schutz des deutschen Rechtsstaats rechnen können, weil man sich ja nicht einmischen wolle in das komplizierte Nahost-Thema und Kritik doch erlaubt sein müsse…
…dafür gibt es traurige, nein empörende Beispiele aus den vergangenen Jahren zuhauf, ich habe in meinem Buch „Terror gegen Juden“ @berlinverlag im vergangenen Jahr ein ganzes Kapitel dazu geschrieben.
Wichtig ist: Der Grund, weshalb jemand die israelische Politik verurteilt, mag gut oder schlecht sein, er mag auf höchsten Menschenrechtsidealen beruhen oder auf niedrigsten Ressentiments. Oder manchmal auf beiden.
Der Grund aber, weshalb jemand dafür Juden an irgendeinem Ort der Erde in Mithaftung nimmt und „bezahlen lässt“, ist immer nur: weil es halt Juden sind.
Wer hierzulande eine Moschee attackieren und behaupten würde, er protestiere damit bloß gegen die Politik Erdogans, der könnte kaum mit einem Richter rechnen, der dies als „Türkeikritik“ abtut.
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Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen Attila Hildmann einen Haftbefehl erlassen, wie @derspiegel berichtet. Bei aller Abneigung, ist U-Haft hier verhältnismäßig?
Ich meine Ja. Here’s why:
Seit Sommer 2020 feuert Hildmann verbal aus allen Rohren, schwadroniert von Weltverschwörung, hetzt gegen @Volker_Beck und immer wieder gegen Juden. Zuletzt: Deutschland sei eine „Judenrepublik“, Deutsche hätten „nichts zu melden“.
Das alles sind keine schweren Straftaten nach dem Strafgesetzbuch. Es steht *keine* lange Gefängnisstrafe im Raum. Es geht um Äußerungsdelikte. Manches dürfte, obwohl unerträglich, auch legal sein.
Thread. Abscheuliche „Ehrenmorde“ wie jener an #HatunSürücü vor 16 Jahren sind anfangs, das gehört leider zur Wahrheit, von deutschen Gerichten mit „Verständnis“ behandelt worden.
Bis 1995 hatten deutsche Gerichte für den Verweis ausländischer Täter darauf, die gewaltsame Unterdrückung weiblicher Familienmitglieder habe Tradition (bzw. sei von Tradition „geboten“), Akzeptanz aufgebracht…
…und in der Folge bei manchem „Ehrenmord“ nur auf Totschlag erkannt (statt Mord). Erst seit 1995 beantwortet der BGH die Frage, ob der Ehrenmord zumindest objektiv auf „sittlich niedrigster Stufe“ stehe (mit der Folge: Mord), mit Ja.
Ich habe gestern darüber nachgedacht, warum in der jüdischen Gemeinde von Erlangen/Nürnberg der antisemitische Doppelmord von 1980 fast 40 Jahre lang kaum thematisiert worden ist. Ich bin da aufgewachsen, aber die Tat wurde in meiner ganzen Jugend nie erwähnt. 1/
Meine Eltern hatten die Mordopfer Shlomo Lewin und Frida Poeschke gekannt, sie waren öfter bei ihnen zu Hause. Der Kantor, Baruch Grabowski, der mich 1996 auf meine Bar Mitzwa vorbereitete, war einer derjenigen, die von der Polizei fälschlich der Tat verdächtigt wurden. 2/
Die vielen Gemeindemitglieder, die sich anfangs gegen Verdächtigungen der Polizei wehren mussten, lernte ich als Eltern und Großeltern meiner Freunde kennen. Aber erst als Erwachsener habe ich auf Umwegen von diesem Doppelmord erfahren und Fragen gestellt. 3/
Warum sollte #Inzest entkriminalisiert werden? Warum ist das Inzestverbot in Paragraf 173 StGB wirklich ein Problem für diesen Rechtsstaat und diese Gesellschaft? Ein Thread 1/
Die Aufhebung der Strafbarkeit einverständlichen Inzests im Jahr 1810 in 🇫🇷 markierte nicht etwa den Rückfall der Franzosen in dunkle Vorzeit, sondern 1 Schritt hin zur Aufklärung: Wo niemandem Unrecht angetan wird, da gibt es für eine Gesellschaft auch nichts zu bestrafen. 2/
Das ist das Grundprinzip säkularen Strafrechts. Wer den „einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Geschwistern“, wie das Bundesverfassungsgericht den Inzest definiert, verbieten will, kommt also nicht umhin zu sagen, worin dabei das „Unrecht“ bestehen soll. 3/
„Je suis Meinungsfreiheit“? In Sachen #Religionskritik steht das deutsche Recht übrigens keineswegs klar auf Seiten der Aufklärung. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, den #Gotteslästerung-Paragrafen abzuschaffen. Thread 1/
Zu Zeiten Tucholskys, der 1928 wegen seines Gedichts „Gesang der englischen Chorknaben” angeklagt wurde, hieß die Strafvorschrift noch offiziell „Gotteslästerung”. Heute, in modernisierter Form, „Beschimpfung von Bekenntnissen“, § 166 StGB. 2/
Es macht sich strafbar, wer „den Inhalt des religiösen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören”. Und das ist das Problem: 3/
Als Jurist*innen beobachten wir, wie viel Geländegewinn den Völkischen, Antisemit*innen & Neonazis zuletzt gegenüber dem Rechtsstaat gelungen ist.
Am 28.10. starten wir gemeinsam etwas dagegen.
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Der Report „Recht gegen Rechts“, veröffentlicht im Fischer Verlag, dokumentiert u analysiert die wichtigsten Urteile und StA-Entscheidungen des Jahres zu #Rassismus, #Antisemitismus, #LGBTIQ-Feindlichkeit, #HateSpeech - verständlich & mit Literaturtipps 2/