#krisenmanagement und #Hochwasser:
Der @derspiegel rekonstruiert erschütternd präzise und detailliert aus dem Krisenstab die Ereignisse im Ahrtal.
Den Artikel muss man lesen und sich danach mal kurz hinsetzen und das sacken lassen.
spiegel.de/panorama/gesel…
@derspiegel Ich versuche mal, zu dem Artikel noch einige Bemerkungen und Kommentare hinzuzufügen. Ein Thread aus Sicht #Krisenstab und #Krisenmanagement im #Bevölkerungsschutz:
@derspiegel Der Artikel stellt sehr gut dar, dass es sich nicht nur um menschliches Versagen einzelner Akteure handelt, sondern um ein systembedingtes Versagen unseres Aufbaus im #Krisenmanagement im #Bevölkerungsschutz.
@derspiegel Hier hat ein Landrat die unliebsame und unattraktive Aufgabe der #Gefahrenabwehr und #Bevölkerungsschutz per Generaldelegation an den Kreisbrandinspekteur vergeben - und zwar über Jahre. Krisenmanagement ist aber Chefsache und nicht nur und vor allem im Einsatzfalle.
Mit einer Wegdelegation des Krisenmanagements geht aber auch die Aufmerksamkeit und Vorsorge im Normalbetrieb und die Entscheidungskompetenz im Einsatzfalle verloren.
Das Präventionsparadox des #Bevölkerungsschutzes hat hier zugeschlagen: #Vorsorge ist finanzintensiv, unattraktiv und bringt wenig Wählerstimmen.
Dazu kommt, dass das Führungssystem im #Bevölkerungsschutz im Kern aus den 1970ern mit einem Update aus den 1990ern stammt:
Meldungen fließen zäh nach oben, Informationen werden analog sortiert, es erfolgen teil längere Abstimmungsprozesse, Aufgabennachhaltung ist problematisch.
Dazu kommt ein ausgeprägtes Traditionsbewusstsein im Hinblick auf Behördenabläufe, 4-Fach-Vordrucke und analoges Arbeiten.
Das ist alles nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen grade im Bevölkerungsschutz für dynamische Lagen:
- automatisierte, georeferenzierte Verarbeitung von Daten
- schnellere Entscheidungsprozesse
- vernetzte Führung über Ebenen hinweg.
- Ein Update der Dienstvorschrift 100: Führen und Leiten im Einsatz
"Er habe Unruhe vermeiden wollen" Auch müssen wir uns im Bevölkerungsschutz von dem leisetreterischen, maximal unauffälligen Ansatz in der Bürgerkommunikation verabschieden. Wenn Gefahren drohen, dann müssen wir die Bevölkerung klar und effektiv mit Handlungsanweisungen versorgen
Das Unterlassen von Warnungen oder Handlungen, um Bürger nicht zu verunsichern, führt zu einer Ausweitung der Lage, größeren Auswirkungen und verlorenen Menschenleben.
Hier brauchen wir einen klaren Kulturwandel im deutschen Bevölkerungsschutz.
Kleiner Exkurs in Richtung #Krisenstab & #Fernmeldestelle: Im Artikel wird in dieser Grafik der reale Aufbau und Personalansatz dargestellt. Dieser weicht nicht nur von Standards ab, sondern ist auch dramatisch un- oder unterbesetzt interactive.spiegel.de/gra/ai2html/de…
Eine Fernmeldezentrale mit 2 Funkern ist in dieser Form völlig überfordert, da jegliche Meldung händisch bearbeitet werden und kaum Informationen automatisiert ausgetauscht werden.
"Informationen der im Landkreis eingesetzten Feuerwehren aufnehmen, auf einen Meldezettel mit vier Durchschlägen schreiben, in die Durchreiche legen und klopfen, damit jemand sie abholt und verteilt." Das ist Stand der Technik im #Bevölkerungsschutz
Wir müssen Krisenstäbe neu denken und auch räumlich geeignet aufstellen. Ein Krisenstab gehört in einen an die Leitstelle angrenzenden Raum, mit einer adäquaten Fernmeldezentrale besetzt und eng an die Leitstelle angebunden.
Stabile TK und Mobilfunkverbindung gehören dazu!
Eine unbesetzte Stabsfunktion S5 ist in jeder Lage mittlerweile als fahrlässig zu bewerten. Hier ist in jedem Falle zu prüfen, ob dies aufgrund einer mangelhaften Vorplanung oder im Einsatzfalle bedingt war. Zu jedem Krisenstab gehört ein VOST, angebunden an S2 und S5.
Zu d Zeitpunkt, wo Fototermin im Krisenstab stattfand, waren:
- Videos im Netz, die die Dramatik der Lage deutlich zeigten
- Menschenrettung mit untauglichen Hubschrauber durchgeführt
- Telefonische Bitten zur Ausrufung des KatS-Falles
eingegangen. Alle diese Infos lagen vor!
Schwer im Magen liegt auch die Unwilligkeit, vor die Lage zu kommen. Die ersten Todesfälle flußaufwärts wären vermutlich schwer zu verhindern gewesen - aber im Zeitrahmen von 7 Stunden die flußabwärts gelegenen Gebiete nicht zu evakuieren ist... Puh.
Ein elementares Problem ist, dass überstellte Stäbe überhaupt keine Möglichkeit haben, in überforderte, dysfunktionale Stäbe einzugreifen. Zunächst einmal wird der überforderte Stab 'still' - es fließen wenig oder unzutreffende Lagemeldungen nach oben ab.
Ein überstellter Stab hat daher wenig Möglichkeit, zu reagieren und vor die Lage zu kommen. Daher müssen Bundesländer
- Landesleitstellen aufbauen, die unterstellte Leitstellen monitoren und "Load-Balancing" betreiben können
- mobile Führungsstäbe in überforderte Stäbe senden
- Zuständigkeiten von Gebietskörperschaften im Einsatzfalle neu aufteilen. Eine besonders betroffene Gebietskörperschaft könnte z.B. den unteren Flussabschnitt gezielt an das Land abgeben.
Wir brauchen auch Fail-Safe Regelungen im Bereich #Bevölkerungsschutz:
Bisher werden Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) nur auf Anforderung tätig. Kernproblem war aber, dass Krisenstäbe gar nicht mehr befähigt waren, konkrete Anforderungen zu beschreiben.
Daher muss es in Zukunft Regeln geben: Wenn überstellte Krisenstäbe nicht mehr erreichbar sind, so gilt der Katastrophenfall als festgestellt und Maßnahmen sind im eigenen Ermessen, Zuständigkeit und Fähigkeit zu treffen.
Der Irrglaube, dass von 'oben' eine kohärente und zielführende Krisenbewältigungsstrategie mit klaren Warnungen und Aufträgen erfolgt, hat in der Lage Menschenleben gekostet und in den Tagen danach Hilfsmaßnahmen verhindert.
Ergänzung in Referenz auf diesen Tweet:
Es gibt eine Tendenz zur Verrechtlichung unserer Gesellschaft und des Bevölkerungsschutzes.
Maßnahmen werden neben möglichen politischen, finanziellen auch auf mögliche rechtliche Auswirkungen „geprüft“.
Während im amerikanischen Incident-Command-System (ICS) mittlerweile oft ein professioneller „legal Officer“ anzutreffen ist, sind im deutschen System Stabsfunktionen „Finanzen“, „Legal“ oder „Politik“ nicht vertreten. en.m.wikipedia.org/wiki/Incident_…
Entsprechende Überlegungen und Entscheidungen müssen aber dennoch getroffen werden - zB beim S3 Einsatz oder Leiter des Stabes. Dort binden diese Überlegungen eh schon knappe Ressourcen. Besitzt der Leiter des Stabes nicht ausreichend politische Prokura, tritt eine Blockade ein.
Diese Blockade wird im Artikel prägnant beschrieben. 17 mal gab es telefonische Kontakte zwischen Landrat und Stab. Mit dem Resultat, dass beispielsweise die formale Ausrufung des Katastrophenfalles um fünf Stunden verzögert wurde.
Problematisch ist die Verharrungsträgheit im Normalbetrieb mit dem Unwillen, Krisenregelungen in Kraft zu setzen. Krisen können nicht im Normalbetrieb mit dessen Regeln und Normen bewältigt werden. Ein gutes Beispiel ist die Menschenrettung aus dem Hubschrauber mit Feuerwehrleine
Im Normalbetrieb undenkbar, in der Krise ein wertvoller Beitrag zur Bewältigung.
Im Normalbetrieb besteht daher mentale Schere (siehe Tweet) zwischen dem was rechtlich erlaubt und einsatztaktisch erforderlich ist. Diese Schere müssen wir in Krisen definiert abwerfen können.
Es wundert mich nicht, dass der Landrat - von Hause aus Jurist - eine rechtszentrierte Betrachtung pflegt und sich auf die im Artikel beschriebene Verteidigungshaltung beruft.

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13 Jan
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