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Mar 4 36 tweets 15 min read
Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine überschlagen sich hierzulande die Bekundungen, man müsse jetzt endlich ganz schnell #LNG-Terminals in Deutschland bauen. Alle möglichen Faktoren werden durcheinandergeworfen. Also: Jetzt mal ganz in Ruhe & ausführlich. (🧵) 1/x
Geplant sind aktuell Terminals in Stade & Brunsbüttel. Uniper prüft zudem die Wiederaufnahme seiner Pläne in Wilhelmshaven, wo das Unternehmen außerdem ein Terminal für den Import von Ammoniak errichten möchte. Dort möchte TES zudem ein Terminal für synthetisches LNG errichten.
Man möchte also einspringen & einen Beitrag zur Unabhängigkeit von rus. Gas leisten. Lassen wir mal beiseite, dass wir uns via #LNG abhängig von anderen menschenrechtsverletzenden Staaten machen & dass RUS selbst ein großer #LNG-Exporteur ist, über den man ggf. weiter Gas bezieht
Durch eigene Terminals würden wir unsere Abhängigkeit also nur verlagern & steigern. Hinzu kommt aber: Wir sind nicht mehr im Jahr 1990. Die infolge der Terminals über Jahrzehnte (Lock-In) auftretenden Emissionen sind schlicht & einfach unvereinbar mit dem Pariser Klimaabkommen.
Das wird besonders deutlich, wenn man sich den neuen Bericht des #IPCC anschaut, für den es viel zu wenig Aufmerksamkeit gab. Wer die enthaltenen wiss. Erkenntnisse anerkennt kann sich unmöglich der Illusion hingeben, wir hätten noch irgendeinen Spielraum für neue fossile Umwege.
Deswegen warnen wir auch so vor Schnellschüssen in Sachen #LNG (duh.de/presse/pressem…). Klar, die Industrie pusht jetzt ganz massiv auf den Bau & zahlreiche Politiker:innen stellen angesichts des Krieges nicht mehr allzu viele Fragen.
Doch gerade in dieser kritischen Situation dürfen wir eben nicht den Fehler machen & in die nächste fossile Falle laufen. Wir können uns das schlichtweg nicht mehr leisten – an dieser physikalischen Tatsache hat sich nichts geändert.
Schauen wir also auf den Bedarf. Stand jetzt bekommen wir weiterhin #Erdgas aus RUS durch #Nordstream1 & (wieder) #Jamal. Solange das so bleibt (was natürlich diskutiert werden muss) sind die Terminals unnötig für die Versorgungssicherheit der #EU. Siehe artelys.com/wp-content/upl….
Für den Fall eines kompletten Ausfalls russischer Lieferungen müssen wir uns zuerst anschauen, welche Maßnahmen verfügbar sind, um den Verbrauch an #Erdgas schnellstmöglich zu senken. Vorschläge gibt es viele (duh.de/presse/pressem…, duh.de/presse/pressem…).
Sowohl auf #EU als auch nationaler Ebene wird m. Hochdruck daran gearbeitet, die Machbarkeit dieser Vorschläge zu prüfen & zu implementieren. Braucht das Zeit? Ja. Bau & Betrieb von #LNG-Terminals aber auch.
Der Unterschied: EE & Effizienz helfen uns in multiplen Krisen weiter. Sie erleichtern nicht nur temporär unsere Situation, sondern sorgen insgesamt für bessere Chancen auf eine lebenswerte Zukunft - ganz im Gegensatz zu neuen #fossilen Projekten.
Dass es prinzipiell auch ohne RUS Importe nach #EU funktionieren könnte hat @bruegel Anfang der Woche gezeigt: bruegel.org/2022/02/prepar…. Für den nächsten Winter hieße das eine Reduktion des Gasverbrauchs um 10-15%. Das ist möglich, wenn auch sehr aufwändig & finanziell belastend.
Das Gute: Es geht, ohne dass Europa frieren musst. Und: Keinesfalls stehen Terminals schon im nächsten Winter. Wir müssen diese Herausforderung also sowieso angehen. Gleichzeitig bietet sich die einmalige Chance, in Sachen Klimaschutz endlich im notwendigen Tempo voranzukommen.
Klar werden wir dafür temporär mehr #LNG über bestehende Terminals importieren müssen (ggf. kommt das auch aus Russland: focus.de/finanzen/news/…). Aber das ist etwas anderes, als mit Steuergeld brandneue Terminals mit einer Lebensdauer von mind. 30 Jahren zu bauen.
Möchte man dennoch über Terminals in DEU reden (& hat deren Unverzichtbarkeit wirklich nachgewiesen, was bisher nicht der Fall ist) muss man sich die Frage stellen, ob diese zukünftig im Sinne der #Energiewende nutzbar sind.
DEU wird auch zukünftig Energie importieren müssen, vor allem in Form von #Wasserstoff. Ein #LNG-Terminal ist aber ungeeignet, um diesen als H2 oder auch als Ammoniak oder Methanol aufzunehmen. Die Machbarkeit einer Umrüstung ist völlig ungeklärt.
Die Terminals in Brunsbüttel & Stade werden derzeit als rein fossile Projekte geplant. Die Ausnahme von der Regulierung durch die EU KOM in Brunsbüttel gilt indes ausdrücklich nur für den Import von #LNG.
In der aktuellen Lage wird das aber gekonnt überspielt. Es wird weiter munter versprochen, man könne die Terminals irgendwann einmal umrüsten - wie das gehen soll, weiß weiterhin kein Mensch. Konkrete, verbindliche Planungen konnte uns bis heute niemand zeigen.
Gleichzeitig fordern erste Politiker (der @fdp!) eine „Garantie“ für 20 Jahre #LNG, weil eine Umrüstung nach ein paar Jahren ökonomisch keinen Sinn ergibt: shz.de/regionales/sch…
Rein fossile Terminals werden also gerade unter Ausnutzung einer Notsituation, die sie selbst in den nächsten Jahren gar nicht lindern können, durchgeboxt. Sobald fertig, wird sich schon eine Ausrede finden, wieso man jetzt doch länger #LNG importieren müsse. Klimaschutz = egal.
Eine Umrüstung ist auch unwahrscheinlich, weil sich Terminals nur durch den Abschluss von Langfristverträgen (wenn überhaupt) rentieren. Aus diesem Grund greift auch die Analyse von @LionHirth im @TspBackgroundEK zu kurz.
Keine Verträge zum #LNG-Import = keine Terminals. Deswegen können diese auch nicht als reine „Versicherung“ gebaut und dann nicht genutzt werden - es sei denn der Staat baut in Eigenregie. Wenn nicht, muss sich die Investition privater Firmen auch lohnen.
Gerade deshalb ja auch die Verzögerungen. @Uniper sagte sein Terminal ab, weil es nicht genug Interessensbekundungen gab. In Brunsbüttel war die Auflage der EU, 10 % der Kapazität kurzfristig zu vergeben, vlt. sogar der Grund für den Absprung von Vopak: energiezukunft.eu/wirtschaft/gep….
Selbst, wenn sich genügend Abnehmer fänden, gilt zudem: Auch die weltweite Verfügbarkeit ist ein Problem. Asien hat einen Großteil der Kapazitäten über Langfristverträge gebucht; neue Terminals bedeuten nicht unbedingt, dass auch eingekauft werden kann: sueddeutsche.de/meinung/lng-fl….
Und wenn, dann wohl nur zu sehr hohen Preisen. Klar, das gilt auch für bestehende Terminals in der #EU, über die DEU #LNG bezieht & hier kommen ggf. Gebühren hinzu.
Mit Kosten v. ca. 1 Milliarde je Terminal + Kosten für den Ausbau des Gasnetzes (susannegoetze.de/rohre-fuer-mil…) muss man sich aber fragen, ob es die Terminals wert sind. Durch die staatliche Unterstützung zahlen am Ende Steuerzahler & Gasverbraucher.
Fassen wir also zusammen: DEU Terminals könnten in 4-6 Jahren eine zus. Option für den Erdgas-Import bieten. 1 od. 2 zusätzliche Importwege für etwas, das wir bereits über andere Terminals beziehen können – und von dem wir schnellstmöglich wegmüssen (#Klimakatastrophe und so).
Der Preis: Hohe Kosten, ein fossiler Lock-In & das verheerende Signal, man könne unter kompletter Ignoranz klimawissenschaftlicher Fakten im Jahr 2022 noch neue fossile Infrastruktur bauen & #Erdgas munter weitere Jahrzehnte lang beziehen. #IPCC: tagesschau.de/ausland/europa….
Es bleibt also dabei: Fossile #LNG-Terminals sind nach heutigem Wissen ein NoGo. Sie würden uns vom Regen in die Traufe bringen; von einer fossilen Falle in die nächste. Das müssen wir trotz der angespannten Lage unbedingt verhindern. Wir müssen klug & vorausschauend handeln.
Wir brauchen keinen Schritt in die falsche, sondern einen Weitsprung in d. richtige Richtung. Schon vor dem Krieg galt: Unsere fossile Abhängigkeit ist unvereinbar mit #Klimaschutz. Jetzt haben wir die einmalige Chance, ein ganz großes Stück von dieser Abhängigkeit weg zu kommen.
Die Kosten werden so oder so hoch sein – doch mittel- und langfristig höher, wenn wir uns jetzt für Jahrzehnte in neue fossile Abhängigkeiten begeben. Wir haben die verdammte Pflicht ggü. zukünftigen Generationen, diese langfristige Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren.
Lösungen für die Senkung unseres Energiehungers gibt es. Auch die Entscheidung des Bundestages, 100 Milliarden in die Bundeswehr zu pumpen zeigt, dass es nicht an Geld, sondern an Willen mangelt. Dieses Zögern muss beendet werden. Erst dann können wir unsere Optionen evaluieren.
Die heißen nach wie vor: Massiver Ausbau der erneuerbaren & jetzt mehr denn je die schnellstmögliche Steigerung der #Energieeffizienz. Beides wurde jahrzehntelang verschlafen. Wenn wir diesen Fehler jetzt nicht korrigieren, bekommen wir die Chance nicht noch einmal.
Noch eine Anmerkung zum Vorhaben von TES in Wilhelmshaven: Das Projekt begleiten wir ebenfalls genau. Es ist eine Art Sonderfall: tes-h2.com/de/. Es stellen sich u.a. sehr viele planungs- bau- und genehmigungsrechtliche Fragen.
Aber: Hier ist die Nutzung des Terminals im Sinne der Energiewende zumindest der Hauptgrund für das Projekt & ernsthaft angestrebt. Dass TES nun ankündigt, vor dem Hintergrund des Krieges auch zunächst fossiles #LNG importieren zu können, muss ebenfalls genau beobachtet werden.
Wie viel, und bis wann? Trotzdem: Hier besteht zumindest die Absicht, Methan aus grünem Wasserstoff zu importieren. Viel wird hier von den von TES demnächst zur Veröffentlichung angedachten Unterlagen abhängen. Auch hier bleiben wir dran.

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