#LongSeelenthread
#Depression
#ProtectOurCareworkers

Nun bin ich seit genau 4 Monaten und 1 Tag aus dem Klinikbetrieb raus. Ich war psychisch ganz weit unten. Mein Leben hat sich grundlegend verändert. Ich verlor völlig den Halt.
So sehr, dass ich nicht mehr leben wollte.
#Depression fickt einen immer dann, wenn man es am wenigsten brauchen kann.

"Die seelische Gesundheit ist das A&O."

"Du musst resilienter werden."

"Genieße den freien Tag."

"Erhol dich im Urlaub gut."

"Genieße die Sonne."

Sätze die in Kliniken und Heimen genau so fallen.
Depressionserkrankte können damit nicht viel anfangen. Es bleiben Floskeln, die die Hoffnung sowie subtil die Forderung beinhalten, dass man sich (gefälligst) um sich selbst kümmern sollte, bevor man noch krank ausfällt und nicht mehr arbeiten kann.
Floskeln stellen seit Jahrzehnten das Rückgrat der Mitarbeiterfürsorge in diesem Land dar. Sie kosten nichts und lösen unbewusst in dem Mitarbeiter das Gefühl aus, selbst dran schuld zu sein, wenn man eine #Depressionserkrankung entwickelt.
Es werden Resilienzkurse angeboten, die überhaupt nicht auf die Bedürfnisse der Pflegeberufe bzw. Care-Berufe eingehen. Ein 08-16 Job dient hier oft als Grundlage. Schichtarbeit ist schlecht! Ach...was 'de nicht sagst. Aber man hat es sich ja selbst ausgesucht. Totschlagargument.
Und so schleift man sich auf Arbeit.
Tag um Tag. Im Hinterkopf die Floskeln. Immer die Gedanken: "Wenn es dir nicht gut geht, liegt es an dir selbst. Du musst dafür sorgen, dass es dir besser geht.".

Nur wie?
Man verzweifelt an diesen Gedanken.
Man zerbricht irgendwann daran.
Man merkt es selbst nicht.
Will es nicht wahrhaben.
Findet immer eine Begründung, weshalb man gerade "nicht so gut drauf ist".

Was man merkt ist der innerliche Druck. Anfangs kaum spürbar. Irgendwann kaum noch aushaltbar.
Am Ende unerträglich.
Die Zündschnur wird kürzer.
Man beginnt öfter gereizt zu reagieren.
Man verliert die Fähigkeit positiv zu denken.
Man verliert, anfangs unbemerkt, die Lust an vielen Dingen.
Man distanziert sich von Freunden, der Familie.
Antriebslosigkeit stellt sich ein.
Irgendwann verliert man das herzhafte Lachen und die Freude am Leben.
Was man lernt ist, dass man sich nichts anmerken lassen darf. Die Schauspielerei kaschiert anfangs sehr viel. Man tut das nicht bewusst. Aber man merkt, dass es einem nicht gut geht.
#Depression ist ein Arschloch.
Man sieht sie nicht.
Man hört sie nicht.
Man riecht sie nicht.
Sie kommt leise durch die Hintertür und schleicht sich heimlich in dein Oberstübchen.
Sie macht sich lange unbemerkt breit. So sehr, dass sie irg.wann beginnt, dein Leben zu bestimmen.
Sie beginnt dich zu verändern.
Sie sitzt auf dir und hält dich unten.
Aufstehen ist unmöglich geworden.
Das Leben wird unerträglich.

Ohne professionelle Hilfe kommt man hier nicht mehr raus.
Ohne professionelle Hilfe ist diese Erkrankung potentiell tödlich.
Anzeichen gibt es viele.
Sie zu deuten ist unheimlich schwer. Denn nicht jeder depressive Schub gleicht dem anderen. Es ist kein Schnupfen, den man einfach diagnostizieren und damit zum Arzt gehen kann. Es ist etwas ungreifbares, unsichtbares.
Nicht selten auch von HausärztInnen verkannt.
"Hier, bis Freitag mal ne AU. Gute Besserung.".

Die Angst davor stigmatisiert zu werden, lässt viele verzweifeln.
#Depression ist Tabuthema.
Nicht gewollt in der Leistungsgesellschaft. Hinderlich, lästig auf dem Weg zum Erfolg.
Nur keine Schwäche zeigen, niemals ein Scheitern eingestehen, immer nur funktionieren.
Schon Kinder bekommen das eingeimpft. Der Rucksack mit dem wir ins eigene Leben starten ist oft schon prall gefüllt mit den Erwartungen, die andere an einen haben. Eltern, Freunde, Arbeitgeber.
Bei mir fing es mit einer leichten Unruhe an. Mit den Jahren wurde sie immer stärker. Den Grund fand ich nie.

Sie war aber irgendwann immer da. Auf Arbeit, zuhause, im Urlaub, im Frei, bei Stress (da sehr verstärkt) und irgendwann auch in Ruhe, nachts.
Es raubte mir den Schlaf.
Ich entwickelte ungerichtete Ängste. Bekam Panikattacken.

Irgendwann konnte ich äußere Eindrücke nicht mehr filtern. Geräusche machten mich wahnsinnig. Vor allem viele unterschiedliche Geräusche. Irgendwann machte mir das Angst.
Ich zog mich zurück.
Als sich Suizidgedanken einstellten, merkte ich, dass etwas grundlegend nicht stimmt. Aber ich wusste nicht was. Ich hatte Angst mir Hilfe zu holen. Angst davor abgewiesen und abgestempelt zu werden. Angst davor, dass ich am Leben scheitere, obwohl andere es ja auch schaffen.
Und so spielte man allen etwas vor.
So lange bis man daran zerbrach.

Ein Suizidversuch und die Angst, dass meine Kinder daran zerbrechen würden, ließ mich endlich handeln. Den letzten Zug zurück ins Leben musste ich nehmen. Hätte ich es nicht getan, wäre ich heute nicht mehr.
Und so bin ich seit 4 Monaten in Behandlung. Mittlerweile geht es mir viel besser. Privat habe ich wieder auf die Füße gefunden.
Beruflich? Das ist die große Frage.

Ein großer Teil meiner Depression ist sehr sicher meiner Arbeit geschuldet. #moralischverletzt und #ausgebrannt .
Die Arbeitgeber interessieren sich nicht dafür. Es zählt nur, dass man funktioniert. Alles andere muss man mit sich selbst ausmachen. Sie sehen keine Schuld darin, dass Menschen am und im Pflegeberuf scheitern. Weiter...immer weiter.
Wer auf der Strecke bleibt, war zu schwach.
Meine Botschaft an euch ALLE:

Passt auf euch auf.
Sagt NEIN!
Steigt aus, bevor es euch zerbricht.
Hört tief in euch hinein und beobachtet Dinge in euch, die seltsam sind.

Und vor allem:
Geht zum Arzt, wenn ihr merkt, dass etwas nicht stimmt. Niemand stigmatisiert euch.
Mich hat der Thread einiges an Überwindung gekostet. Ich möchte nicht über meine Erkrankung definiert werden, aber ich möchte zeigen, dass niemand davor gefeit ist. Und vor allem mag ich zeigen, dass man uns Care-Worker seit Jahren kaputt macht und fürs System opfert.
"Es sind nicht sie sichtbar Starken, die stark sind. Es sind die vermeintlich Schwachen, für die jeder Tag zum Kampf gegen sich selbst wird. Das sind die starken Menschen. Das sind die Menschen mit Depression."

Frei nach @TStraeter44149 .

Danke für Eure Aufmerksamkeit.
@threadreaderapp
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Feb 28
K1 (9) kam heute aus der Schule und erzählte, dass sein Schulfreund sehr traurig sei. Ich fragte weshalb.
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Sein Schulfreund ist ein Kind mit Migrationshintergrund. Er ist in Deutschland geboren.
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Nov 26, 2021
Ich habe nun sehr lange überlegt, ob ich schreibe. Angesichts dieser völlig beschissenen Lage, diesem epochalen politischen Versagen und diesen ganzen Arschlöchern da draußen, möchte ich aber, dass ihr mal merkt, dass Eure "Helden" nicht unverwundbar sind.
2 Jahre Corona. Zig Lockdowns, zig Querdenker-Clowns, zig mal Quarantäne, dumme politische Entscheidungen und der Glaube, dass das med. Personal es schon wieder richten wird. Völlige Planlosigkeit, völlige Ignoranz, grenzenlose Blödheit und die Hoffnung, dass alle durchhalten.
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Oct 10, 2021
Ich möchte nur mal daran erinnern, dass zur #BerlinerKrankenhausbewegung gerade ein weiterer Konflikt zu eskalieren droht.

Am Freitag war 1. Tarifrunde für den Tarifvertrag der Länder (TVL). Da geht es u.a. um die Gehälter des Pflegepersonals in den Universitätskliniken.
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Es ist jetzt kein Witz. Man sagte wirklich, dass...

...es keinen Fachkräftemangel gebe. Höchstens lokal und nur kurz.

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Oct 9, 2021
Wisst ihr was mir ganz derb auf den Kranz geht? Diese Diskussion um den Pflegeschlüssel.

Das nervt mich mitunter so sehr, dass ich mich richtig in Rage reden kann. Egal mit wem ich da eine Unterhaltung führe. Der Letzte den ich so umgefahren habe war unser OA.

Und das kam so.
Vor einigen Wochen nahm mich der Oberarzt (OA) beiseite und fragte, wie lange man noch gedenkt die 2 Betten zu sperren. Schließlich sind wir eine große Klinik und falls mal einer meiner Angehörigen...blaaa blaaa...

Ab dem Punkt war ich bereits auf Betriebstemperatur.
Warum argumentiert man immer mit den eigenen Angehörigen? Warum soll das eine 1:3 oder 1:4 Pflege rechtfertigen? Warum sollen wir die miese Personalpolitik der letzten Jahre ausbaden? Und warum sind eigene Angehörige mehr wert als jeder andere Mensch?

Bringt mich auf die Palme.
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Oct 8, 2021
Gestern war unsere Stationspsychologin bei mir und sagte, dass sich die Angehörigen einer Patientin für das Gespräch bedankt haben, welches ich mit Ihnen geführt habe. Sie fühlten sich gut aufgehoben und ich habe ihnen ein Stück weit die Angst genommen.
Ja, auch das ist eine Aufgabe der Profession Pflege. Ob das nun vergütet wird oder nicht. Es ist wichtig. Punkt.

Ich komme aus der Intensivpflege. Da herrscht sehr viel Unsicherheit seitens der Angehörigen.
Beatmete Patienten mit denen man reden kann?
Die man gar berühren kann?
So viele Kabel.
Zig Schläuche die irgendwo beginnen und irgendwo enden.
Alarme auf dem Monitor.
Alarme an Geräten.
Die unterschiedliche Wertigkeit der Alarme.
Zahlen. Überall Zahlen.
Man spürt die Anspannung der Familie in jeder Sekunde.
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Sep 15, 2021
Die MitarbeiterInnen in den Gesundheitsberufen werden nicht nur oft Opfer von Gewalt. Man lässt uns auch nach traumatischen Erlebnissen oft allein.

Man geht häufig davon aus, dass wir das schon "wegstecken", es zum Beruf halt dazu gehöre und man nur ein "dickes Fell" braucht.
Eine Kollegin sah vor Jahren, wie sich ein Patient aus dem Fenster in den Tod stürzte. Es verfolgt sie bis heute. Immer wenn Patient*innen am Fenster stehen, hat sie Flashbacks und bekommt Panik. Aufgearbeitet hat man das nie. Geholfen hat man ihr zu keiner Zeit.
Vor 8 Jahren nahm ein Patient zwei Ärzt*innen als Geisel und bedrohte sie mit einer Schusswaffe. Erst nachdem sie versprachen ihn auf die Palliativstation zu verlegen, ließ er sie gehen.

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