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Über den Babyalltag sprechen
(Thread)

Ich habe in den vergangenen 12 Jahren 4 Babys geboren. Und genauso lange schreibe und spreche ich auch schon öffentlich u.a. über Babythemen. Denn ich finde es sehr wichtig, dass wir offen darüber sprechen, wie das ist: ein Baby haben.
Als ich meine Arbeit aufnahm, war es mein Hauptanliegen, gegen das damals in den großen Medien vorherrschende Narrativ anzuschreiben, Babys müsste man vor allem irgendwie zum Funktionieren bringen, mit Schlaflerntrainings und Co.
Also schrieb ich darüber, wie normal es ist, dass Babys unfassbar viel Nähe brauchen, nicht allein schlafen wollen, oft nachts wach werden, gern an der Brust einschlafen und darüber, wie wichtig es ist, Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen und nicht zu ignorieren.
Offen darüber zu schreiben, dass das Baby jede Nacht im Elternbett schläft und monatelang nicht durch, glich damals einem Tabu-Bruch. Und es ist unglaublich wichtig, solche Tabus öffentlich zu brechen, damit Eltern merken: Wir sind nicht allein. Und unser Baby ist ganz normal.
Seitdem ist viel passiert. Mehr und mehr Menschen haben begonnen, öffentlich über ihren Familienalltag zu berichten, nicht nur in den klassischen Printmedien, sondern auch in Blogs und sozialen Netzwerken. Heute können wir überall von Familienbetten lesen.
Und davon, dass Kinder ewig nicht durchschlafen und dass Eltern müde sind. Das ist kein Tabu mehr, und das ist großartig.
Doch mein Eindruck ist, dass in den letzten Jahren ein anderes Tabu gewachsen ist: Darüber zu sprechen, dass liebevolles Elternsein nicht heißt, dass wir alles Belastende einfach hinnehmen müssen, gerade den Schlafmangel in der Babyzeit.
Ich verstehe, woher das kommt. Wer unter einem Zustand leidet, ist verletzlich. Wer Stillprobleme hat, will nicht lesen, dass es bei anderen prima läuft. Wer müde ist, will nicht hören, was bei anderen prima geklappt hat. Weil sich all das schnell anfühlt wie: SELBST SCHULD!
Ich glaube trotzdem, dass wir beides brauchen: Den Raum, darüber zu sprechen, was anstrengend, schwer und belastend ist am Babyhaben (und gleichzeitig ganz normal). Und den Raum, darüber zu sprechen, an welchen Schrauben wir drehen können, dass es (vielleicht) leichter wird.
Es ist mit Sicherheit ein Problem, dass augenscheinlich perfekte Mütter im Internet jungen Eltern schnell das Gefühl vermitteln, selbst nicht gut genug zu sein. Wir müssen darüber sprechen, welche Verantwortung gerade mit dem öffentlichen Sprechen über Babythemen einher geht.
Und es ist klug, unsere persönlichen Erfahrungen nicht zu generalisieren: nur weil bei uns Stillen oder Schlafen dank dieser und jener Strategien kein Problem war, heißt das nicht, dass alle damit genauso gut fahren würden.
Doch so wichtig ich es finde, ehrlich über die Schwierigkeiten und Anstrengungen des Babyalltags zu sprechen, so wichtig finde ich es auch, teilen zu können, was gerade richtig gut läuft. Was uns überraschend weitergeholfen hat. Wie wir uns das Leben leichter machen.
Ich habe in den vergangenen Wochen einige Kritik eingesteckt dafür, dass ich auf Twitter schrieb, ich hätte in den Wochen nach der Geburt meines 4. Kindes so viel geschlafen wie selten in meinem Leben, weil das gesamte Wochenbett darauf ausgelegt war, dass ich schlafen kann.
Das ist okay. Kritik ist immer okay, und wichtig, um zu lernen. Wenn eine Mutter schreibt, sie hätte in der Babyzeit ihres Kindes angesichts eines solchen Tweets vor Wut vermutlich ihr Smartphone an die Wand geworfen, nehme ich das sehr ernst.
(Hallo, @SabineRennefanz 😄)
Und gleichzeitig frage ich mich: Was ist die Alternative? Sollen wir im öffentlichen Raum nur noch über das schreiben, was am Babyhaben unzweifelhaft schwierig ist? Hilft das müden, erschöpften Eltern am meisten?
Mir persönlich kommt es so vor, als sei in der öffentlichen Darstellung von Babythemen die Waage teilweise von einem Extrem ins andere gerutscht: Galt es vor 12 Jahren noch als revolutionär mutig, darüber zu schreiben, dass mit Baby nicht alles schön und leicht und rosarot ist...
... ist es nun teilweise richtiggehend provokant, darüber zu schreiben, die Babyzeit einigermaßen ausgeschlafen hauptsächlich zu genießen.
Wie kommen wir da raus? Das ist heute meine ehrliche Frage an Euch Babyeltern und ehemalige Babyeltern da draußen. Wie wollen und sollen wir öffentlich übers Babyhaben sprechen? Welche Verantwortung seht ihr da gerade bei Personen, die in einer gewissen Öffentlichkeit stehen?
Ich selbst werde über dieses Thema jedenfalls immer wieder neu nachdenken müssen. Weil es mir genau wie damals vor 12 Jahren wichtig ist, offen und ehrlich übers Elternsein in all seinen Facetten zu schreiben. Um Mut zu machen, ohne Druck zu machen. Was für ein Balanceakt!
*mit schlafendem Baby im Arm gesendet*
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