Michael Hüther relativiert den Wert des Lebens. Seine Argumente sind indiskutabel. Thread. 1/

cicero.de/wirtschaft/cor…
Ich will nicht davon reden, dass er zu Unrecht davon ausgeht, dass ein harter Lockdown schlecht für die Wirtschaft wäre. Vielleicht sollte er mal mit Clemens Fuest über das Thema skypen. 2/
Und ich will mich auch nicht lange dabei aufhalten, dass Hüther gegen eine Homeoffice-Pflicht ist - er redet von einer "Scheindebatte". (Über die zögerliche Auszahlung der Finanzhilfen beklagt er sich allerdings zu Recht.) 3/
Als Direktor des von Arbeitgeberverbänden getragenen Instituts der Deutschen Wirtschaft ist Hüther nämlich ebenso Wissenschaftler wie Lobbyist. Seine starke Medienpräsenz ist dadurch ebenso erklärbar, wie sie fragwüdig erscheint - warum wird er immer in Talkshows eingeladen? 4/
Mir geht es um Hüthers philosophisches Argument gegen allzuviel Infektionsschutz - zumindest, insofern er durch staatliche Beschränkungen erreicht werden soll. Es ist ein Doppelargument:

1⃣ Es ist normal zu sterben.

2⃣ Der Staat kann nicht verhindern, dass wir sterben.

🤦‍♂️ 5/
Zum ersten Argument: Das ist kein Argument gegen staatliche Maßnahmen zum Schutz des Lebens. Natürlich sterben wir alle irgendwann (nach derzeitigen medizinischen Möglichkeiten). Aber wir wünschen uns ein langes, gesundes und "lebenswertes" Leben. Darum geht es. 6/
Es ist eben nicht normal, mit 40 an Infektionskrankheiten oder als Mutter im Wochenbett zu sterben, wie es früher gang und gäbe war. Der medizinische Fortschrit und gesellschaftliche Verbesserungen haben dazu geführt, dass das heute anders ist. 7/
Ebenso wenig ist es normal, an Corona zu sterben. Taiwan, Neuseeland und andere Länder haben es vorgemacht.

#ZeroCovid 8/
Zu Hüthers zweitem Argument: Das ist auch Käse. Man nennt das eine "ignoratio elenchi" - eine Verfehlung des Beweisziels. Denn es geht ja gar nicht darum, dass der Staat garantieren muss, dass wir nicht an Corona sterben, sondern darum, ob er etwas dagegen tun kann. 9/
Natürlich kann der Staat das, und zwar durch eine Vielzahl von Maßnahmen. Hüthers Behauptung, wir wüssten "nichts Valides über die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen", ist Unsinn. Er sollte sich fortbilden. 10/ heise.de/hintergrund/Co…
Warum also sollte der Staat unser Leben nicht schützen? Hüther bringt implizit ein drittes Argument ins Spiel:

3⃣ Wir dürfen vom Staat nicht normativ erwarten, dass er den Schutz des Lebens über das Funktionieren der Wirtschaft stellt.

🤬 11/
Es ist geläufige neoliberale Rhetorik, gegen die "Vollkasko-Mentalität" zu wettern, die angeblich vom Staat größtmögliche soziale Sicherheit verlangt. Hüther fügt nun hinzu, dass es auch keine Vollkasko-Mentalität in Bezug auf den Schutz unseres Lebens geben dürfe. 12/
Moralisch ist das eine heikle Aussage. Der Wert des Lebens wird indirekt dadurch sichtbar, dass Mord als das abscheulichste Verbrechen gilt. Ganz sicher ist es nicht wichtiger, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Warum sollte der Staat nicht tun, was er tun kann? 13/
Auch rechtlich ist der Staat verpflichtet, Leben und Gesundheit zu schützen: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." (GG Art 2 Abs 2) Das "Untermaßverbot" besagt, dass der Staat hinreichenden Schutz schuldig ist. 14/
Zusammenfassung: Hüthers Agitation ist für mich schwer erträglich. Er verharmlost das Sterben, nur damit die Wirtschaft nicht ins Homeoffice muss. Dass bei Durchseuchung die Wirtschaft selbst massiv leiden würde, sei nur am Rande erwähnt. 15/15

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13 Jan
Weil dieses Thema bisher nicht relevant war (und nicht in Parteiprogrammen enthalten ist) und in keine vorgestanzte ideologische Schablone passt. Wobei das bei AfD und FDP eher nicht gilt, da bei diesen Parteien Solidarität mit den Schwächeren nur ein untergeordneter Wert ist. 1/
Aber generell haben die meisten Menschen nur wenig Lust, sich für den Schutz anderer einzuschränken. Das hat weniger mit politischer Ideologie als vielmehr mit persönlicher Tugend zu tun. 2/
Wenn man sich selbst zur Risikogruppe zählt, ist man eher für Schutz. Aber die meisten scheinen sich selbst nicht für gefährdet zu halten. Deswegen setzt die verlogene Propaganda ja Risikogruppen mit Altenheimbewohner:innen gleich. 3/
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29 Dec 20
Sehr aufschlussreiches Interview mit einer Berliner Ärztin. Für mich sind zwei Punkte besonders wichtig:

1⃣ Vielen Leuten fehlt es an den Basics - sagen z.B., sie könnten nicht infiziert sein, da sie vor drei Monaten negativ getestet wurden.

1/

rbb24.de/panorama/thema…
Auch die Quarantäne-Regeln werden nicht immer verstanden. Aber nur bei niedriger Inzidenz kann das GA die nötige Aufklärung leisten. Unter diesen Voraussetzungen kann man sich nicht viel von Eigenverantwortung erhoffen.

2/
2⃣ Besonders bei Niedriglohnbeschäftigung macht der Arbeitgeber oft erheblichen Druck, zur Arbeit zu erscheinen. Mir ist unbegreiflich, wie man meinen kann, es sei nicht von Vorteil für den Betrieb, Superspreading-Events vorzubeugen.

3/
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27 Dec 20
Es häufen sich jetzt Forderungen, dem Virus nach der Impfung der "Risikogruppen" freien Lauf zu lassen. Das Problem: Die 20-25% sind nur die Hochrisikogruppen, das Virus ist mehr oder weniger gefährlich für alle, die Langzeitschäden sind weniger altersabhängig sind als die -->
... Sterberaten. Bei #Durchseuchung des Rests der Bevölkerung würden die Intensivstationen volllaufen und es käme vielleicht zu #Triage. Auch Kinder sollten nicht mit einem neuen Virus infiziert werden, dessen Langzeitschäden zum großen Teil noch recht unklar sind, von dem -->
... wir aber wissen, dass es in viele Organe wandert und dort Schäden anrichtet - auch im Herz und im Gehirn. Zudem macht der Thread deutlich, dass sich bei #Durchseuchung Mutationen bilden könnten, gegen die der Impfstoff machtlos ist. -->
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17 Dec 20
Ich hatte kurz überlegt, ein paar Sätze zu dieser (hörenswerten!) Aufführung von #Bach|s h-Moll-Messe zu schreiben. Aber meine Follower interessieren sich in erste Linie für Corona-Content.

Also gut. Man kennt Bachs Vokalwerke heute vor allem in den Aufnahmen der großen Vier (Herreweghe, Koopman, Gardiner, Suzuki). Die sind auch großartig und verfügen über fantastische Musiker.

Doch es gibt weniger bekannte Dirigenten, die genauso interessante Interpretationen haben und manchmal frischen Wind reinbringen (auch wenn die Musiker nicht ganz auf dem Topniveau vom Collegium Vocale Gent sein mögen).
Read 17 tweets
16 Dec 20
Manche Kultusminister:innen planen offenbar die Rückkehr zum Regelunterricht nach dem Lockdown - entgegen der Stellungnahme der Leopoldina, die Wechselunterricht empfiehlt.

Doch niemand kann sich besser dagegen wehren als die Schüler:innen selbst. Thread.
Es gab viele Initiativen, Petitionen und Aktionen gegen den Präsenzbetrieb. Doch nur die Schüler kamen wirklich in die Medien. Hier z.B. kamen sie mit ihrer Demo vor dem Frankfurter Gesundheitsamt in die heute-Nachrichten. 2/

Wenn Schüler selber die Initiative ergreifen und etwas auf die Beine stellen, das interessiert die Leute einfach und die Medien springen darauf an. Nehmen wir einmal an, es käme zum #Schulboykott - die Aufmerksamkeit wäre ihnen gewiss. 3/
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16 Dec 20
⚠️⚠️⚠️ GRAUENHAFT ⚠️⚠️⚠️

Aber #Eisenmann will unabhängig von der Inzidenz nach dem Lockdown wieder in den Präsenzunterricht zurückt? Will sie das auch unabhängig von der Zahl der Todesfälle?

#DasGroßeSterben
Passend dazu bestürzen Berichte über bevorstehende #Triage in Sachsen.

#DasGroßeSterben
Korrektur: #Triage hat bereits stattgefunden.

#DasGroßeSterben
t-online.de/nachrichten/de…
Read 4 tweets

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