Ich beginne mit einer Analogie. Reden wir zunächst über Löhne, statt über Zinsen.
Genauso wenig wie es "den Zins" gibt, gibt es auch nicht "den Lohn". Es gibt in einer Volkswirtschaft Millionen von Löhnen, die alle von zig (mikro- und makroökonomischen) Faktoren abhängen. /2
Diese Löhne ergeben sich zunächst mal - ganz natürlich - über Angebot und Nachfrage. Aber der Staat beeinflusst diese Preisbildung auf mannigfaltige Art und Weise, zB über Mindestlöhne, Arbeitsrecht usw.
Der Staat setzt ("macht") also keine Löhne, aber er beeinflusst sie. /3
Technisch *könnte* der Staat natürlich Löhne direkt setzen. Das BMWi oder das BMAS könnten zu einer zentralen Planungsbehörde werden, die Löhne steuert.
Aber das passiert (aus guten Gründen!) in der Praxis typischerweise nicht. /4
Die Löhne, die wir in den Daten sehen, spiegeln also gleichzeitig fundamentale Marktkräfte und politische Einflussnahme wieder.
Und nun die zentrale Sache, die das ganze komplex/interessant macht: die beiden Dimensionen sind nicht unabhängig voneinander, sie hängen zusammen. /5
Wenn der Arbeitsmarkt brummt, also hohe A-Nachfrage bei relativ geringem A-Angebot, dann ist der "natürliche Lohnsatz" - der in Reinform zwar existent, aber empirisch nicht beobachtbar ist - hoch.
In so einer Situation wäre ein staatlicher Mindestlohn von 20€ kein Problem. /6
Was anderes ist es, wenn es kriselt und der "natürliche Lohn" gering ist.
In so einer Situation kann dieselbe staatliche Beeinflussung (ML=20 €), obwohl technisch weiterhin möglich, zu ökonomisch negativen Auswirkungen (Entlassungen, Arbeitslosigkeit) führen. /7
Now: Bei Zinsen ist es ähnlich.
Es gibt fundamentale Angebots- und Nachfragekräfte, die einen (nicht beobachtbaren!) "natürlichen Zins" determinieren.
Dieser ist *nicht* exogen durch irgendeine Zeitpräferenzrate gegeben, wie es scheinbar einige Austrian economists behaupten. /8
Der "natürliche Zins" ist eine endogene Variable, die sich aus Angebots- und Nachfragekräften ergibt. Und die sich deshalb im Zeitablauf ändern kann.
In den 1970ern war der natürliche Zins hoch, sagen wir r*=5%: heute ist er sehr niedrig - einige sagen: null (r*=0). /9
Die Gründe hatte ich #Clubhouse kurz angedeutet: Strukturwandel phys.->human capital, steigende Marktkonzentration in vielen Branchen, demografischer Wandel ->savings glut... (nicht unser Thema heute)
Und damit sind wir bei der #MMT-Debatte und meinem Hauptargument aus dem gestrigen #Clubhouse talk.
Heute, bei r*=0% ist ein ganz anderer policy mix erforderlich als in den 1970er Jahren bei r*=5%. /11
Jeder, der das abstreitet, und heute im wesentlichen dieselbe Wirtschaftspolitik für richtig hält wie in den 1970er Jahren ist m.E. kein guter Ökonom, sondern "beschreibt nur eine Welt, die er gerne hätte, aber nicht die Welt wie sie ist." (B.Rürup). /12
Fakt ist, der heute angemessene Mix weist Kongruenzen mit #MMT auf. Die aktuellen Fiskalregeln (Maastricht, SB usw) passen nicht mehr in die Zeit. Sie verhindern die notwendige Expansion und gehören deshalb reformiert.
Aber das ist Mainstream, keine originäre MMT-Position! /13
Und bei aller Kongruenz gibt es einen entscheidenden Unterschied: ich (stellvertretend für den Mainstream) kalkuliere mit der Möglichkeit, dass sich das makroökonomische Umfeld (also r*) wieder ändern könnte.
Es ist zwar derzeit nicht absehbar, aber möglich. /14
Wenn das passiert, wenn also plötzlich wieder r*=5% gilt, dann ändern sich die Rahmenbedingungen.
Dann können wir nicht mehr so einfach wie heute schuldenfinanzierte Fiskalpolitik betreiben, bei der die ZB faktisch die Finanzierung über Ankaufprogramme garantiert. /14
*Technisch* ginge das natürlich weiterhin.
Die ZB könnte auch bei r*=5% versuchen, yield curve control zu betreiben und damit r=0 für Staatsanleihen zu garantieren.
Aber das wäre analog mit einem Mindestlohn von 30 Euro inmitten einer schweren Rezession. /15
Es hätte vermutlich schlimme ökonomische Folgen: Misallokationen, Inflation(serwartungen), usw..
Ansonsten, wenn es der easy way to win wäre, hätten es Erdogan, Bolsonaro, Mugabe vermutlich schon längst ausprobiert. /16
Nota bene: das alles gilt auch in einem fiat currency System mit privater Geldschöpfung.
Schon klar, Banken schöpfen Geld aus dem Nichts. Aber das Ausmaß ist in vielerlei Hinsicht regulatorisch beschränkt und damit alles andere als unabhängig von K-Angebot/Nachfrage -> r*. /16
Conclusion: 1) Zinsen sind weder exogen, noch werden sie "gemacht". Sie spiegeln Marktkräfte und politische Beeinflussung wieder
2) Derzeit fordern #MMT und Mainstream ähnliche Reformen, das ist dem Kontext geschuldet.
3) Das bestärkt die Forderung nach expansiver Fiskalpolitik
4) Wenn es nicht um #MMT geht, wird bei #clubhouse ansonsten bislang nur Müll gelabert 🤪
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Erwartungsgemäß starke Verluste 2020 im Gastgewerbe und keine Erholung in 2021. Viele Gastro-Jobs sind also erstmal weg
Ebenso starke Verluste 2020 im Verarbeitenden Gewerbe, die sich 2021 sogar noch fortsetzen. Sorgenkind laut Studienautor Enzo Weber: die Autoindustrie /2
Welche Branchen bauen dagegen Jobs auf, so dass es insgesamt zu einem "V" kommt?
Laut IAB hängt der Wiederaufstieg an vier Branchen:
1. Bau (+26T Jobs in 2021) 2. Unternehmens-DL (+41T) 3. IKT (+48T)
"Staatsverschuldung belastet kommende Generationen" - dieses altbekannte Argument wird im Zuge der Diskussion um die Corona-Schulden auf jeden Fall kommen.
Aber es ist ökonomisch falsch und sollte deshalb aus dem politischen Raum verschwinden. Hierzu ein kurzer Thread.
Der Grund ist einfach: zu jeder Staatsschuld gehört ein Vermögenstitel.
Wenn der Staat sich verschuldet, verkauft er eine Staatsanleihe. Aber dazu gibt es halt auch einen Käufer, der sie erworben hat.
Die Schulden werden vererbt, die Vermögenstitel auch. /2
Staatsverschuldung ist also keine Lastenverschiebung *zwischen* Generationen, sondern *innerhalb* einer Generation: vom Steuerzahler (der für Zinsen aufkommen muss) an die Eigentümer der Staatsanleihen (die Zinsen kassieren).
Everybody knows that an effective strategy against #Covid_19 is to have *many* more (quick-)tests and protective FFP-face masks.
But this stuff isn’t easily available.
Two ways to get it are:
- source internationally
- produce it at home
But both are problematic. /thread
The world market for tests&masks is empty, because many countries try to buy at the same time.
Prices are soaring, which is a big problem for developing countries in urgent need of this stuff, and even efficient sourcers like 🇩🇪 hit capacity constraints. /2
That’s why many countries (incl 🇩🇪) have started to increase supply by pushing domestic production rather than just relying on imports from Asia where the comp advantage lies.
But this also proves to be damn hard. Why? Because jump-starting production from scratch isn’t easy. /3
Key question for anyone thinking about the economic consequences of #COVID19 :
For how long will the current (almost complete) shutdown of the economy have to last?
Just 1-2 months? 6 months? A year? Even longer?
Nobody knows for sure, but recent studies give some hope. /Thread
Obviously, the longer the shutdown will go on, the deeper the recession, and the harder the design of policies to insure workers and firms.
Also the acceptance in the general public will evaporate over time, because not all agree with it and are willing & able to bear the costs.
Take Germany as an example: schools are closed and are scheduled to re-open on April 19. This closure was controversial, because it keeps many adults away from work.
For now, most people seem to accept it. But this will change if the "exit day" is pushed into the gray future. /3
But one shouldn't think of this program as a stimulus, but as an insurance package /Thread
Key problem in 🇩🇪 is still exponential growth of new infections. Daily growth rates exceed 20%. If this continues, the health system will run into serious trouble very soon.
To address this, Angela Merkel has yesterday asked Germans to "keep social interactions to a minimum" /2
As a first priority, the bazooka includes a "whatever it takes" for the national health system.
1 bn € was released immediately, but hospitals can ask for as much money they need to build up facilities for intensive care, testing, etc.