1. Das Ausmaß der multiplen ökologischen & der klimatischen Krise ist so weit weg vom öffentlichen Bewusstsein, dass klare Kommunikation dazu wie Übertreibung wirkt - und schnell als das abgetan wird.
Bsp. 1: Die Grünen
Sobald sie ein Problem, dessen Ausmaß sich viele nicht voll bewusst sind, ansprechen (Fleischkonsum, Flächenversiegelung ...) & (nicht im Ansatz ausreichende) Lösungen dafür präsentieren, werden sie als “Verbotspartei” verunglimpft (Veggieday, Eigenheim ...).
Bsp. 2: Wissenschaftler:innen
Werden zwar angehört, die volle Bedeutung aber von vielen nicht verstanden (z.B. Bedeutung des 1,5- bzw. 2-Grad-Limits & des Artensterbens für unser aller Leben) & abgetan als eine Meinung unter vielen (@sciforfuture, Leuphana zu EU-Agrarpolitik).
Bsp. 3: Journalist:innen
Wer naturwissenschaftliche Fakten & ihre Bedeutung klar kommunizieren & verständlich runterbricht - gilt unter Kolleg:innen schnell als (halbe:r) Aktivist:in (z.B. @steffens_dirk, Teile der taz, @klimareport, ... vermutlich: ich).
Wissenschaftsferne polit. Meinungen eindeutig als solche einzuordnen, wird als “einseitig” wahrgenommen. Entsprechende Berichte werden oft als interessensgeleitet angesehen, ihre Objektivität & Expertise wird angezweifelt oder zumindest nicht komplett ernst genommen & anerkannt.
2. Also kommunizieren viele Journalist:innen, Politiker:innen & Expert:innen im Rahmen des öffentlich Akzeptierten & Sagbaren, um überhaupt gehört zu werden & über die Inhalte sprechen zu können. Anstatt sich immer wieder Aktivismus-Diskussionen aufzuhalsen.
Sie hoffen, mit Argumenten durchzudringen. Das gelingt tw. auch.
Was oft aber nicht klar wird: wie dringend & massiv das Problem ist. Wie schnell & umfassend man handeln muss, um es wirksame einzudämmen.
Was auch nicht klar wird: dass viele Forderungen nicht Maximalforderung sind, sondern eher Minimalforderungen. Von denen dann nur ein Teil durchkommt & oft nicht ausreichend umgesetzt wird. Dass die Probleme so nicht ausreichend gelöst werden.
3. Solange Expert:innen im öffentlich akzeptieren Rahmen kommunizieren, die Diskrepanz nie direkt angesprochen wird, denken alle anderen, sie hätten das Problem verstanden. Und es werde ja gehandelt.
Vielleicht nicht komplett so, wie die Ökos mit ihren Fledermäusen & Bäumen & Klima es wollen - aber die können auch nicht alles haben.
Ein bisschen Problem = ein bisschen Lösung.
Wer den Rahmen des öffentl. Sagbaren durchbricht, wird in die Spinner/Öko-Ecke gestellt, wer im Rahmen des Sagbaren bleibt, kommt der Lösung nur in kleinen Schritten näher. Und so voraussichtl. nicht schnell genug, um weit genug von Kipppunkten diverser Ökosysteme fernzubleiben.
4. Aufgrund des Ausmaßes der Krisen & wie existentiell sie sind, kann sich eine journalistische Aufbereitung IMHO nur schwer in der Situationsbeschreibung erschöpfen. Wenn das einem klar ist, welche Folgen Nichthandeln für die Menschheit - & das eigene Leben - hat.
Und weil man Leser:innen dann mit den existenziellen Problemen allein lässt, ggf. überfordert & lähmt bzw. Abwehr hervorruft.
Man muss also Lösungen & deren Bedeutung erklären. Womit man sich ggf. den Aktivismusvorwurf einhandelt, solange die Gefahren nicht breit anerkannt sind.
(Noch komplizierter wird das Ganze dadurch, dass u.a. kognitiver Bias, Verdrängung, Komplexität & dieser Diskurs-Fuck-up auch einige Expert:innen davon abhalten, das komplette Ausmaß anzuerkennen ... Dazu ein anderes Mal.)
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Dass Bundestagsabgeordnete 2021 die #Klimakrise so wenig verstanden haben, ist nicht (nur) lustig, traurig oder verstörend - es ist vor allem gefährlich.
Die Tweets zeigen 4 zentrale Missverständnisse (oder -informationen) zur Klimakrise, die noch immer weit verbreitet sind:
Missverständnis Nr. 1: „Die Klimakrise ist eine Krise wie andere auch“
Bildung, Wirtschaft, Digitalisierung & Klimakrise werden hier in eine Reihe gestellt als könne man diese Krisen a) miteinander vergleichen & als hätten b) alle etwa gleich dramatische Folgen.
Dass die Klimakrise unsere Lebensgrundlagen akut gefährdet (Trinkwasser- & Nahrungsversorgung, Extremwetter, Pandemien …) & damit am Fundament unserer Gesellschaften sägt, scheint bisher in seiner Konsequenz nicht flächendeckend begriffen.
Ich hab jetzt mehrfach gehört, dass Journalist:innen, die sich der Klimakatastrophe bewusst sind, nicht deutlicher darüber sprechen, weil sie (berechtigte) Angst haben, von ihrer Kolleg:innen in die „aktivistische Ecke“ gestellt zu werden. Ein potentieller Karrierekiller.
Ich verstehe diese Angst, ich hab sie auch.
Aber was ist Journalismus wert, der in der Politik- & Wirtschaftsberichterstattung (klima)wissenschaftliche Fakten zum großen Teil ignoriert & sich einer Debatte über eigene Versäumnisse, Fehler & Verantwortung verschließt?
Ich beschäftige mich seit 7 Monaten ja quasi durchgehend mit der Frage, wie ich die #Klimakatastrophe so lange verdrängen konnte.
Ein Grund sind: Glaubenssätze.
Und jetzt wird’s persönlich & peinlich. Ich hoffe, ich bereue das nicht später irgendwann:
Ein Satz von @bethsawin, der ziemlich cheesy klingt, hat mir das klargemacht. Sie sagt: "If you have to choose between a world and a worldview - you should choose the world."
Welche Annahmen also haben mich davon abgehalten, die wissenschaftlich eindeutige Lage (an)zuerkennen?
Ich habe (bisher) 3 Annahmen über die Welt gefunden & 2 Annahmen über mich.
Zuerst zur Welt:
1. Ich habe ein tiefes Vertrauen in die parlamentarische Demokratie.
2. Und ich vertraue in meine Kolleg:innen - von denen ich viele ernsthaft bewundere - und das plurale Mediensystem.
Was mich immer wieder überrascht: Dass es Menschen gibt, die offenbar denken, (fast) alle wüssten, wie akut die #Klimakrise unser aller Zukunft bedroht & würden aus Defätismus, Desinteresse oder Egoismus nichts unternehmen.
Ich verstehe, dass man auf die Idee kommen kann - schließlich sind alle wesentlichen Infos seit Jahrzehnten bekannt. Und im Umfragen sagt regelmäßig eine Mehrheit, dass die Klimakrise für sie ein wichtiges Thema ist & sie politisches Handeln wünscht.
Doch die Wenigsten dürften ein Bild davon haben, wie drastisch die Auswirkungen sein, wie schnell sie kommen werden & wie wenig Zeit bleibt, effektiv gegenzusteuern.
Sonst wäre das Argument mit dem Egoismus IMHO hinfällig, der Druck zu handeln stärker:
Finde es faszinierend, dass oft berichtet wird, dass Greta Thunbergs Asperger Syndrom dazu geführt habe, dass sie die #Klimakrise so ernst nimmt. Aber zu selten, dass kognitive Dissonanz & Verdrängung viele, viele Menschen davon abhalten, das ganze Ausmaß der Krise anzuerkennen.
Ich denke, wir müssen da mehr drüber reden.
Mir war vorher nicht im Ansatz bewusst, dass die Klimakrise ernster sein könnte, als ich sie nahm. Ich hatte bereits aufgehört zu fliegen, mein Leben auf nachhaltig umgestellt, fast täglich zum Thema gelesen.
Ich nahm die klimatische & die ökologischen Krise bereits seit ein paar Jahren verdammt ernst. Auch wenn mir klar war, dass ich vieles nicht wusste, vieles noch nicht verstanden hatte. Dass unsere Lage akut ist, war mir bewusst. Nur offenbar nicht im Ansatz: wie akut.
Warum es ein Problem ist, dass wir Klimapolitik journalistisch oft mit klassischem Politikjournalismus begegnen.
Und wie das dazu beigeträgt, dass der politische #Klimaschutz-Diskurs zum großen Teil von wissenschaftlichen Fakten entkoppelt ist.
Ein (langer) Thread ⬇️
1/15
Politikjournalismus geht im Wesentlichen davon aus, dass es zu einem Thema mehrere legitime politische Meinungen gibt.
Diese einfach gegeneinanderzuhalten, erzeugt demnach Ausgewogenheit in der Berichterstattung (manche würden das sogar als "Objektivität" bezeichnen).
2/15
Was diese Sicht ignoriert: die wissenschaftl. Fakten, die dem Problem #Klimakrise zugrundeliegen.
So wie #Corona epidemiologisch erforschte Grundlagen hat, zu denen man nicht einfach herummeinen kann (es sei denn, man ist Hendrik Streeck) - so gibt es diese auch zu Klima.