Ich beschäftige mich seit 7 Monaten ja quasi durchgehend mit der Frage, wie ich die #Klimakatastrophe so lange verdrängen konnte.
Ein Grund sind: Glaubenssätze.
Und jetzt wird’s persönlich & peinlich. Ich hoffe, ich bereue das nicht später irgendwann:
Ein Satz von @bethsawin, der ziemlich cheesy klingt, hat mir das klargemacht. Sie sagt: "If you have to choose between a world and a worldview - you should choose the world."
Welche Annahmen also haben mich davon abgehalten, die wissenschaftlich eindeutige Lage (an)zuerkennen?
Ich habe (bisher) 3 Annahmen über die Welt gefunden & 2 Annahmen über mich.
Zuerst zur Welt:
1. Ich habe ein tiefes Vertrauen in die parlamentarische Demokratie.
2. Und ich vertraue in meine Kolleg:innen - von denen ich viele ernsthaft bewundere - und das plurale Mediensystem.
Ich habe fest darauf vertraut, dass Themen, die wichtig sind, in beiden Systemen heute irgendwann ihren legitimen Platz finden.
Also: Wenn etwas akut ist, steht es auf den Titelseiten.
Mir war auch klar - siehe Rassismus & Sexismus -, dass dies dauert & erkämpft werden muss.
Ich hatte nicht auf dem Schirm, dass wir bei einem naturwissenschaftlichen Problem keine Jahrhunderte haben, damit sich die Erkenntnis gesellschaftlich durchsetzt.
Haben wir bei Sexismus & Rassismus auch nicht, wir sind da ja auch lange noch nicht am Ziel. Aber hier kann man, wenn es nötig ist, immer wieder für Gleichberechtigung kämpfen, auch wenn es schmerzhaft ist und viele Wunden und Opfer hinterlässt.
Das 1,5-Grad-Limit haben wir endgültig verspielt, wenn nicht mehr Leuten in den nächsten Monaten klar wird, warum das verdammt wichtig ist. Und damit die Lebensgrundlage & Heimat von Millionen von Menschen, v.a., aber nicht nur, im globalen Süden.
3. Ich - und dafür schäme ich mich ein bisschen - hielt grundlegende Kapitalismuskritik für interessant & relevant, aber im Endeffekt: linke Träumerei.
Die Annahme, dass Kapitalismus zwar nicht super ist & diverse Fehler hat, aber dennoch das einzige wirklich funktionierende System ist, habe ich nie wirklich angezweifelt. Fundamentale Kritik daran musste daher automatisch ideologisch sein. (Ich schäme mich wirklich.)
Ich glaubte nie, dass Sozialismus die einzige Alternative zu Kapitalismus wäre. Aber weil das alles so komplex ist, sah ich einfach keine Option, wie man das mal eben umgebaut bekommen soll & wie Alternativen aussehen könnten. Also habe ich da einfach aufgehört, weiterzudenken.
Lösungsvorschläge (Verkehrswende, Agrarwende, Energiewende etc.) verbuchte ich unter dem Gedanken, dass es natürlich nett wäre, wenn wir das bis zu meiner Rente umgesetzt bekommen.
Heute ist klar ist, dass wir sie (und noch viel mehr) innerhalb der nächsten 10 Jahre (!) weitgehend umsetzen müssen, wenn ihr unser Lebensgrundlagen erhalten wollen. Für uns selbst, nicht nur für die viel bemühten "kommenden Generationen".
Kommen wir zu den 2 (auch echt peinlichen) Annahmen über mich:
1. Als Journalistin, die Politik studiert hat & sich täglich (beruflich) mit den Problemen der Welt beschäftigt, nahm ich an, halbwegs einordnen zu können, welche Krisen auf der Welt in etwa wie akut & relevant sind.
Meine Oma erzählt mir seit 10Jahren, dass "das mit den Feuern & Überschwemmungen & Stürmen ja immer schlimmer wird".
Ich habe oft die Augen verdreht & es abgetan à la: "Du hast die Katastrophen nur täglich via Fernseher in deinem Wohnzimmer. Deshalb glaubst du, sie werden mehr."
2. Ich schätze die Klimakrise & die ökologischen Krisen ja bereits als ziemlich akut ein, hatte deswegen sogar alle möglichen Verhaltensweisen im Alltag geändert.
Ich nahm also an, ich hätte meine kognitive Dissonanz damit weitgehend überwunden. (Hust.)
Und ich nahm an, dass wenn diese bekannten Krisen ernsthaft existenzbedrohlich wären, wir ja gesellschaftl. nicht einfach immer weitermachen würden.
Turns out: Wenn man sich mit der #Klimakrise beschäftigt, lernt man nicht nur viel über die Welt, sondern auch über sich selbst.
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Was mich immer wieder überrascht: Dass es Menschen gibt, die offenbar denken, (fast) alle wüssten, wie akut die #Klimakrise unser aller Zukunft bedroht & würden aus Defätismus, Desinteresse oder Egoismus nichts unternehmen.
Ich verstehe, dass man auf die Idee kommen kann - schließlich sind alle wesentlichen Infos seit Jahrzehnten bekannt. Und im Umfragen sagt regelmäßig eine Mehrheit, dass die Klimakrise für sie ein wichtiges Thema ist & sie politisches Handeln wünscht.
Doch die Wenigsten dürften ein Bild davon haben, wie drastisch die Auswirkungen sein, wie schnell sie kommen werden & wie wenig Zeit bleibt, effektiv gegenzusteuern.
Sonst wäre das Argument mit dem Egoismus IMHO hinfällig, der Druck zu handeln stärker:
Finde es faszinierend, dass oft berichtet wird, dass Greta Thunbergs Asperger Syndrom dazu geführt habe, dass sie die #Klimakrise so ernst nimmt. Aber zu selten, dass kognitive Dissonanz & Verdrängung viele, viele Menschen davon abhalten, das ganze Ausmaß der Krise anzuerkennen.
Ich denke, wir müssen da mehr drüber reden.
Mir war vorher nicht im Ansatz bewusst, dass die Klimakrise ernster sein könnte, als ich sie nahm. Ich hatte bereits aufgehört zu fliegen, mein Leben auf nachhaltig umgestellt, fast täglich zum Thema gelesen.
Ich nahm die klimatische & die ökologischen Krise bereits seit ein paar Jahren verdammt ernst. Auch wenn mir klar war, dass ich vieles nicht wusste, vieles noch nicht verstanden hatte. Dass unsere Lage akut ist, war mir bewusst. Nur offenbar nicht im Ansatz: wie akut.
Warum es ein Problem ist, dass wir Klimapolitik journalistisch oft mit klassischem Politikjournalismus begegnen.
Und wie das dazu beigeträgt, dass der politische #Klimaschutz-Diskurs zum großen Teil von wissenschaftlichen Fakten entkoppelt ist.
Ein (langer) Thread ⬇️
1/15
Politikjournalismus geht im Wesentlichen davon aus, dass es zu einem Thema mehrere legitime politische Meinungen gibt.
Diese einfach gegeneinanderzuhalten, erzeugt demnach Ausgewogenheit in der Berichterstattung (manche würden das sogar als "Objektivität" bezeichnen).
2/15
Was diese Sicht ignoriert: die wissenschaftl. Fakten, die dem Problem #Klimakrise zugrundeliegen.
So wie #Corona epidemiologisch erforschte Grundlagen hat, zu denen man nicht einfach herummeinen kann (es sei denn, man ist Hendrik Streeck) - so gibt es diese auch zu Klima.
Die kommende Bundesregierung ist realistisch betrachtet die letzte, die noch ausreichende & sozialverträgliche Maßnahmen einleiten kann, damit Deutschland auf einen 1,5-Grad-Pfad* kommt.
That’s it. That’s the tweet.
Und ich verstehe nicht, warum das nicht in jedem FUCKING Beitrag zur bevorstehenden #Bundestagswahl vorkommt.
Der journalist. Neutralitätsbegriff stößt bei vielen Themen an seine Grenzen. Oder viel mehr: die sehr vereinfachte Auslegung einiger Kolleg:innen davon.
Man kann (& muss sogar) zu allem kontrovers über konkrete Probleme diskutieren.
Was stattdessen oft passiert: Menschen, die sich noch nie ernsthaft mit den Themen auseinander gesetzt haben, werden eingeladen, um Argumente zu wiederholen,
die teils seit Jahren & Jahrzehnten widerlegt sind. Diese werden als Meinung deklariert, die es verdiene gehört zu werden.
Wissenschaftliche Erkenntnisse werden oft komplett ignoriert. Bzw. anstatt diese als Grundlage der Diskussion zu nehmen, wird der einen Seite aufgebürdet,
Auch viele Journalist:innen reagieren auf die #Klimakrise mit kognitiver Dissonanz & Verdrängung. Selbst einige Klimajournalist:innen.
Was ich in den letzten Monaten lernen durfte: Faktenwissen allein reicht oft nicht aus, um das Ausmaß der Klimakrise zu begreifen.
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Man muss auch den Gedanken zulassen können, dass das was mit seinem eigenen Leben zu tun hat.
Ich selbst konnte das lange nicht. Ich habe in den vergangenen 3 Jahren fast täglich zur Klimakrise gelesen, kannte alle wesentlich Daten, Fakten & Graphen.
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Aber die Jahreszahlen auf der X-Achse wurden im Kopf nicht mit meinem eigenen Lebenslauf verknüpft. Oder dem möglicher Kinder.
Obwohl ich die Temperaturkurven für 2050 kannte, hatte ich keine Vorstellung davon, was 2 Grad für mein 60-jähriges Ich und die Welt bedeuten.