Nicht alles, was der #niewiederaufmachen-Bewegung vorgeworfen wird, ist fair. Aber in Schutz nehmen muss man diese entbehrliche Aktion auch nicht. Nur ein kurzer Thread dazu. #allesdichtmachen #nichtganzdicht
Ich würde dieser Bewegung gar nicht vorwerfen, dass sie jetzt von Querdenkern bejubelt wird. Das war abzusehen - und dass manche der Initiatoren davon jetzt überrascht sind, finde ich peinlich. Aber hätten sie etwas Kluges gesagt, bliebe das klug, egal von wem es beklatscht wird.
Kritisieren soll man die ironische Verächtlichmachung von Corona-Maßnahmen. Die damit verbundene Forderung: "Einfach alle Maßnahmen beenden!" Wer so etwas Haarsträubendes fordert, sollte dafür schon richtig gute Argumente haben. Doch statt zu argumentieren kommt schlechte Ironie.
Argumente fehlen leider völlig: Was wollen diese Leute? Ok: Live-Kultur erlauben, Maßnahmen beenden. Und dann? In 3 Wochen sind die Intensivstationen übervoll. Schicken wir die Leute dann zum Sterben heim? Oder nur die Alten? Oder losen wir? Sagt doch konkret: Was ist der Plan?
Man kann sich nicht über etwas beklagen, ohne auch nur ansatzweise eine Alternative andeuten zu können. Das ist das Niveau eines Kindes, das sich zappelnd auf den Boden legt und schreit: Ich will nicht in den Kindergarten! Und hierbleiben will ich auch nicht! Ich mag gar nichts!
Die ganze Aktion hätte wertvoll und schön werden können: Es wäre nämlich eine sehr gute Idee gewesen, auf den Wert der Kultur hinzuweisen, und darauf, dass die Branche in der Corona-Krise viel mehr Unterstützung benötigt hätte. Mich wundert sehr, dass das so misslungen ist.
Was ich hier sehe, sind erfolgreiche, berühmte Leute, die nichts zu befürchten haben, und sich beklagen. Warum reden sie nicht über weniger bekannte TheaterkollegInnen, die derzeit wirklich nicht wissen, wie sie die Miete bezahlen sollen? Wo bleibt die Solidarität?
Wer spricht von den vielen Scheinselbstständigen und Freiberuflern, die finanziell von der Kultur abhängig sind - von Tontechnikerinnen, Bühnenarbeitern, Makeup-Artists und Kameraleuten? Weil die beim Videofilmen im hippen Berliner Loft nicht verfügbar waren?
Es gibt keine echte Forderung, es gibt nur Selbstinszenierung.
Das vielkritisierte Balkonklatschen hat zwar auch nichts gebracht, aber es war mir deutlich lieber, das war wenigstens nett gemeint. Hier beklatschen sich nur berühmte Leute online selber. Das ist unnötig.
Dumm ist das Jammern: "Aber die Freiheit der Kunst! Darf man die Regierung nicht mehr kritisieren?"
Niemand fordert ein Verbot solcher Aktionen. Kunstfreiheit heißt nicht Freiheit von Kritik.
Und die Regierung kritisieren? Gerne! Wird ständig gemacht - von anderen halt besser.

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22 Apr
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14 Apr
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31 Mar
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