Auf #servustv läuft jetzt eine "Doku" mit dem Titel "Corona - auf der Suche nach der Wahrheit". Warum habe ich das Gefühl, dass das nicht gut ausgehen wird?
Interviewt wird allen Ernstes der vielkritisierte Verschwörungstheoretiker Wiesendanger? Kann man machen. Man könnte auch Kermit den Frosch interviewen, der ist auch nicht vom Fach, aber er ist grün.
Wiesendanger bringt den klassischen Trick: "Ich stelle ja nur Fragen". Und da hat er Recht: Ja, man muss untersuchen, ob das Virus eventuell aus einem Labor stammen könnte. Was unerwähnt bleibt: Argument hat er halt keines.
Erschütternde Berichte jetzt aus Bergamo: Menschen, die starben, ohne sich verabschieden zu können. Deutet darauf hin, dass es zumindest keine völlig Corona-Verharmlosungs-Doku wird. Das wird man nicht mehr schönreden können.
Interessant, dass auch diesmal wieder ein Nobelpreisträger gefunden wurde, der sich selbst überschätzt und Unsinn redet. Erstaunlich, wie oft das passiert. (Habe dieser "Nobelpreis-Krankheit" in meinem Buch einen längeren Abschnitt gewidmet.) Diesmal: Der Chemiker Michael Levitt
Dass Levitt Modellrechnungen gemacht hat, um die Zahl der COVID-Toten abzuschätzen, ist völlig ok. Das habe ich auch gemacht. Nur habe ich es für mich behalten, und Levitt glaubt, die Profis damit widerlegen zu können. (Obwohl er in diesem Bereich absolut nicht vom Fach ist.)
Jetzt wird's haarsträubend: Das Märchen von "nicht an COVID sondern mit COVID"- das ist längst widerlegt. Es gibt statistisch hochsignifikante Übersterblichkeit! Das hätten wir nicht, wenn es, wie unwidersprochen behauptet "nur einige 100" Tote wären! Unglaublich!
Völlig vernünftig und wissenschaftlich jetzt Prof. Gregor Gorkiewicz aus Graz, der interessante Dinge über Sekundärerkrankungen erzählt.
Perfide aber, wie das zurechtgebogen wird: Die meisten Toten haben Begleiterkrankungen. Ja, mag sein - ist das ein Argument für Harmlosigkeit von Corona? Natürlich nicht! Wenn die Bremse versagt und ich an den Baum knalle, war auch die Bremse das Problem, nicht der Baum.
Und jetzt wird's schwurbelig: Thomas Ly meint, man soll gar nicht testen, wenn die Symptome nicht eindeutig sind. Was ist denn das für ein Zugang? Bei den Inzidenzen, die wir jetzt haben, ist die a-priori Wahrscheinlichkeit für COVID sehr hoch und Tests absolut sinnvoll!
Jetzt das alte Märchen "Schwedischer Weg". In Schweden gab es massive Einschränkungen (wenn auch teilweise freiwillig statt vorgeschrieben). Es gab mehr Tote als in Deutschland und Österreich. Und die Wirtschaft hat natürlich in Schweden auch Schaden genommen.
Auch Karl Kashofer aus Graz höchst vernünftig. Die Präsenz von ernsthaften Wissenschaftlern in der #servustv-Sendung ist gut, macht aber halt leider die Schwurbler in der Sendung auch glaubwürdiger.
Schlussphase: Langatmiger Aufbau der These "COVID ist kein Problem mehr, denn jetzt gibt es Behandlungsmöglichkeiten". Klar hat man dazugelernt, aber das ist trotzdem Unsinn, wenn man sich die Todeszahlen und ICU-Aufenthalte ansieht. Von Entwarnung keine Rede.
Was glauben denn diese Leute? Dass es ein Medikament gibt, das COVID auf einen Schlag harmlos macht? Wirklich? Das ist eine verrückte Verschwörungstheorie. Dieser Schlusspunkt ist wirklich gefährlich.
Jetzt wird in Graz noch ein Experiment in vitro mit einem COVID-Medikament durchgeführt. Das Medikament wirkt. Das wird überhaupt nicht erklärt und in Kontext gesetzt "Wasser auf unsere Mühlen" heißt es. Himmel!
Insgesamt: Keine Propagandasendung für Corona-Leugnung, wie ich befürchtet hatte. Aber trotzdem, wie ich finde eine ziemlich schlechte Doku. Ohne echte These, und teilweise mit echten Fehlern.

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