.@DIEZEIT hat diese Woche den Politik-Teil freigeräumt, um die Spitzenpolitiker:innen der großen Parteien vor der #btw21 zu ihrer Klimapolitik zu befragen.
Das hat mich wirklich gefreut. (Auch wenn es selbstverständlich sein sollte.)
Aber ich habe ein paar brennende Fragen ...
Warum wird im Einleitungstext für die Interviewreihe nicht erklärt, welche entscheidende Bedeutung die #btw21 für die Erreichung der Klimaziele hat? Die kommende Regierung ist die letzte, die evtl. noch ausreichende Maßnahmen einleiten kann, um auf einen 1,5-Grad-Pfad zu kommen.
Das ließe sich anhand der Zahlen, die oben auf der Seite abgedruckt sind, schnell & anschaulich erklären: Was ist & was bedeutet das CO2-Budget?
Wenn wir nicht so schnell wie möglich die Emissionen drastisch senken, ist das sehr bald verspielt: mcc-berlin.net/forschung/co2-…
Man kann sagen: Okay, es geht hier um die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens - und das erlaubt auch "deutlich unter 2 Grad".
Dass das gemeint ist, legt auch die Grafik auf der folgenden Seite nahe. (Vgl. @showyourbudgets: 1,8 Grad mit 66 Prozent Wahrscheinlichkeit)
Dann aber ist die Frage, die allen eingangs gestellt wird (& die Einleitung), irreführend formuliert. Dann hätte man eindeutig die 1,5 Grad rauslassen müssen. Und eigentlich kurz erklären müssen, was der Unterschied zwischen 1,5 & 1,8 Grad ist & warum man das toleriert.
All das wird auf den ganzen 7 Seiten nicht einmal erwähnt. Merkwürdig. Und schade.
Denn dann wäre evtl. aufgefallen, dass die Bekenntnisse zum 1,5-Grad-Limit, die Politiker:innen aus allen Parteien (außer AfD) in den vergangenen Wochen abgegeben haben, ohne reale Grundlage sind.
Dafür braucht es auch gar keine große Recherche. Das kritisiert die @klimaunion ja selbst für das Wahlprogramm der @cducsubt:
Das lässt sich auch für das Programm der SPD relativ easy anhand von ein paar Punkten checken (siehe Thread), ohne selbst irgendwelche Budgets durchrechnen zu müssen - aber diese Absichtserklärung hatte @DIEZEIT auch schon an anderer Stelle unhinterfragt stehen lassen:
Grüne & Linke, deren Programme am nächsten dran sind, das 1,5-Grad-Limit einzuhalten (& deren Kandidatinnen in den Interviews beweisen, dass sie als einzige aus der Runde das Problem verstanden haben), geben z.T. ja selbst zu, dass ihre Programme dafür bisher nicht ganz reichen.
Warum wird das nicht einmal klar eingeordnet?
Stattdessen dürfen Laschet, Linder & Scholz teilweise ziemlichen Quatsch erzählen.
Laschet: Ergebnisse zählen, nicht Ziele; jährlicher Mallorca-Flug
Lindner: synthetische Kraftstoffe; kein Verzicht
Scholz: Autobahnen; Moralpolitik
Ich verstehe, dass es in diesem Format natürlich schwierig ist, jede einzelne Aussage einzuordnen. Dafür hätte man aber z.B. neben dem Glossar auch mit Kästen & Faktenchecks arbeiten können. Oder eine Seite Auswertung hintenanstellen.
Stattdessen stehen CDU/CSU, SPD und FDP für Leser:innen, die nicht selbst schon extrem viel Ahnung von Klimapolitik haben, am Ende im schlimmsten Fall so da, als hätten sie einfach andere Meinungen & Ansätze, um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten.
Ich verstehe, wie gesagt, dass bei diesen Interviews aufgrund des begrenzten Platzes kein Raum ist, jede einzelne irreführende Aussage zu widerlegen.
Wie etwa die Antworten zum Tempolimit von Laschet & Lindner.
Fahrlässig wird es allerdings, wenn die Interviewer:innen dieses Narrativ im Gespräch mit @ABaerbock selbst einführen. Da stellt sich die Frage, ob ihnen selbst bewusst ist, wie schnell Emissionen wie massiv reduziert werden müssen, um 1,5 Grad evtl. noch zu halten.
Natürlich gibt es unterschiedliche Wege zum Ziel - genau die sollten auch dringend ernsthaft diskutiert und vor allem schnell umgesetzt werden.
Weil ersthafter Klimaschutz allerdings Jahrzehnte lang verschleppt wurde, unterscheiden sich diese Wege eigentlich nur noch in Nuancen.
Weil wir mit dem arbeiten müssen, was heute schon funktioniert, um die Reduktionen schnell genug hinzubekommen.
Wir müssen, so schnell es geht, klimaneutral werden (oder sogar klimapositiv), in allen möglichen Sektoren & Bereichen. Und dafür braucht es jede mögliche Maßnahme.
Das ist wissenschaftlich eindeutig. Und dass man das nach der Lektüre von 7 Seiten zur Klimapolitik zur anstehenden #btw21 weiß, hätte ich schon erwartet.
Es kann doch nicht sein, dass Politikjournalismus nicht in der Lage ist, das zu leisten?
Ps.: Bei der Frage musste ich herzlich & laut lachen, als sie Laschet & Scholz gestellt wurde. Weiß nicht, ob das Sarkasmus (o. Zynismus) sein soll. Ich kann nur aus Erfahrung, dass das bei vielen Leser:innen geschrieben nicht ankommt. (Scholz' Antwort hingegen glaub ich gern.)
• • •
Missing some Tweet in this thread? You can try to
force a refresh
Beispiel gefällig, wie wir mit der medialen Darstellung der #Klimakrise die Risikoeinschätzung der Expert:innen verzerren? Heute @SZ.
Am Montag wurde die “Klimawirkungs- und Risikoanalyse” von 25 Bundesbehörden, die mit den Folgen des Klimawandels zu schaffen haben, vorgestellt.
@MBauchmueller hat dazu einen guten & eindrücklichen Text geschrieben, er gehört zu dem Kolleg:innen, die seit Jahren & Jahrzehnten vor den Krisen & den Entwicklungen warnen, in denen wir jetzt stecken. sueddeutsche.de/politik/klimak…
Sagen wir es mal direkt: Die aktuelle Situation ist extrem besorgniserregend & die Zukunftsaussichten noch sehr viel alarmierender.
Also dachte ich, ich schaue mal, wie die Titelseite der @SZ am Tag nach der Vorstellung der Studie aussah.
Ok, bin gerade cheesy drauf & ich weiß, ich bin noch in ner Wohlfühl-Bubble: Aber wisst ihr, was mir immer wieder Hoffnung & gute Laune gibt?
Dass mir hier mittlerweile 10.000 Leute folgen & viele davon klug, konstruktiv, freundlich diskutierten & gemein an Lösungen arbeiten.
Dass ich hier Solidarität & Unterstützung erlebe & beobachte, wie ich sie mir gesellschaftlich wünschen würde, in den Umbrüchen & Krisen, die kommen werden. Und wie ich sie auch in anderen Bereichen beobachte, etwa Sexismus, Rassismus, Ableismus, die sich immer mehr verbinden.
Und dass das - entgegen aller Klischées - lange nicht nur weiße, urbane Akademiker:innen sind, die sich einbringen & interessieren. Im Gegenteil. Sondern die unterschiedlichsten Leute & Alter - schließlich sind alle von den Krisen betroffen.
Sich mit der #Klimakrise auseinanderzusetzen ist hart, auf sehr vielen Ebenen. Aber es ist auch ein wertvoller Prozess. Persönlich & gesellschaftlich.
Was mir in den letzten Wochen geholfen hat, war u.a. das Buch von @besal & @RaphaelThelen.
Es beschreibt sehr gut, wo wir stehen, erkundet, wie es gesellschaftlich dazu kommen konnte & wie wir von jetzt an weitermachen können. Und das auf sehr andere, persönlichere Art als vieles, was ich bisher gelesen habe.
Raphael & Theresa stellen sich ihrer eigenen Verdrängung, ihren Gefühlen & nehmen uns nicht nur mit auf eine Reise durch die Welt, sondern auch durch ihre eigene emotionale Entwicklung.
Weil das wirklich noch nicht verstanden ist, versuche ich mal, es zu übersetzen:
Die fetten Jahre sind vorbei.
Wir haben jahrzehntelang ohne Rücksicht auf die planetaren Grenzen gelebt & gewirtschaftet, “Kosten externalisiert”, also unsere Umwelt, in der wir leben, verschmutzt,
Seit wohl mindestens 800.000 Jahren war nicht so viel CO2 in der Atmosphäre.
Damit haben wir unsere Erde bereits heute so stark aufgeheizt, dass wir uns damit aus dem für Menschen angenehm stabilen Erdzeitalter Holozän katapultiert haben. In dem es überhaupt erst möglich wurde, Landwirtschaft zu betreiben & unsere Zivilisationen zu entwickeln.
Manchmal weiß ich nicht, was mich mehr entsetzt: Wie wenigen Politiker:innen & Journalist:innen klar zu sein scheint, wie akut unsere Situation ist. Oder wie wenige von denen, die es wissen, da öffentlich klar und deutlich drüber sprechen.
Wie wollen wir Krisen lösen, dessen Ausmaß vielen gar nicht bewusst ist?
Auch COVID-19 kann nur eingedämmt werden, weil genug Menschen anerkannt haben, dass es mehr ist als eine Grippe. Davon sind wir bei #Artensterben & #Klimakrise diverse Parallelwelten entfernt.
Wir verheddern uns öffentlich in Debatten um Detailfragen wie Kurzstreckenflüge, wenn das, was wir eigentlich brauchen, um die Krisen zu lösen, große strukturelle Änderungen sind. Und das zum Großteil umgesetzt bis 2030.
Auch in deutschen Medien wurde ausführlich analysiert, wie von Rupert Murdoch geführte Medien massiv die öffentliche & politische Wahrnehmung der Klimakrise in Australien beeinflusst haben.
Und wenn hier Stefan Aust den Klimawandel leugnet, interessiert das so gut wie niemanden?
Weil das … vermutlich nur seine Privatmeinung ist??
Wenn er etwas offensiv sexistisches oder rassistisches gesagt hätte, wäre hier - zurecht - eine riesige Debatte losgebrochen. Auch darüber, warum man das im Interview nicht stärker kritisch einordnet & ob & was das wohl strukturell für die Berichterstattung bei der Welt bedeutet.