Der Streit um die #Stiko-Empfehlung zu den Impfungen von Jugendlichen und dem Vorhaben der Gesundheitsminister, diese Impfungen zu forcieren, spitzt sich zu. Ein paar Gedanken von mir zu dem Thema. 1/
Vorneweg: Ich halte wissenschaftliche Beratung für politische Entscheidungsprozesse für sehr wichtig. Und: Ich kann nicht den Nutzen und Kosten von Impfungen abwägen, da ich kein Mediziner bin. 2/
Als Volkswirt (und früherer Journalist) habe ich allerdings einige Erfahrung mit der Kommunikation wissenschaftler Empfehlungen und der Kommunikation von Entscheidungen, in die solche Expertise einfließt. 3/
Und hier muss ich sagen, dass die #Stiko und ihre VerteidigerInnen sich derzeit eher ungeschickt anstellen und am Ende wohl auch der wissenschafltichen Politikberatung keinen Gefallen tun. 4/
Die Entscheidung der #Stiko zur Impfempfehlung ist wissenschaftlich etwas anderes als etwa die Empfehlung, aus Gesundheitsgründen besser nicht zu rauchen. Vielmehr sind die Kosten und Nutzen in vielen Teilen unsicher, 5/
und mit der gegebenen wissenschafltichen Datenlage kann man – je nach Gewichtung der einzelnen Risiken und Nutzen – zu unterschiedlichen Abwägungen kommen. 6/
Dass es hier um eine Abwägung handelt, wird auch dann deutlich, dass ähnliche Gremien in anderen Ländern anders entschieden haben und in vielen Ländern die Impfung von Jugendlichen empfohlen ist (etwa Österreich, Schweiz, USA). 7/
In der Debatte wird allerdings dieser Punkt heruntergespielt. Statt dessen wird nun so getan, als wäre die Entscheidung und der Entscheidungsprozess der #Stiko der einzig wissenschaftliche richtige und Kritik daher sakrosant. 8/
Natürlich haben die #Stiko-Mitglieder gute, wissenschaftlich fundierte Gründe für ihre Bewertungen und nicht jede Privatmeinung von Nicht-Mitgliedern, die davon abweicht, ist fundiert. 9/
Nur: Bislang hat sich meines Wissens nach trotz Wochen der Kritik keines der #Stiko-Mitglieder die Mühe gemacht, im Detail zu erklären, wie es sein kann, dass die FachkollegInnen in den Nachbarländern zu einem genau gegensätzlichen Ergebnis kommen. 10/
Liegt es daran, dass dort evtl. die Einschränkungen des Kindeswohls im Falle von Quarantäne anders eingeschätzt werden als bei uns? Wenn nicht, woran dann? Da wäre Aufklärung gut. 11/
Als Begründung auf eine entsprechende Frage einer Journalistin zu antworten, die #Stiko sei eben „sauschlau“, wie das hier in dem Interview hier passiert ist, ist da wenig hilfreich, muss sich doch jeder halbwegs intelligente Hörer veräppelt fühlen. 12/ www1.wdr.de/mediathek/audi…
Denn im Umkehrschluss bedeutet das: Unsere Experten sind eben von Natur aus schlauer als die in Österreich, Israel oder den USA – ein nicht wahnsinnig überzeugendes Argument. 13/
Erfolgreich kann wiss. Politikberatung nur sein, wenn sie die Entscheidungen auch plausibel erklärt.
Statt das zu tun, gibt #Stiko Vors. Mertens Interviews, in denen er sagt, die Beschränkungen in der Pandemie hätten ihn selber kaum gestört. 14/ rp-online.de/panorama/coron…
Auch die Verteidigung der Fachgesellschaften für die #Stiko aus dem Juni ist vor diesem Hintergrund nur begrenzt hilfreich, weil hier einfach „Vertrauen“ in Struktur und Arbeit der Stiko ausgedrückt wird, die wichtigen Fragen aber nicht geklärt werden./15 awmf.org/fileadmin/user…
Will man mit seiner wissenschaftlichen Politikberatung in der Öffentlichkeit bestehen, ist es wichtig, zwischen tatsächlichen wissenschaftlich unstrittigen Erkenntnissen und eben den Abwägungselementen zu unterscheiden. /16
In der Ökonomie haben wir ebenfalls oft damit zu tun, dass Entscheidungen unter Unsicherheit passieren und Abwägungen eine wichtige Rolle spielen. In diesen Fällen ist es selten hilfreich, alleine auf das eigene Expertentum zu verweisen. /17
Die EZB etwa bemüht sich, jede ihrer Entscheidungen sehr sorgfältig und im Detail zu begründen. Derzeit etwa kommuniziert die Notenbank sehr genau, warum sie den Anstieg der Inflation als durch Sonderfaktoren verursacht sieht (und durch welche) /18
und warum sie deshalb bislang die Zinsen nicht erhöht hat. Das tut sie in Veröffentlichungen, Interviews und Parlamentsanhörungen. /19
Übertrüge man das Kommunikationsverhalten der #Stiko auf die Geldpolitik, dann wären wir nun in einer Situation steigender Inflation, in der andere wichtige Zentralbanken bereits die Zinsen erhöht hätten, /20
die #EZB aber nicht, gleichzeitig sich aber mit dem Argument der „wissenschaftlichen Fundierung“ gegen Kritik verteidigt, der @vfs_econ der EZB ohne inhaltliche Begründung (wohl aber mit strukturellen Erwägungen) das „Vertrauen“ ausspricht /21
und EZB-Präsidentin Christine Lagarde ein Interview gibt, dass ihr persönlich vergangene Inflationsphasen nicht weh getan hätten. /22
Die Entscheidung einer Notenbank mag trotz einer solchen schlechten Kommunikation richtig sein, aber sie würde so zunehmend ihr Vertrauen verspielen. Das ist auch der Grund, warum Notenbanken heute deutlich mehr und genauer erklären als in früheren Jahrzehnten. /23
Und genauso hilft der aktuelle Reflex, einfach die Reihen um die #Stiko zu schließen, nicht unbedingt, das Vertrauen in d. Institution zu stärken und Einfluss zu sichern. Klar, es ist neu für die #Stiko, derart im Rampenlicht zu stehen, wie es in einer Pandemie der Fall ist. /24
Mit Krisenkommunikation hat dort wahrscheinlich niemand relevante Erfahrung.
Allerdings ist die moderne Öffentlichkeit bei so etwas wenig nachsichtig – und stellt am Ende noch einmal verstärkt die Frage nach möglicherweise notwendigen Strukturreformen. /END
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Als im März vom „deutschen Impfdesaster“ geredet wurde und im Internet Prognosen zirkulierten, dass Menschen im mittleren Alter erst 2023 gegen #Covid19 geimpft würden, veröffentlichten @AndrewWattEu und ich eine Projektion zum Impfpfad mit dem Titel „Yes, we can“. 1/
In dem @imkflash Policy Brief schrieben wir, dass es rechnerisch möglich sein würde, bis Ende Juli alle impfwilligen Erwachsenen in Deutschland vollständig zu impfen. 2/ imk-boeckler.de/de/faust-detai…
Tatsächlich zeigen die Zahlen und die Lage nun, Ende Juli, das es wohl tatsächlich möglich war, allen impfwilligen Erwachsenen ein Impfangebot zu machen. Leider scheint es aber nicht so viele Impfwillige zu geben, wie wir angenommen hatten. 3/
Hier wurde zuletzt @michael_huether harsch kritisiert. @BachmannRudi hat JournalistInnen aufgefordert, WissenschaftlerInnen von @iw_koeln und @imkflash nicht mehr wie „ganz normale Ökonomen“ ansehen, mit dem Unterton, dass es dort einen Bias gäbe. 1/
Ein paar Gedanken hierzu aus von mir aus langjähriger Erfahrung als Journalist, Hochschullehrer (ich bin ja weiterhin an der @HTW_Berlin) und nun Wissenschaftlicher Direktor am @imkflash. 2/
Nach meiner Erfahrung sind praktisch alle ÖkonomInnen (ob Uni, Institute oder @iw_koeln/@imkflash) von ihren grundlegenden Werten und Weltanschauungen geprägt und die individuellen Forschungsergebnisse sind selten ganz unabhängig von diesen Vorprägungen. 3/
Wir haben heute unsere neue @IMKFlash Prognose veröffentlicht. Wie auch in den letzten beiden Prognosen sind wir optimistischer als etwa die Bundesregierung @BMWi_Bund. Wir rechnen für Deutschland 2021 mit einem BIP-Plus von 4,5 %, für 2022 mit 4,9 %. 1/ boeckler.de/de/faust-detai…
Wir sind damit gegenüber der Frühjahrsprognose (4,9 %) und gegenüber unserer Dezember-Prognose (ebenfalls 4,9%) leicht nach unten gegangen. Grund ist vor allem, dass sich die Kontaktbeschränkungen in Deutschland länger hingezogen haben, 2/
als wir ursprünglich erwartet hatten, zum anderen, dass die Lieferprobleme bei Halbleitern die Industrieproduktion stärker gebremst haben als bisher angenommen. 3/
Nach den sehr guten Impfzahlen von Mittwoch und Donnerstag zeichnet sich ab, dass diese Woche eine Rekordwoche bei den Impfungen gegen #Covid19 werden könnte.
Leider muss ich allerdings heute doch etwas Wasser in den Wein schütten – es zeichnen sich Schwierigkeiten ab. 1/
Auf den ersten Blick liegen die Verimpfungen gut auf dem Pfad, den @AndrewWattEU und ich nach Ostern projiziert haben, um rechnerisch 52,5 Mio. Menschen (75 % der Erwachsenen) bis Ende Juli 2021 vollständig zu impfen. 2/
ABER: Dieser Pfad war berechnet mit einem signifikanten Anteil an J&J-Impfungen. Diese Impfungen sind weit hinter unserer Projektion zurück, weil J&J einfach viel langsamer geliefert hat als ursprünglich angekündigt. 3/
Was ist eigentlich ökonomisch so problematisch an Rentenbeiträgen über 20 %, wenn damit eine längere Rentenzeit (wg. höherer Lebenserwartung) finanziert wird und wenn diese längere Rentenzeit den Präferenzen der WählerInnen entspricht? 1/
(Abgesehen davon, dass Deutschland auch schon Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung von über 20 % hatte, ist auch das theoretische Argument gegen höhere Rentenbeiträge aus meiner Sicht schwach.) 2/
In der Vergangenheit wurde gerne diskutiert, dass die höheren Beiträge das Arbeitsangebot senken würden, weil sie ja wie eine Steuer wirkten und sich dann „Arbeit nicht mehr lohne“. 3/
Hier auf Twitter wurde diskutiert, dass die Impfzahlen für die vergangene Woche nicht gut ausgefallen seien. Das kommt darauf an, welchen Maßstab man setzt. Die Impfzahlen lagen leicht unter den Rekordwochen, waren aber keine Katastrophe. 1/
Tatsächlich liegen sie im Großen und Ganzen noch auf dem im März projizierten Impfpfad von @AndrewWattEU und mir für 52,5 Mio. Komplettimpfungen bis Ende Juli. 2/
Was eigentlich enttäuscht, war, dass nicht mehr geimpft wurde. Angesichts der vom @BMG_Bund vorher veröffentlichten Prognosen für Impfstofflieferungen wäre eine Rekordwoche möglich gewesen. 3/