Die Wendung „Rassismus gegen Weiße gibt es nicht“ soll die Täter-Opfer-Umkehr verhindern, mit der sich vornehmlich Statusgruppen weißer Hautfarbe den Opfern von Rassismus gleichstellen, weil sie Diskriminierung erfahren haben. Viele Formen dieser Diskriminierung sind selbst /1
eine rein sprachliche Umkehrung rassistischer Stereotypen auf die, die sie nicht nur benutzen und voraussetzen, sondern dadurch auch ihren Status zementieren und so de facto die Strukturen fortsetzen, die Menschen nichtweißer Hautfarbe systematisch ausschließen, abwerten und /2
in vielen Hinsichten ungleich behandeln und ihre Freiheit einschränken. Diese sprachliche Umkehrung von einer de facto machtlosen Position aus setzt die Verwender rassistischer Stereotypen ihren eigenen Mitteln aus, um einen Punkt zu machen, der im Twittergeschrei untergeht: /3
Wer „Rassismus gegen Weiße“ beklagt, akzeptiert in eins damit das Kriterium „Rassismus“ – und ist damit verantwortlich dafür, eigene rassistische Stereotype und Rassismus befördernde Strukturen zu reflektieren. Dieser Punkt funktioniert aber nur solange man diesem Anspruch /4
nicht vorgreift und ihn vorsorglich und pars pro toto auf alle projiziert, die unter ihn fallen könnten. Er funktioniert gerade als Fallkriterium: Wer klagt, beansprucht. Und dieser Anspruch wird nicht von außen an ihn herangetragen, sondern er selbst formuliert ihn. Warum ist /5
das wichtig? Das ist wichtig, weil sich sonst genau die Schleife, der man durch die Spiegelung rassistischer Stereotype und das darin liegende Angebot, das Kriterium anzunehmen, wiederholt. Man bleibt in einet anklagenden Opferhaltung befangen, die selbst zur Zementierung /6
dessen beiträgt, was sie kritisieren und auflösen will. Genau das war die Reflexion antirassistischer Aktivist:innen, die keine Opfer mehr sein wollten, sondern die sich ihre Teilhabe am Diskurs, die ihnen verwehrt wurde, selbst erstreiten wollten. Das hieß: Klüger zu sein als /7
der strukturell dumme implizite und explizite rassistische Diskurs, gegen den man antritt; die Spiegelung als Spiegelung sichtbar machen können; den Anspruch, der eine Gemeinsamkeit formuliert – keiner von uns will diskriminiert werden –, als den der Gegenseite verstehen /8
können; die Zementierung aufheben und unterlaufen können. Das ist der Kerngedanke der Spiegelung – und der Antwort auf den Versuch der Täter-Opfer-Umkehrung in der Klage von „Rassismus gegen Weiße“. Und deswegen ist das Credo „Rassismus gegen Weiße gibt es nicht“ so /9
problematisch: Einerseits drückt es richtig aus, dass es keine sinnvolle Täter-Opfer-Umkehr gibt. Andererseits nimmt es sich selbst das Kriterium der Gegenseite, in der diese sich darauf verpflichtet, Rassismus zu verhindern – was dann zugunsten einer Zementierung von Opfern /10
und Tätern ausfällt, also genau das Anliegen unterläuft, das der Spiegelung zugrunde liegt: die Ungleichbehandlung im Diskurs performativ aufzuheben und auf gemeinsame Kriterien zu verweisen. /11
Es fehlt nicht an „Gegenreden“ zu #IchbinHanna. Die wenigsten adressieren jedoch die vorgebrachte Kritik. Auch der Text von Reinhard Jahn weist typische Elemente einer Rhetorik auf, die mehr auf Effekt als auf Argument setzt. Ein Thread 🧵⬇️
Der Text beginnt bereits mit zwei Formulierungen, die nicht recht zusammenpassen wollen. Es ginge, behauptet er, in der Kritik „einiges durcheinander“. Das Durcheinander will Jahn aber nicht einordnen, sondern die Debatte „auf den Boden der Realität“ zurückholen. Diese sei 1/x
außerdem „zunehmend von Partikularinteressen geleite[t]“. Schon im ersten Absatz inszeniert Jahn also einen dreifachen Mangel: Unordnung, Realitätsverlust und Instrumentalisierung der Debatte. Das sind schwerwiegende Anschuldigungen. Belegt werden sie nirgends. 2/x
@DKKGER@mlewandowsky Zwei Probleme. Erstens: Zu sagen, dass Relevanz und Verbesserung des Lebens keine sinnvollen Maßstäbe für Wissenschaft sind – weil dort ja aus wissenschaftlicher Sicht problematische, gar sinnlose Voraussetzungen gemacht werden können –, bedeutet nicht, dass Wissenschaft
@DKKGER@mlewandowsky „weder gesellschaftlich relevant ist, noch das Leben der Menschen verbessert“. Zweitens: Der „Zweck“ der Wissenschaft ist die Wissenschaft. Denn sonst ist sie keine Wissenschaft mehr. Sie kann nur dann nützlich sein, wenn sie keinem vorausgesetzten „Zweck“ dient.
@DKKGER@mlewandowsky Letzteres erscheint Nicht-Wissenschaftler:innen oft unverständlich, weil es widersprüchlich aussieht. Ist es aber nicht. Wissenschaft kann nur dann wissenschaftlich gesicherte Ergebnisse leisten, wenn sie nicht von Vornherein durch Zwecksetzungen eingeschränkt wird.
#HannaimBundestag@AnjaKarliczek will „aufräumen“ und behauptet, das #WissZeitVG würde Dauerbefristungen vermeiden – die alte Story und die neue Story gemischt. „Wir brauchen ein Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft, denn die Wissenschaft ist besonders.“ /1
Die „persönliche Situation“ der Wissenschaftler:innen ist „manchmal unbefriedigend“. Aber das liegt nicht an dem Gesetz – „Das Gesetz ist ein Sündenbock“. Wer hat diese Rede verbrochen? – Weil das Gesetz dafür da ist, Befristungen zu verhindern, hat man jetzt neue Programme /2
aufgelegt, um Stellen zu entfristen. Hä? – „Wir erwarten, dass die Länder ihrer Verantwortung gerecht werden“, da hat sich @AnjaKarliczek „sehr deutlich geäußert“. Appelle: So wichtig. Denn: Die Hochschulen sind in der Verantwortung (Hoppla, nicht die Länder?) /3
#IchbinHanna ist Ausdruck eines strukturellen Problems. Es geht nicht nur um Entfristungen. Es geht darum, die Wissenschaft wieder zu einer freien Wissenschaft zu machen. Das geht nicht ohne einen grundlegenden Paradigmenwandel. – Das aktuelle Paradigma hat unter dem /1
Deckmantel der Schaffung breiter Bildungsgerechtigkeit das Wissenschaftssystem unter Kontrolle gebracht: Mehr Studierende, mehr hochwertige Abschlüsse, mehr qualitativ hochwertige Forschung – so lautete das Versprechen. Die Rückseite dieses Prozesses umfasst die gesamte /2
Bandbreite des Systems: Die Zahl der Abschlüsse entscheidet den Wert eines Faches – also müssen Mittel und Wege gefunden werden, sie zu erhöhen, auch jenseits individueller Leistungen im Studium. Die Studierenden werden in eine Zeit- und Studienordnung gespannt, die jeden /3
Die Diskussion unter #IchbinHanna dreht sich zu oft um den falschen Gegensatz 1) ‚befristet gemäß WissZeitVG‘ und 2) ‚unbedingt unbefristet‘. Dadurch geraten wichtige Parameter aus dem Blick, etwa die problematische Dimension der Konkurrenz gemessen an Doktorandenzahlen. /1
Das ganze System hat Schlagseite. Die Befristungspraxis und damit der ‚flexible‘ Durchsatz von Wissenschaftler:innen hat ein System ermöglicht, in dem diese zu Token einer Prestige-Messung werden. Im Klartext: Professor:innen werden für Produktionszahlen belohnt. /2
Wenn man also möglichst viele Doktorand:innen möglichst schnell durchbringen muss und dabei möglichst viele Paper produzieren soll, die von möglichst jungen Post-Docs verfasst werden, dann entsteht eine Eigendynamik, die Steuerungsfunktionen beeinträchtigt. /3
Die Beiträge unter #IchbinHanna zeigen deutlich das Ergebnis einer Entwicklung, die in den 1960ern begann: Der Umbau der Universität.
Die geburtenstarken Jahrgänge begründeten Reformen, in denen die Universität zu einer Ausbildungsstätte für Fachkräfte umgebaut wurde. /1
Kaschiert als Modernisierungsmaßnahme wurde das Studium eng mit ökonomisch bestimmten Vorstellungen von einer Vielzahl von Fachkräften verknüpft, die den Aufschwung der letzten Jahrzehnte ausbauen sollten. Schon damals kombinierte man vollmundige Versprechen und rigide /2
Kontrollmaßnahmen, was u. a. zu den Studentenprotesten von Nanterre und bald in ganz Paris führte. Im Krisenjahrzehnt der 1970er endete die Hoffnung auf Aufschwung – und es begann die Regulierung der vielen „faulen Studenten“, die zu lange an der Universität zubrachten. /3