Ich möchte etwas Nachdenkliches mit euch teilen.
Im Dezember war ich Ziel eines Shitstorms, da wurde mein Privatleben durchwühlt, mein Arbeitgeber kontaktiert, mit dem Vorwurf ich hätte Schnelltests geklaut (die zum Zeitpunkt bereits für Fachpersonal zu kaufen waren), immer
wieder mein Arbeitgeber und meine Partei getaggt.
Das ist zwar etwas abgeflaut, aber obwohl ich die Identität meiner Kinder seit Jahren konsequent schütze (schon lange vor Covid, wegen Morddrohungen durch Nazis während meiner aktiven politischen Zeit), wurde ich auch schon
von der Schule kontaktiert. Ich habe mit Menschen gesprochen, deren Webseiten angegriffen werden, die Drohungen gegen ihr Leben oder das ihrer Kinder erhalten, Menschen, deren Arbeitgeber Klarnamen auf sozialen Medien nicht mehr lesen möchte, Selbstständige, deren Unternehmen/
Praxis angefeindet werden, KollegInnen, die Morddrohungen erhalten.
Und das Ganze nicht nur aus der Ecke der Rechten und Covidleugner, sondern auch aus der Ecke der Maßnahmenbefürworter und Niedriginzidenzaktivisten.

Politischen Dissens wird es immer geben, da ist die Pandemie
keine Ausnahme. Es werden aber mit dem Klimawandel und der alternden Gesellschaft noch viel härtere Brocken in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen und ich sehe uns als Gesellschaft nicht dafür gewappnet, diesen Dissens auszuhalten und sauber zu diskutieren. Wenn es bereits
Pfui ist, wissenschaftlichen Diskurs in den Medien zu führen (ich erinnere mich an die unsäglichen Ausführungen von Jan Böhmermann, den ich früher gut fand, mittlerweile in seiner uninformierten Bräsigkeit nicht mehr ertrage, bei Lanz) und Medienhäuser mit Ätzbriefen kontaktiert
werden, weil sie irgendjemanden interviewed haben, der/die nach Meinung der selbsternannten Meinungspolizei sich aber eigentlich gar nicht äußern darf, dann ist das massiv bedenklich.

Natürlich gibt es False Balance, aber vieles das derzeit dazu erhoben wird, ist es nicht,
sondern ein Versuch unliebsame Positionen verstummen zu lassen, während Personen mittlerweile einen Kultstatus erreicht haben, auf beiden Seiten des Spektrums (!), deren wissenschaftlich korrekter Inhaltsgehalt so im Bereich einer Schülerhausarbeit liegt. Das darf so nicht sein
und ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass 95% der Menschen nun mal die wissenschaftlichen Primärdaten nicht lesen können. Die Situation erinnert ein wenig an die Zeit, als die Bibel noch ausschließlich in Latein/Hebräisch/Griechisch verfasst war und die Menschen
darauf angewiesen waren, diese von Kirchenmitgliedern mit oder ohne eigene Agenda erklärt zu bekommen. Fast religiöse Züge hat mittlerweile auch die Verehrung einzelner Wissenschaftler und einzelner Pandemiestrategien angenommen.
Es kann doch nicht sein, dass Kritik an
Personen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, zumal durch WissenschaftlerInnen, nicht möglich sein kann, ohne, dass Hass und Hetze über die „Nestbeschmutzer“ ausgekippt werden. Diskussion ist eines der wichtigsten Prozesse in der wissenschaftlichen Arbeit!

Gleichzeitig hat
sich die Haltung zum Staat polarisiert.
Auf der einen Seite jene, die sich völlig verwehren und den Staat als Feind ansehen, andererseits jene, von denen viele eigentlich aus einem links-liberalen Milieu stammen, die völlig unkritisch unverhältnismäßige Eingriffe in
Persönlichkeitsrechte nicht nur gutheißen, sondern sogar fordern. Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit ist immer eine schwierige und muss daher immer mit Augenmaß getroffen werden. Dieses Augenmaß hat m.E. die Bundesregierung längst verloren, aus Gründen wie a) falsche/
einseitige Beratung (und selbst keine nennenswerte Expertise auf dem Gebiet), b) fehlende politische Debatte (Regieren durch Verordnungen anstatt parlamentarischem Willen) c) fehlende Zieldefinition, was mit den Maßnahmen eigentlich verfolgt werden soll, was zu Basar-
ähnlichen Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Ländern führt.
Die Transparenz darüber, wer in welchen Gremien wozu mit welchem Ergebnis beraten hat, fehlt, im Gegensatz z.B. zu UK. Das führt dann dazu dass die BürgerInnen das entweder akzeptieren oder ablehnen können, weil
Kommunikation hier praktisch nicht statt findet. Und das wiederum trifft auf ein polarisiertes zivilgesellschaftliches Spektrum und Menschen, die dann mehr oder weniger per Position für oder gegen etwas sind, und die, ohne Diskussion, weder im Parlament, noch in der
Zivilgesellschaft (weil Pfui!),
dann eine Maßnahme oder ihre Aufhebung auch nicht weiter hinterfragen, weil diese entweder zur eigenen Position passt oder eben nicht.

Die Zivilgesellschaft hat sich einen Meinungstunnel geschaffen und versucht, einen relevanten unbequemen Teil
der Menschen auszuschließen
und macht damit nichts anderes als die Bundesregierung, die sich ihre BeraterInnen nach der Vorstellung ihrer Politik aussucht anstat ihre Politik nach den Empfehlungen der Beratenden auszurichten.
Der andere „geächtete“ Teil der Gesellschaft
radikalisiert sich in der Zwischen- zeit, weil es kein Durchdringen mehr für die eigenen Positionen gibt. Dabei waren es zu Beginn nur wenige Spinner, die wirklich nicht bereit waren, die Gefahr durch COVID anzuerkennen. Diese Zahl hätte nicht wachsen müssen, hätte die
Überheblichkeit vieler nicht jeglichen Diskurs abgewürgt.

Wir befinden uns mittlerweile in einer Situation, in der WissenschaftlerInnen, JournalistInnen, JuristInnen, PolitikerInnen massiv geframt und damit beeinflusst werden. Menschen haben Angst, ihre Meinung zu vertreten und
verstummen.
Dies führt zu einer weiteren Polarisierung und letztlich auch zu einer Konzentration von Macht.
Man könnte an dieser Stelle jetzt viele unsaubere Vergleiche ziehen, die ich bewusst ablehne und die ich nicht teile.
Aber: wir befinden uns aus meiner Sicht in einer
gefährlichen Situation unserer Demokratie. Dass soziale Medien Schlachtfelder sind, ist nichts Neues.
Dass sich aber Meinungsfilter auf Bereiche, wie Medien, Politik und Wissenschaft ausweiten, ist inakzeptabel.

Wir brauchen wieder eine offene und sachliche Debatte.

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More from @F_I_Briest

23 Oct
Herr @Lauterbach, das ist so nicht richtig! Selbst im Abstract der Studie steht bereits, dass Kinder signifikant seltener Post-Covid/#LongCovid bekamen als Erwachsene! Das trifft sowohl auf die incidence rate als auch auf die incidence rate ratio zu, die bereits die
Kontrollgruppe berücksichtigt.
Interessanterweise gibt es auch Unterschiede in der Art der Symptomatik, möglicherweise bedingt durch die Erhebung der Daten (Selbst-/Elternreportins), zB. wurden bei Kindern unspezifische
Erschöpfungssyndrome (ICD‐10‐GM: R53) ermittelt, aber keine signifikante CFS Symptomatik (ICD‐10‐GM: G93.3), möglicherweise aufgrund unterschiedlicher Zugänglichkeit zu Fachdiagbostik in diesem Bereich.
Read 8 tweets
22 Oct
Letzte Woche „Altern im Zeitraffer“, diese Woche Demenz, nächste Woche dann Krebs?
Warum bleiben wir nicht bei dem, was die Studie aussagt, anstatt zu spekulieren? Sie sind kein Neurologe & ich bin keine Neurologin, aber die Autoren des Papers sind es und die AutorInnen des
Papers nehmen die Worte Demenz oder Neureodegneration nicht mal in der Diskussion in den Mund!

Die beschreiben nämlich in der Arbeit, dass Sars-Cov2 bei Menschen & in Versuchen an Hamstern & Mäusen eine bestimmte Zellsorte, die die innere Wand von Blutgefäßen, das Endothel, aus-
kleiden, im Hirn angreifen & damit die kleinen Gefäße schädigen kann (dass Endothelzellen geschädigt werden können, ist beschrieben, aber auch umstritten).
Wichtig ist dabei u.a. ein kleines Detail, nämlich, dass der Effekt im Tierversuch über die Zeit beobachtet wurde & hier
Read 8 tweets
20 Oct
Interessante Publikation vom @rki_de vom 06.10.2021 (rki.de/DE/Content/Inf…) und ich frage mich, wer da gerade hinters Licht geführt werden soll:

Die Darstellung drückt aus, dass es bei #2G einen 100%igen Schutz, bei 3G aber nur einen 99%igen gebe.
Abgesehen, dass bei dieser
3G Veranstaltung immer noch etwa 2/3 ungetestet blieben -
wäre es nicht ehrlicher, ein realistisches Risikoauch bei einer 2G Veranstaltung darzustellen & dafür ggf. mehr als 100 Menschen beispielhaft zu zeigen, z.B. 2500 um damit z.B. mindestens den einen infektiösen
#Berghain-Fall vom 03.10. abzubilden?

Oder, um noch ehrlicher zu sein, die Lancet Zahlen aus der Publikation von Tartof et al. zu nehmen und (thelancet.com/journals/lance…) von durchschnittlich 73% Schutz gegen Infektion zu auszugehen und dann die Zahlen zur Infektiosität von
Read 6 tweets
20 Oct
Ich denke, mit mehr 2G und einer höheren Zielimpfquote kommen wir nicht weiter, wenn das Ziel ist, die tatsächlichen Fallzahlen zu senken. Was ich für ein mittlerweile recht aussageloses Ziel halte, da die Verteilung der Infektionen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen viel
relevanter sind als die reinen Zahlen. Die Infektionen müssen bei denen verhindert werden, die nicht gut von der Impfung profitieren.

Die Impfquote per Gießkanne erhöhen zu wollen (und damit jetzt vor allem die Jugend in die Pflicht zu nehmen, anstatt nochmal gezielt Ältere
anzusprechen), macht angesichts der Tatsache, dass immer mehr dafür spricht, dass Herdenimmunität mit COVID-19 nicht möglich sein wird, nur begrenzt Sinn um schwere Verläufe zu verhindern.
In Kombination mit der mE. Fehleinschätzung, 2G verhindere Infektionen, eine brisante
Read 10 tweets
19 Oct
Seit einigen Tagen kursiert auf Twitter eine Studie, die zeigen soll, dass eine #COVID19 Infektion zu schnellerer #Alterung führt.

Hier ein Versuch der Einordnung in verständlicher Sprache ⬇️⬇️⬇️

(die KollegInnen mögen mir Vereinfachungen zum besseren Verständnis verzeihen).
1/
Es handelt sich um eine Studie (ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/P…; bereits vom Juni 2021!), in der die AutorInnen folgendes gemacht haben:

1️⃣ Aus 117 Covid-PatientInnen und 144 Nicht-Covid Probanden (das ist für eine medizinische Studie sehr wenig!) Blut entnommen und die Immunzellen 2/
isoliert (Rote Blutkörperchen halten keine relevante Erbinformation mehr, daher macht es keinen Sinn, diese für die Studie zu benutzen und so wurden nur die Immunzellen analysiert). Im Blut befinden sich vor allem „fertige“ Immunzellen, während die Quellen von Immunzellen 3/
Read 33 tweets
17 Oct
Nein, Herr Lauterbach, das steht da nicht.
In dem Paper steht, dass einige CpG Dinukleotide, (das heißt, die DNA Basen C und G nebeneinander, die in der Regel in regulierenden Nicht-Gen Regionen der DNA vorkommen und über Anknüpfung von bestimmen Molekülresten zB das Ablesen von
Genen beeinflussen können) die irgendein Algorithmus mal mit biologischem Alter in der Verbindung gebracht hat, nach Covid Infektion verändert sind. Das könnte zB heissen, dass die Infektion den Körper derartig stresst (die Fälle haben eine hohe Quote sehr schwerer Fälle, zB 35%
beatmet), dass man nach der Infektion etwas stärker gealtert ist als man das sonst getan hätte (etwa im Verhältnis 1:3 wobei die absolute Quantifizierung so artifiziell berechnet ist und so große Confidenzintervalle hat, dass ich auf die absoluten Zahlen wenig geben würde).
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