Vor einem Jahr gab es Demos gegen Coronamaßnahmen und Aktionen der sog. #Querdenker. Schon damals dabei und organisatorisch im Zentrum: extrem rechte Gruppen, Antisemitismus, Verschwörungsideologie, Ermächtigungsphantasien. Ebenso: Gewalt gegen Journalist:innen und Beobachtende.
Die Strategie, sich als „Spaziergänge“ zu bezeichnen und gezielt nicht als Versammlung anzumelden traf vielfach auf handlungsunfähige - und unwillige Versammlungsbehörden und Polizei.
Ihnen wurden selten Auflagen erteilt und wenn wurden sie nicht durchgesetzt. Verstöße gegen Maskenpflicht etc. nicht geahndet oder zum Anlass genommen, zu intervenieren.
Gleichzeitig wurden die Demos vielfach als „besorgte Bürger“, harmlose Spaziergänge und normale und legitime Kritik eingeordnet. Damals wurde von vielen Beobachtenden gewarnt:
Diese Verharmlosung und die
Tatenlosigkeit von Behörden wird weitere Radikalisierung unterstützen, ist Ermächtigungserfahrung, macht nichts besser. Deeskaliert vielleicht für den Moment auf der Straße, aber führt zu weiterer Eskalation in der Gedankenwelt der #Querdenker
Seit dem hat sich die Szene weiter radikalisiert, wird unverhohlen zu Gewalt aufgerufen und Lynchmobs formieren sich. #Querdenken tötet. Ein Mensch wurde hingerichtet, weil er auf die Maskenpflicht hinwies. Impfteams wurden angegriffen. Ärzt:innen bedroht.
Ein Mann, der in einer der vielen Pandemieleugnergruppen bei #Telegram vernetzt war, hat seine Familie ermordet. #Senzig
Die Berichterstattung dazu übernimmt -wie oft bei Morden in Verbindung mit Selbstmord- das Framing des Täters, statt zu analysieren was bekannt ist.
Offensichtlich lebte der Täter in einer Parallelwelt, befeuert von Lügen und Aufstachelungen aus rechten Telegramgruppen. Erfüllt vom Gedanken, er entscheide was für seine Frau und Kinder das Beste sei.
Heute sind die Krankenhäuser mehr denn je belastet, mehr Menschen sind krank, mehr Menschen werden sterben. Wieder ziehen Demos als „Spaziergänge“ durchs Land. Mit wirren Reden. Mit der Behauptung, im #Faschismus zu leben. Mit Kerzen. Mit Esoterik. Mit Nazis.
Mehr denn je wird in von der extremen Rechten gesteuerten Telegramgruppen gehetzt und zu Gewalt aufgerufen und erneut haben sie keinerlei Intervention von Behörden und Polizei zu befürchten.
Ja, natürlich, gesellschaftliche Konflikte lassen sich nicht mit Hilfe der Polizei lösen. Sanktionen werden in Verschwörungsideologien eingebaut und (siehe #Senzig) mit ihnen verknüpft.
Aber allein der oberflächliche Blick auf die Entwicklungen im letzten Jahr zeigt doch, wie gefährlich der Weg der Verharmlosung ist, wie sehr es Radikalisierung befeuert, wenn der Staat tatenlos bleibt.
Wie bestätigend und ermutigend es für rechte Organisatoren von Demos es ist, wenn Polizei den Protest als Problem ausmacht und nicht die Pandemieleugner:innen.
Dass sich in über einem Jahr nichts am Agieren von Behörden geändert hat, macht mich fassungslos. Es ist gefährlich für unsere Gesellschaft und ganz konkret für Menschenleben. Und ja - wenn es so bleibt wird es schlimmer.
Und weil vielfach von der Spaltung der Gesellschaft geredet wird, die man verhindern muss. Diese Gesellschaft ist in so vieler Hinsicht gespalten. Arm und Reich, Oben und Unten, Weiß und von Rassismus betroffen, Maskendeals und Kurzarbeit … Wie wäre es denn, dort anzusetzen?
Politik schafft es nicht, aufzuklären, Impfen zu organisieren, nachvollziehbar und verlässlich zu kommunizieren, logische Regeln zu erlassen, Fehler einzugestehen und für soziale Absicherung derjenigen, die wegen der Pandemie Existenznot haben, zu sorgen.
Das kann nur Politik ändern. Dass sie das nicht tut, als Argument dafür zu nutzen, dass Polizei und Staat ggü Querdenkern nicht das geltende Recht anwenden, um Spaltung nicht zu befeuern, ist absurd und verlogen.
Und eben verdammt gefährlich.

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6 Dec
Für heute werden in Sachsen-Anhalt mehrere Kundgebungen und Demos gegen Corona-Maßnahmen beworben, teils angemeldet, teils nicht. Versammlungsbehörden haben die Möglichkeit in Kooperation mit den Gesundheitsämtern Auflagen und Beschränkungen zu verfügen.
Man darf gespannt sein, ob und wie das genutzt wird und vor allem, ob und wie diese durchgesetzt werden. Bisher waren die Behörden sehr zurückhaltend damit. Letzte Woche konnten in #Halberstadt 1000 Leute bei einer unangemeldeten Demo offenbar ohne jede Behelligung laufen.
In Halberstadt wie auch andernorts wurde sehr klar: nicht jede:r Teilnehmende ist ein Nazi, aber Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungsideologien sind rechte Konzepte, Neonazigruppen sind in den Demos präsent und organisieren diese, Holocaustrelativierung ist en vogue.
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23 Sep 20
Parallel zum #HalleProzess tagt heute der Untersuchungsausschuss des #ltlsa und vernimmt Polizisten, die für den Kontakt mit den jüdischen Gemeinden zuständig waren.
Bis jetzt habe ich keinen Polizisten gehört, der hätte sagen können, ob und wie über die Attentate von Christchurch und Pittsburgh und was sie für die Situation in Sachsen-Anhalt bedeuten, an irgendeiner Stelle gesprochen wurde.
Keine Fortbildung, keine Arbeitsberatung, keine Besprechung im Innenministerium. Heute hören wir zuerst einen Polizisten, der für die Magdeburger Gemeinde zuständig ist. Auch er kann sich an nichts dergleichen erinnern.
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2 Sep 20
Oha. Auch in Sachsen-Anhalt wurden illegal Personendaten durch die Polizei abgefragt. Minister #Stahlknecht muss das erklären und auch, wieso er nicht von sich aus darüber informiert hat. Um welche Daten es sich im Einzelnen handelt ist noch nicht klar.
Aber: es gab schon mehrere Konsequenzen von Disziplinarmaßnahme bis Strafanzeige. Was auch klar ist: die Frage der Prüfungs- und Kontrollmechanismen muss jetzt ebenso gestellt werden. Jeder Einzelfall muss geklärt werden und die Betroffenen informiert.
Vor allem: es muss aufgeklärt werden ob die Abfragen in einem Zusammenhang mit den bekannt gewordenen anderen Fällen unerlaubter Abfragen durch Polizisten stehen, was mit den Daten passierte, ob es Weitergaben und an wen gab, letztlich: sind die Handelnden Teil eines Netzwerks?
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28 Aug 20
Heute wird der Bericht der Sachverständigen im Fall #OuryJalloh vorgestellt. Über 300 Seiten plus 500 Seiten Anhang, er liegt den Abgeordneten keine 24 h vor, deshalb heute ausdrücklich nur erste Einschätzungen dazu.
Es ist zu unterscheiden zwischen den Einschätzungen zu juristischen Vorgängen und zu politischen. Juristisch: Der Bericht ist auch ein erschreckendes Zeugnis über den Zustand zentraler Bereiche des Landes Sachsen-Anhalt in den Nullerjahren.
Rechtliche Grundlagen für tägliches Handeln waren im Polizeirevier Dessau nicht bekannt und wurden reihenweise nicht eingehalten.
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26 Aug 20
Nun soll also das Versammlungsrecht eingeschränkt werden, um gegen Liebich in #Halle vorzugehen. Das ist absurd, gefährlich und unnötig. Ein Eingreifen der Behörden scheitert nicht an fehlenden Rechtsgrundlagen, sondern an fehlendem Interesse!
Die Überlegungen von Innenminister Stahlknecht und MP Haseloff zeigen, dass man im Innenministerium bis heute das Problem nicht begriffen hat. Auf seit Jahren bekannte Probleme in der Rechtsdurchsetzung soll mal wieder mit einer Änderung der Rechtslage reagiert werden.
Faktisch würde der Vorschlag Versammlungen künftig auch zum Schutz der öffentlichen Ordnung verbieten zu können den Versammlungsbehörden einen erheblich größeren Spielraum eröffnen, um das Versammlungsrecht zu beschränken.
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16 Jul 20
Heute tagte der Untersuchungsausschuss zum Anschlag von #Halle. Das letzte mal vor Prozessbeginn. Es ist schwer die Erkenntnisse aus vielen Stunden öffentlicher und nichtöffentlicher Befragung zusammenzufassen, aber ich probiere es. #9Oktober
Bisher habe ich niemanden gefunden, der konkret benennen konnte welche Folgen die Attentate von Pittsburgh und Christchurch für die Arbeit der Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt hatten und welche Schlussfolgerungen gezogen wurden, welche Erörterungen es gab. 2/
Die Rolle des Internets sowohl für die Radikalisierung und Szenebindung von Rechtsterroristen, als auch bei der Durchführung der Tat, war an keiner Stelle ausreichend präsent. Ob es bei den Sicherheitsbehörden jemand gab, der gezielt parallel zum Einsatzgeschehen 3/
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