Auf Insta und Twitter sehe ich öfter Posts von sogenannten #notjustsad-Aktivist:inen, die eine (!) depressive Episode überstanden haben und die Krankheit als Geschenk ettikettieren. In ihrem unreflektierten Eifer erklären sie das Mindset Betroffener zum Problem.
Nicht selten bieten sie sich als Depressions-Expert:innen an und posaunen in ihren Beiträgen hinaus, wie sie ihre Krise mit purer Dankbarkeit bewältigt hätten. Sie seinen unfassbar froh über diese „außergewöhnliche Erfahrung“. Soweit, so weird. Doch dann machen sie einen Fehler.
Sie glauben, dass ihre Erkenntnisse auch für andere gelten und dass ihr Weg DER Weg für alle ist. Sie behaupten, depressive Menschen müssten nur ihre Perspektive justieren. Sie müssten verstehen, wie TOLL die Krankheit eigentlich sei. „Die Depression ist ein Geschenk.“
Was diese „Experten“ nicht sehen können ist das Limit und die Kehrseite ihrer Claims. Denn Betroffene bekommen so das Gefühl vermittelt, sie selbst seien Schuld daran, wenn sie aus einer depressiven Episode von heute auf morgen nicht herauskommen.
Da Depressionen tödlich sein können, sind die Versprechen dieser Scharlatane nicht ungefährlich – denn so verkennt man möglicherweise eine suizidale Krise und sucht sich keine psychiatrische Hilfe.
Psychotherapie und Antidepressiva werden gerne von diesen Leuten kritisiert. Dann fallen krude Sätze wie „Antidepressiva? Drogen!“ oder „Die Schulmedizin in Psychiatrien ist auf dem Stand des Mittelalters“. Beides ist falsch.
Die Depression ist eine Erkrankung, die mit wissenschaftlich geprüften Verfahren wie der Psychotherapie und Psychopharmaka behandelt wird. In suizidalen Krisen retten psychiatrische Kliniken Leben. Die Romantisierung der Krankheit ist ein Problem. Und sie ist gefährlich.

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19 Aug 21
Meiner Erfahrung nach glauben viele Menschen, dass #Depressionen eine Art »Ich hab‘ ne Krise«-light sind.

Sie unterschätzen, dass die Krankheit das Leben eines bislang aktiven und glücklichen Menschen komplett zum Stillstand bringen — und dann in Grund und Boden verwüsten kann.
Deshalb reagieren sie irritiert, wenn eine Person keine Kraft dafür hat, sich zu duschen, eine Tasse Kaffee zu kochen oder etwas Frisches anzuziehen. Sie *können* es nicht nachvollziehen — und reagieren entsprechend.
Viele wissen nicht, dass die Krankheit tödlich sein kann, weil sie Depressionen und Suizidalität nicht als Ursache und Wirkung kennengelernt haben.

Sie glauben, Suizid sei immer eine Stressreaktion — und nicht die fatale Folge einer Krankheit, die alle treffen kann.
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8 Aug 21
Es kostet mich ein bisschen Mut und Überwindung, das zu schreiben – aber jetzt ist es soweit:

Warum ich darüber nachdenke, ein Leben lang #Single zu bleiben.

Ein Thread über Depressionen und Partner:innenschaften.
Letztes Jahr fiel mir etwas merkwürdiges auf. Immer, wenn meine Depressionen ausbrechen, bin ich in einer Beziehung. Die letzten drei Episoden war ich gleichzeitig frisch verliebt – und jedes Mal landete ich in der Psychiatrie.
Mein Therapeut sagte mir dieses Jahr: Martin, ich mache mir keine Sorgen, wenn Du eine Beziehung beendest, ich mache mir Sorgen, wenn Du eine neue Beziehung startest. Es ist schwer zu beschreiben, aber wenn ich mich verliebe, dann bricht etwas in mir.
Read 11 tweets
7 Aug 21
1/ Es ist Samstag, 16.49 Uhr. Du hast die ganze Woche auf dem Bau durchgearbeitet und seit gestern Abend 20 Stunden geschlafen. Du öffnest die Augen, versuchst aufzustehen, bemerkst aber zu Deinem Schrecken »ACH DU SCHEISSE« dass Du Dich besten Willen nicht rühren kannst.
2/ Du hast um 19 Uhr ein Treffen mit Freund:innen, jedoch ist Dir das völlig egal, weil Du einfach nur weiterschlafen willst. Einkaufen wolltest Du auch — egal. Deine Freundin anrufen — »AUF KEINEN FALL«: Deine Knochen fühlen sich an wie dreißig Tonnen harter Zement.
3/ Du denkst darüber nach, Dich umzudrehen, Dein Körper sehnt sich so sehr danach, Du denkst denkst denkst und als Du Minuten später einen Versuch startest, kommst Du nicht weit. Du bleibst exakt so liegen, wie Du aufgewacht bist. »ICH WERDE EINEN MONAT SCHLAFEN«.
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8 Jul 21
Liebe Leute, wir müssen reden. Denn es gibt Menschen, denen mein permanentes, offenes und verletzliches Schreiben über meine Krankheit, Depressionen auf die Nerven geht. Und wisst ihr was? Ich don't give a Fuck. Denn ich verfolge ein Ziel: [Thread!] (1/9)
Wenn wir WIRKLICH wollen, dass mehr Menschen sich trauen, offen über ihre Krankheit zu schreiben, dann müssen wir etwas dafür tun. Denn diese Gesellschaft wird sich nicht alleine verändern. Die Stigmatisierung psychisch kranker ist IMMER NOCH ein Problem. (2/9)
Es ist bequem, sich mit der eigenen Twitter-Blase zu begnügen, sich zurückzulehnen und zu denken: WIR haben es kapiert.

Realitäts-Check: Jedes Jahr erkranken 5,3 Millionen der erwachsenen Deutschen an einer Depression. Millionen! Jesus f***** Christ. (3/9)
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8 Jul 21
Ja, der Lockdown war schlecht für die psychische Gesundheit. Aber: Es wäre schlimmer gewesen, es nicht zu tun. Das schreiben Dirk Richter und Lucy Foulkes im Guardian (Thread) #mentalhealth (1/9)
Die Auswirkungen der Lockdowns auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung wurde zur Monition für Lockdown-Kritiker und -Gegner weltweit.
„Auf den ersten Blick wären weniger harte Maßnahmen offensichtlich besser für unsere kollektive psychische Gesundheit gewesen.“ (2/9)
Richter und Foulkes schreiben: „Tatsächlich könnten weniger restriktive Sperrmaßnahmen zu ebenso vielen psychischen Problemen – und möglicherweise zu mehr geführt haben.“ (3/9)
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23 Aug 20
Arschlöcher und die #Psychiatrie: Ein Plädoyer gegen die permanente Stigmatisierung psychisch Kranker in 17 Tweets (1/17):
Liebe Leute, ich habe es satt, permanent auf eine Linie mit Menschen gebracht zu werden, die sich wie Fanatiker*innen oder Arschlöcher verhalten – oder schlicht und ergreifend Nazis sind. (2/17)
Gestern Abend las ich in meiner erweiterten Twitter-Bubble dass Xavier Naidoo ein „Psycho“ ist „in die geschlossene psychiatrische Anstalt“ gehört, weil er aufforderte, Handys in Alufolie zu packen. Und es ist nicht das erste Mal, dass ich diesen Zuschreibungen begegne. (3/17)
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