Thread by @martinkaul

Shoppingwochen im Ministerium, #Bundeswehr-Beschaffung jetzt im Kriegsmodus. Der gestrige Tag wird entweder als historischer Paukenschlag in die Bundeswehrgeschichte eingehen - oder als Grundproblem einer neuen Skandalepoche. Historisch ist er allemal. Ein laaanger #Thread. (…)

Ich habe heute die gestern gezeichneten Erlasse & Weisungen aus dem Verteidigungsministerium gelesen, durch die künftig alles besser werden soll bei der Beschaffung. Ich habe noch nie einen so schlichten & weitreichenden Verwaltungsvorgang gesehen. Sehr interessant. (…)

Im Kern versucht der Erlass, alle bisherigen geltenden Regelungen mit einem 4-Seiten-Dokument neu zu definieren. (…)

Wenn man so wirklich Politik machen kann, wäre das ein echtes Novum in Deutschland. Warum? Weil durch die Weisungen pauschal alle existierenden Verwaltungsvorgänge, Befehle, Prinzipien, Beschaffungsregeln und Haushaltsgrundsätze einer neuen Lesart unterworfen werden sollen. (…)

Wäre ich Rechts- oder Verwaltungswissenschaftler, wäre ich jetzt verliebt in meinen neuen Job - mit Berufsgarantie. (…)

Vorab: Dass die deutsche Bundeswehr ein Problem bei der Beschaffung neuen Materials, neuer Waffen, neuer Panzer hat, ist wahrlich keine Neuigkeit. (…)

Immer wieder gerieten gigantische Rüstungsprojekte in der Vergangenheit in Verzug, wurden deutlich teurer - oft, weil bei Beschaffungsvorgängen mal um mal neue Sonderwünsche hinzukamen. Am Ende oft so uferlos, dass es gar nicht ging. (…)

„Goldrandlösungen“, nannte das der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, etwas abfällig. Er beschied nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine: Damit müsse es nun vorbei sein. Richtig so. (…)

Verfolgt werden solche Wahnsinnprojekte auch weiterhin. Sie tragen Abkürzungen wie #FCAS & #MGCS & zeichnen sich dadurch aus, dass sie so kompliziert sind, dass sie nicht fertig werden, auch weil es vor allem darum geht, der eigenen Wirtschaft Wettbewerbsvorteile zu sichern. (…)

Inzwischen heißt der Generalinspekteur Breuer, der Minister Pistorius & beide krempeln die #Bundeswehr & ihre Beschaffungspraxis offenbar endgültig um - oder wollen es. Pistorius macht einen großen Wurf. Er will eine neue „Risikobereitschaft“ in der Bundeswehr fördern. (…)

Veranlasst werden soll das mit einer Weisung des Generalinspekteurs (3 Seiten) & einem Erlass des Staatssekretärs (4 Seiten). Das ganze hat 2 Grundprinzipien: Alles muss schnell gehen. Und gekauft wird, was es gibt & nicht, was es nicht gibt. (…)

In den unterschiedlichen Bereichen der Bundeswehr wird das Schreiben von Staatssekretär Zimmer derzeit mit Freude & Irritation studiert, weil sehr viele Regeln nach Ermessen ausgesetzt & uminterpretiert werden sollen. Die Botschaft: Alles muss JETZT SEHR SCHNELL gehen. (…)

Helfen sollen dabei die in Ihrer Kürze doch erstaunlich klaren Sätze, wie diese. Ich empfehle, sie alle einzeln zu lesen. Es ist ein Feuerwerk der Anweisungen. (…)

„Die Beschleunigung militärischer Beschaffungen ist mit sofortiger Wirkung handlungsleitend.“ (…)

„Bis zu einer Verstetigung im Rahmen der zu überarbeitenden Regelungen dient dieser Erlass als verbindliche Vorgabe, insbesondere für alle Funktions- und Entscheidungstragenden, deren Handeln (…) Auswirkung auf die Beschaffung hat.“ (…)

„Alle Führungsebenen im Beschaffungswesen handeln im Sinne dieser Vorgaben eigenständig und eigenverantwortlich.“ (…)

„Der Erlass ist den bestehenden Regelungen und Verfahrensvorschriften vorzuheften und ist anderweitigen bundeswehrinternen Vorgaben und Regelungen (…) übergeordnet.“ (…)

„Die Verfahrensvorschriften sind im Sinne dieses Erlasses im Nachgang binnen sechs Monaten anzupassen.“ (…)

„Ausnahmeklauseln für die Bundeswehr in gesetzlichen Regelwerken sind konsequent zu nutzen, sofern die Voraussetzungen vorliegen.“ (…)

„Soweit bundeswehrinterne untergesetzliche Regelwerke die gesetzlichen Regelungen verschärfen, sind diese hiermit ausgesetzt.“ (…)

Übersetzt: Wir hauen mit dem Vorschlaghammer auf das Gesamtsystem. Die Regeln regeln wir später, jetzt wird erstmal entschieden. Alle sollen nach neuen Maßstäben handeln - aber in eigener Verantwortung. (…)

Am interessantesten für Insider ist aber dieser, vielleicht schwer verständliche Satz, den ich gleich erkläre: (Achtung, es folgt ein schwieriger Satz, jetzt nicht nachlassen!) (...)

„Bedarfs- und haushaltsbegründendes Dokument ist grundsätzlich das Dokument „Fähigkeitslücke und Funktionale Forderung mit Lösungsvorschlag“ (…) Die Dokumente sind auf den zwingend erforderlichen Umfang zu reduzieren.“ (Achtung, jetzt kommt die Erklärung) (…)

Was das bedeutet? Das ist eine ziemliche Bankrotterklärung für die bisherige (turbokomplizierte) Beschaffungspraxis, angefangen mit der Bestimmung einer "Fähigkeitslücke" der Bundeswehr. Warum? (...)

Bislang wurde in einem ewig langen Prozess unter Beteiligung aller Möglichen diese sog. „Fähigkeitslücke“ erst lang erkannt, dann beschrieben, dann theoretisch gelöst, dann praktisch per Pilot gelöst, dann geprüft, dann bestellt, dann am Ende vielleicht wirklich gelöst.“ (…)

Nun soll das komplette Vorgehen beim Planungsamt der Bundeswehr offenbar auf ein paar Mini-Dokumente runtergeschraubt werden. Spannend, mutig, interessant. (…)

Ob man allerdings wirklich mit lediglich drei bis sieben Din-A4-Seiten die gesamte Beschaffungspraxis der Bundeswehr rechtssicher grundreformieren kann, darauf bin ich sehr, sehr gespannt. Es kann Maßstäbe setzen - aber auch richtig nach hinten losgehen. (…)

Ich glaube, dass dieses Vorgehen extremen Mut zeigt, dass es aber auch extrem riskant ist. Denn es ist absehbar, dass diejenigen, die entscheiden müssen, in etliche rechtliche Zielkonflikte laufen werden. (…)

Andererseits: Vielleicht ist es auch die politische Vorgabe, die einfach mal nötig ist, damit sich endlich wieder etwas bewegt. Was denkt ihr dazu, #miltwit? Und Ihr da im Beschaffungswesen, die ihr jetzt ransollt?