Ich kann's nicht mehr hören, dass Sexarbeit emotional ja so belastend ist. Ich hab' sieben Jahre Sexarbeit gemacht, fünf davon hauptberuflich. Seit einem guten Jahr bin ich 30h/Woche als IT-Beraterin angestellt. Sexarbeit vs. Büroarbeit - ein Thread.
In der Sexarbeit hatte ich manchmal anstrengende Gäste. Aber welche Gäste ich überhaupt anziehe, konnte ich durch meine Werbung gut mit steuern. So oder so waren sie nach spätestens 3 Stunden wieder weg. Wenn sie zu anstrengend waren, haben sie keinen zweiten Termin bekommen.
Wenn sie wiederkommen durften, habe ich sie meist erst Monate später wieder gesehen. Viele kurze Beziehungen von max. ein paar Stunden Dauer am Stück. Jeder Termin in sich abgeschlossen. Das macht Abgrenzung einfach. Meine Spielregeln habe ich selbst gemacht.
Im Büro habe ich manchmal anstrengende Kolleg_innen. So wie die meisten Gäste nett waren, sind auch die meisten Kolleg_innen nett. So wie die anstrengenden Gäste i.d.R. keine Arschlöcher waren, meinen es die anstrengenden Kolleg_innen nicht böse. Sie ticken halt anders als ich.
Aber die Kolleg*innen sind nicht nach ein paar Stunden wieder weg. Sie sind morgen wieder da. Und übermorgen. Und nächsten Monat auch noch. Kolleg*innenbeziehungen sind echte, andauernde Beziehungen, die deutlich mehr Auseinandersetzung erfordern als kurze, einzelne Begegnungen.
Mein erstes Jahr Büro hat mich emotional mehr gefordert als die 7 Jahre Sexarbeit vorher in Summe. Das liegt auch an weniger Selbstbestimmung, an fehlendem Rückug im Großraumbüro & einem Arbeitsumfeld, das wenig Aufmerksamkeit auf die emotionalen Aspekte des Arbeitens verwendet.
Ich habe einen Chef, der ermutigt, wertschätzt, positives Feedback gibt. Toll, oder? Im Vergleich zu so viel Dankbarkeit, positiven Emotionen und Wertschätzung, wie ich sie in der Sexarbeit erlebt habe, ist es trotzdem ein Kontrast, den ich erstmal verknusen musste.
Es gibt Gründe, warum ich das mache: ich lerne was von den Kolleg_innen. Ja, auch von den anstrengenden. Ja, auch aus den Auseinandersetzungen. Ich mag Teamarbeit. Ich arbeite an Themen, die ich intellektuell spannend finde. Manches davon hat mir vorher gefehlt.
Ich zahle für diese Vorzüge aber auch einen emotionalen Preis. Bevor ich angestellte Büroarbeit kannte, hätte ich vielleicht zugestimmt, dass Sexarbeit emotional mehr fordert als viele andere Berufe. Inzwischen glaube ich, dass es individueller ist, als ich dachte.
Für mich, so wie ich ticke, war Sexarbeit eine emotional unfassbar bequeme Arbeit.
Und, ja: Privilegien und so. Aber ich vergleiche privilegienversüßte Sexarbeit mit privilegienversüßter Büroarbeit... als Informatikerin habe ich ja auch nicht die schlechteste aller möglichen Verhandlungspositionen.
Noch'n Gedanke: Sexarbeit ist viel emotional labour, klar. Aber wenn Du als empathiebegabte Person mit anderen Leuten in einem Kontext zusammenarbeitest, wo sich wenig um Psychohygiene gekümmert wird, dann wird das auch emotional labour. Nur nicht gesehen, anerkannt, honoriert.
So, und im ersten Tweet fügen wir jetzt noch hinzu: "Ich kann's ---> von Leuten ohne eigener Erfahrung in Sexarbeit <--- nicht mehr hören, dass Sexarbeit ja ---> grundsätzlich und per se <--- emotional so belastend ist.
Mir geht es wirklich nicht darum, (Ex-)Kolleg_innen, die andere Erfahrungen gemacht haben als ich, diese abzusprechen.
