Thread by @rudifussi

DIE ANGST UND DER VERSTAND - EIN POLITISCHER THREAD

Habt Ihr eigentlich vor irgendetwas Angst? Wie z.B. vor Schlangen oder Flugreisen? Oder Angst im Dunkeln? Oder Höhenangst? Ich hab total viele Ängste eigentlich. (1)

Ich kann z.B. nicht allein im Dunkeln einschlafen. Als Kind hat meine Mutter die Tür zum Kinderzimmer immer offen gelassen, damit das Ganglicht durch den Türspalt reinscheint. Das hat sich bis heute nicht verändert. Auf Geschäftsreisen lasse ich den Fernseher ohne Ton laufen (2)

Ich hab überhaupt Angst im Dunkeln. Alleine nachts auf einen Friedhof oder durch den Wald gehen, für mich nicht machbar, ich würde mich zu Tode fürchten, obwohl nichts sicherer ist als ein Wald oder Friedhof. (3)

Ich habe Höhenangst. Das geht soweit, dass ich mich nicht mal aus drei Meter Höhe von einem Schiff runterhüpfen trau. Neben mir hüpfen Kindern runter, die grad keine Windel mehr tragen. Ich schaff es nicht, ich lach selbst drüber, aber ich hab Riesenangst. (4)

Ich hatte in meinen Zwanzigern eine Zeit lang Panikattacken, hab zu viel gekifft. Bin jede Nacht gestorben, meine Angst war, dass mir die Aorta gerissen ist. Der Notarzt war einmal um 2 Uhr früh da. Ich war sicher: Ich sterbe jetzt. (5)

Ich hab immer genau gemerkt, wann die Attacke losgeht. Die Umstehenden haben gesagt: "Rudi, es ist nix." Ich habe gesagt: "Ich weiß." - Fünf Minuten später bin ich wieder gestorben. Die gingen übrigens einfach wieder weg nach einem halben Jahr, ich weiß bis heute nicht warum. (6)

Natürlich hab ich auch noch Angst vor Spinnen und ich würde nie in einem Zelt in der Savanne schlafen können oder irgendwo in einer Hütte, wo dann irgendwelche Viecher herumkrabbeln, egal, ob klein oder groß. Wäh. (7)

Und jetzt zum spannenden Punkt: Ich weiß, dass mir nichts passiert, wenn ich aus 3m ins Meer springe. Ich weiß, dass Spinnen und Co. wurscht sind. Ich weiß, dass mir im Dunkeln im Hotelzimmer nix passiert. Oder im Wald. Oder sonstwo. Das weiß ich alles. Der Kopf weiß das. (8)

Das Scheiß-Problem mit der Angst ist folgendes: Es bringt Dir nix, zu wissen, dass die Angst unbegründet und geradezu lächerlich ist. Sie ist ein Gefühl. Man kommt ihr nicht aus. Da bringt auch zureden nix. "Brauchst keine Angst haben". Danke, ganz lieb. Ändert null! (9)

Es gibt Menschen, die haben Ängste, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Denen rede ich dann auch zu und vergesse für einen Moment, dass es nix bringen wird, weil es bringt ja bei mir auch nix. Wer Angst hat, hat Angst. So einfach ist das. (10)

Wenn jemand z.B. Angst hat vor Menschen, die anders aussehen, dann ist das rational völlig gaga, aber derjenige hat einfach Angst. Meine Mutter hatte z.B. bei der Paris-Reise zur EM Angst vor Anschlägen, die war fix und fertig. Ich hab darüber nur gelacht. Das war falsch. (11)

Wenn mir jemand sagt, er habe z.B. "Angst vor Überfremdung" lach ich die meistens auch aus oder halt sie für Idioten. Oder er hat Angst, dass unter Flüchtlingen auch Terroristen sind. Oder er hat Angst, weil "bei mir im Gemeindebau immer mehr Ausländer sind". (12)

Ich habe diese Äußerungen nicht wirklich ernst genommen, wenn jemand gesagt hat, die Zunahme an Fremden mache ihm Angst. Rassist! Nazi! Trottel! - Oder höflich: Also bitte, das ist lächerlich, bei uns leben nicht so viele wie Du tust und das wird sich schon einspielen (13)

Unsere Gesellschaft, der sogenannte anständige Teil von uns, erklärt den aus unserer Sicht Ungebildeten, Vorurteilbehafteten, Ängstlichen ständig, dass das Bullshit sei. Und wir erklären warum. Aber, wir wissen, wenn jemand Angst hat, dann bringt zureden: NIX. (14)

Und jetzt mal ehrlich: Haben wir jemals versucht Ängste von anderen wirklich ernst zu nehmen, auch wenn sie für uns auf den ersten Blick lächerlich erscheinen mögen? Ich hab das noch nie versucht. Ihr? So absurd diese Angst auch sein mag, schon mal versucht? (15)

Ich mache mir wirklich große Sorgen um die Spaltung unserer Gesellschaft und das Erstarken der Rechtsextremen. Kann das nicht daran liegen, dass wir die Ängste der "Abgehängten" als Unbildung abgetan haben? Ich glaube schon, dass das damit ewas zu tun hat. (16)

Die Angst ist gegen den Verstand immun. Das wird immer so sein. Aber vielleicht kann man Menschen, die gewisse Zukunftsängste und Sorgen haben, den Respekt erweisen, einmal die eigene Bubble zu verlassen und diese Ängste für einen Moment ernst nehmen. (17)

Ich glaub, dass wir als Gemeinschaft viel weiterkommen, wenn wir uns unseren Ängsten stellen. Und die Politik muss diesen Menschen auch zuhören und nicht sagen: "Naja, das versteht Ihr einfach nicht." oder "Ja, hast recht, alles ein Gsindl". Es geht erstmals nur um Respekt. (18)

Was ist denn die bessere, schlechtere, höhere, anständigere Form der Angst? Angst vorm Einschlafen im Dunkeln oder Höhenangst? Angst vor jemandem mit Kopftuch? Oder dem Nachbarn, weil der seine Frau schlägt? Angst ist Angst. Ich hab das verstanden, hat lang gebraucht. (19)

Meine Oma hatte Angst als in Fohnsdorf bei uns ein Schwarzer herumging und seine Kunst Tür zu Tür verkaufte. "Da war jetzt a Murl, ich hab zittert am ganzen Körper". Wir haben die Oma ausgelacht, zeitlebens Sozialdemokratin, es war der erste Schwarze, den sie je live sah (20)

So ist das mit der Angst. Also, vielleicht sollten jene, die sich darüber empören, wenn Menschen (für uns rational nicht nachvollziehbar) AFD oder FPÖ oder sonstwen von den Hetzern wählen, einmal nachdenken, wie das mit der Angst wirklich ist. Ende. (21)