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Die "progressive" Internetbubble zeigt sich bei @12062020olympia von ihrer schlechtesten Seite - ein (absurder!) Thread.

Absurd darum, weil ich selbst nicht überzeugt bin, dass das Konzept #12062020olympia eine gute Idee ist.
Was aber in den letzten Wochen hier wieder passiert ist, ist so ermüdend, so erwartbar und irgendwie auch so typisch deutsch, dass einem nochmal klar wird, was für ein Wunder der anhaltende Erfolg von @FridayForFuture ist - denn Solidarität ist für Teile der Bubble ein Fremdwort.
Ich spreche nicht von konstruktiver und/oder solidarischer Kritik, die muss es natürlich geben. Ich spreche von dieser langanhaltenden, sich gegenseitig aufschaukelnden und für den neuesten Hot Take abfeiernden Selbstherrlichkeit:
"Jetzt machen sie noch dies" / "bilden sich jenes ein" / "erinnern mich an Adolf Hitler persönlich" / "haben komplett den Verstand verloren" / "verraten und verkaufen Demokratie, Klimabewegung und die Gründerväter" / "ich prophezeie X oder Y, zumindest aber das Ende von Z".
Eine Nummer kleiner / nuancierter geht nicht. Es muss alles bis zum letzten Mü perfekt sein oder es wird die größte Schande in der Geschichte der Bundesrepublik. Dazwischen gibt es nichts. Beispiele?
1 - Die Art zu kommunizieren: Finde ich auch erstmal seltsam, spricht mich nicht unbedingt an. Demokratie als Happening - not for me. Aber wenn man damit (vor allem junge) Menschen (vielleicht zum ersten Mal) in Kontakt mit bestimmten Themen bringt, warum nicht versuchen?
Warum immer alles gleich machen müssen, die gleichen Abläufe, die gleichen Redner*innen, die gleichen Demos, wenn das doch alles in den letzten Jahren so wenig Resultate gezeigt hat?
2 - Die ganzen schlauen Vorschläge, für was man das Geld noch hatte verwenden können. Das ist doch kein Argument, bzw. eines, mit dem man jedes einzelne Anliegen auf der Welt diskreditieren könnte:
"Für das Geld, was ihr hier für Plakate und Bühne ausgegeben habt, hättet ihr aber Waisenkindern in Buxtehude für ein Jahr Mittagessen kaufen können." In einer Liga mit: "Den Müll, den ihr hier bei der Demo macht, ist der eigentlich gut fürs Klima?!" Tausend Mal gehört.
Anliegen gegeneinander auszuspielen bringt niemanden weiter und den Anliegen, die für wichtiger erachtet werden, keinen Cent mehr. Wenn ihr sie wirklich unterstützen wollt, tut es. Denkt euch Kampagnen aus, sammelt Spenden, organisiert. Ansonsten: Einen Gang zurückschalten.
3 - Das Event will demokratische Prozesse ersetzen - seriously? Welche Prozesse werden damit genau ersetzt, wenn man Petitionen live mit 90.000 Menschen abstimmt? Jahrelang wird sich beschwert, dass das Interesse an Demokratie sich (wenn überhaupt!) mit dem Wählen erschöpft hat.
Und jetzt, wenn man (bereits zur Verfügung stehende!) Tools benutzen will, um vielleicht nochmal auf eine andere Art und Weise Öffentlichkeit herzustellen und Druck auszuüben, ist das ein Angriff auf unsere Demokratie? Okay.
Plattformen wie Campact und Avaaz können innerhalb weniger Minuten weit mehr Unterschriften sammeln, die u.U. weit weniger zwingende Konsequenzen haben. Ersetzt das demokratische Prozesse bzw. erhebt den Anspruch darauf? Ich glaube kaum.
4 - "Das Event spielt die Illusion von Teilhabe vor" - Wer diesen Punkt ernsthaft vorbringt, hat anscheinend eine wirklich niedrige Meinung von der Mündigkeit seiner Mitbürger*innen.
Ich jedenfalls glaube nicht, dass dort jemand das Handy zückt, einer Petition zustimmt und davon ausgeht, dass am nächsten Tag Tempo 130 auf allen Autobahnen gilt. Und auch hier kann man wenn nötig mit guter Kommunikation vor Ort gegensteuern.
Wer schonmal auf einer Demo war, weiß doch, wie empowernd das sein kann. Zusammen mit Zehntausenden für die gleiche Sache auf die Straße gehen, Vorbereitungstreffen organisieren, Flyern gehen, Nächte um die Ohren schlagen. Das kann doch aus dem Olympia-Stadion auch hervor gehen.
Und davon ab: Wenn ich dort für drei Anliegen stimme und dann sehe, dass der Petitionsausschuss des Bundestages ernsthaft über zwei MEINER Anliegen diskutiert, kann das doch auch beflügeln und Mut machen dranzubleiben, selbst wenn es nicht unmittelbar zum Erfolg führt.
5 - Demokratische Teilhabe nur für Privilegierte und nur gegen Geld - für mich zwar der valideste Kritikpunkt, ich glaube das hätte man besser machen können, aber auch hier: Verhältnismäßigkeit.
Es ist nicht so trivial wie teilweise suggeriert wird, demokratische Prozesse inklusiv zu gestalten. Von der Anreise über Kinderbetreuung bis zum Urlaub und der Verpflegung - die wenigsten Veranstaltungen bekommen das zu 100% (wenn das überhaupt geht) hin.
Wie gesagt, das Crowdfunding hätte besser aufgezogen werden können, aber die Alternative wären entweder große Organisationen oder eben Großspender*innen. Und wenn dann z.B. aus der SPD, deren Parteitag von Firmen wie RWE gesponsert wird, dieser Vorwurf kommt, I don't know.
6 - Unternehmen beteiligen. Der alte Vorwurf: Wenn es nicht non-profit ist, ist es böse. Auch hier gibt es nur schwarz oder weiß. Was z.B. Ben & Jerry's jahrelang für Bewegungen getan haben, egal. Sind böse. Finde das falsch und denkfaul. To change everything, we need everyone.
"Wie würdet ihr es finden, wenn Rechte sich so organisieren würden?" Ja wie würde man das finden, schlecht natürlich. Finde auch schlecht, wenn die als Pegida oder Fridays for Hubraum auf der Straße rumeiern, what's the point?
Ich bin auch skeptisch, aber die Klimakrise erfordert uns alle und wir sollten alle in die gleiche Richtung gehen, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen. Also entweder versuchen es zu verbessern (so wie @Schmidtlepp jetzt) oder was eigenes machen.
Am Bildschirm sitzen und große Töne spucken kann jede*r. Hilft aber niemandem. Darum viel Erfolg @beyond_ideology, @wegeheld & allen Organisator*innen. Ich hoffe, das wird ein gutes Event und ich hoffe, dass von dort aus viele Ideen und viel Energie in die gemeinsame Arbeit geht.
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