Thread by @laberfach

Es wird massiv unterschätzt wie aufwändig es ist, #Schule|n gelungen zu digitalisieren.

„Kann die Schule nicht einfach XY anschaffen?!“
„Man kann von Lehrer*innen ja wohl erwarten, dass sie mit YZ arbeiten können!“

Nein.

Ein Thread ⬇️
#Twitterlehrerzimmer 1/25

Erst einmal: In Deutschland sind digitale Kompetenzen SEHR heterogen verteilt:

Etwa 30% alle iPhone-Nutzer*innen haben keine einzige App installiert. Sie wissen nicht wie das geht, wollen nicht, dass ihr Smartphone noch komplexer wird oder haben Angst etwas falsch zu machen 2/25

Da digitale Kompetenzen in der Lehrer*innenbildung meistens (!) randständig bis gar nicht vorkommen, sind sie unter Lehrer*innen SEHR verschieden ausgeprägt, da meistens eigeninitiativ und in Eigenregie erarbeitet.

In den Elternhäusern ist es genauso. 3/25

Wenn die Schulleitung nun „einfach“ Tools/Lernplattformen einführt, trifft sie in den meisten Kollegien auf alles:

▫️Große Freude
▫️Interesse
▫️Schulterzucken („Jaja, wenn ich mal Zeit habe...“)
▫️offene Ablehnung („Was soll ich denn noch alles..?!“)
▫️Überforderung
4/25

Und deshalb krebst die #Digitalisierung deutscher Schulen vor sich hin:

Sie soll von massiv ausgelasteten Menschen getragen werden, die sich privat (und fast immer mit selbst gekauften Geräten und Software) fortbilden, um ein Schulsystem ohne Ausstattung digital zu machen 5/25

(Man stelle sich das in einem Unternehmen vor:

Tim Cook so: „Jah, ich weiß, ihr kennt euch mit Computern nicht so aus, aber vielleicht in eurer Freizeit...? Kauft euch alle erst einmal ein iPad, dann könnt ihr in der Abteilung ggf. mal Dateien austauschen...? 🤔“) 6/25

... und da sprechen wir noch nicht von fancy Konzeptarbeit zum Lernbegriff im Zeitalter der Digitalität, 4K, 21st Century Skills oder sonstwas, sondern basalem „Digitalisierung 101“ wie es 2020 JEDER Schule möglich sein müsste.

Wie kann das nun gelingen? 7/25

I. KOLLEGIUM MITNEHMEN

Unsere Schule steigt gerade auf MS-Teams um. Ja, trotz und wegen Corona und auf Entfernung.

Als erste Maßnahme sprachen unsere „Nerds“ (die berühmten Informatik-Lehrer, die 2 Stunden Entlastung für 20 Stunden Extra-Arbeit erhalten) einige K*uK an. 8/25

Wir (Lehrer*innen aller Klassenstufen und Fächer) wurden nun in mehreren Videokonferenzen fortgebildet, um als Multiplikator*innen den Kolleg*innen unserer Jahrgänge einen Einstieg und Hilfe bieten zu können, für die man keinen Master in Informatik braucht. 9/25

In diesem „Teams-Team“ konnten wir dann
a) besprechen, wie wir ALLE Kolleg*innen (unabhängig von ihrem Verhältnis zum Digitalen) mitnehmen können und
b) erste Konzepte ausknobeln, wie wir die Schüler*innen erreichen.

Das geht über reine Technik hinaus 🤷🏼‍♂️ 10/25

Wir veranstalten nun Videokonferenzen, an denen alle Klassenlehrer*innen eines Jahrgangs sowie einige Fachkolleg*innen ohne Klassenleitung teilnehmen.

Basisfunktionen zeigen, Fragen klären, quatschen, um Misstrauen vor Tools abzubauen, Praxisbeispiele an die Hand geben 11/25

Es ist absehbar, dass es bei einer Konferenz nicht bleibt.

Keine noch so formidable Fortbildung kann die unterschiedlichen digitalen Kompetenzen, Einstellungen und strukturellen Versäumnisse der letzten 10 Jahre in Deutschland auffangen.

Es braucht viel Zeit und Austausch 12/25

II. SPIELERISCH ERKUNDEN

Für die S*uS ist die Lernplattform auch schon offen. Es gibt dort noch keine Aufgaben oder Teilnahmezwang, aber sie können sich schon anmelden, umschauen, ausprobieren, den Klassenchat nutzen, Videoanrufe testen... 13/25

Diese „Gleitzeit“ macht vieles einfacher:

▫️Die Plattform ist „cool“, weil man erst einmal chatten und Videokonferenzen machen darf
▫️Man MUSS nichts ausprobieren, aber man WILL auch wie X und Y Bildchen posten
▫️Viele Technik-Probleme kann man schon in Ruhe beseitigen 14/25

III. AUSSTATTUNG

Warum ist das erst Punkt 3, wenn den meisten Schulen noch qualmende Overheadprojektoren und zwei rüstige Beamer pro 500 Schüler*innen an technischen Ressourcen zur Verfügung steht?!

Weil es mMn. ein Irrglaube ist, dass nur Technik Digitalisierung erzeugt. 15/25

Der wertvollste Ansprechpartner zur Digitalisierung ist eine Schule im Umkreis. Die hatten ALLES:

1:1-Ausstattung mit iPads, Software, Geräte für Lehrer*innen, engagierte Leute...

Sie fuhren damit kolossal vor die Wand. Am Ende wollte niemand mehr von Tablets hören. 16/25

Lektion: Es braucht ERST das Konzept, Zeit, Kolleg*innen, die ihren Unterricht umstellen wollen UND können, Eltern und Schüler*innen, die bereit sind, ein Experiment zu wagen und nicht bei jedem Holpern gegen ihre eigene Schule/Lehrer*innen wettern.

Das geht nur gemeinsam. 17/25

Dann aber: AUSSTATTUNG! 😳

Liebe Politik, es ist erbärmlich, mit welchem Taschengeld zur Digitalisierung ihr eure Schulen abspeist!

„Bring your own device“ (BYOD) ist der Standard. Welcher Koch muss im Restaurant „Bring your own Töpfe“ praktizieren?! 🙄🙄🙄 18/25

Das ist auch mit einem Digitalpakt nicht gegessen.

Wenn Schulen nach 1.000 Formularen und 10 x-seitigen Konzepten dann Geld bekommen, schaffen die meisten erst einmal Mäuse und Flachbildschirme für ihre seit 1996 vor sich hin gammelnden Computerräume an 🤷🏼‍♂️ 19/25

Langfristig wird es auf eine 1:1-Ausstattung der Schüler*innen mit Geräten (mutmaßlich iPads) hinauslaufen.

Im Beruf wird schon die aktuelle Schüler*innengeneration vornehmlich digital arbeiten und das Schulheft leiht sich auch niemand stundenweise in der Schule aus 🤷🏼‍♂️ 20/25

IV. WARTUNG

Die (Fern-)Verwaltung der Geräte ist aufwändig und wird immer aufwändiger. Das können die Informatiklehrer*innen in der Mittagspause neben ihrer Stulle nicht für eine ganze Schule leisten.

Das ist ein Vollzeitjob für professionelle Techniker (nicht Lehrer) 21/25

FAZIT

Wir müssen die Nadelöhre beseitigen:

▫️Wenn Schulen digitale Neuerungen einführen (können), müssen ZUERST (!) ALLE (!) Kolleg*innen mitgenommen werden
▫️Fortbilden kann dabei nicht nur, wer 3 Doktortitel in Informatik hat. Es geht um Didaktik und ums Tagesgeschäft 22/25

▫️Eltern und Schüler*innen müssen am Prozess beteiligt sein. Wenn sie beim Digitalisieren „mitmachen“, bringen sie wichtige Impulse anstatt von den Lehrer*innen nur zu erwarten
▫️Die Politik ist Schulen (d.h. Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen) Geld schuldig,... 23/25

... um Jahre der Digitalisierung aufzuholen, im Sinne der Chancengleichheit mit Geräten auszustatten usw.
▫️Ausstattung allein bringt nichts: Man lege einer Schule über Nacht 1.000 Tablets auf die Türschwelle - ohne Konzept wird nur das Schulklima massiv darunter leiden 24/25

▫️Der Kern ist und bleibt der Austausch, Zusammen-Ausprobieren, Hineinwachsen.

„Hier, liebe Schüler*innen/Eltern/Lehrer*innen, habt ihr Programm X. Viel Spaß damit 🤗“ funktioniert nicht.

Man braucht Zeit, Teamwork und Experimente, um sich etwas so großes anzueignen. 25/25

Disclaimer, weil Twitter:

Nein, ich bin kein Experte für Hardware, Software oder digitale Konzepte. Ja, ich twittere gelassen aus privilegierter Position, weil meine Klasse mit iPads versorgt ist.

Ich bin nur ein Lehrer, der seine Sichtweise teilt 🤗