Der journalist. Neutralitätsbegriff stößt bei vielen Themen an seine Grenzen. Oder viel mehr: die sehr vereinfachte Auslegung einiger Kolleg:innen davon.
Man kann (& muss sogar) zu allem kontrovers über konkrete Probleme diskutieren.
Was stattdessen oft passiert: Menschen, die sich noch nie ernsthaft mit den Themen auseinander gesetzt haben, werden eingeladen, um Argumente zu wiederholen,
die teils seit Jahren & Jahrzehnten widerlegt sind. Diese werden als Meinung deklariert, die es verdiene gehört zu werden.
Wissenschaftliche Erkenntnisse werden oft komplett ignoriert. Bzw. anstatt diese als Grundlage der Diskussion zu nehmen, wird der einen Seite aufgebürdet,
diese immer & immer wieder zu erklären. Das führt dazu, dass wir diskursiv auf der Stelle treten. Und damit auch gesellschaftliche Veränderungen bremsen.
Man kann argumentieren: Die Gesellschaft ist noch nicht so weit, solange müssen auch solche Meinungen repräsentiert werden.
Ich stimme dem sogar grundsätzlich zu. Allerdings ist es nicht Aufgabe des Journalismus, diese Meinung einfach unhinterfragt immer wieder zu reproduzieren.
Journalist:innen & Moderator:innen sollten den Stand einer Diskussion & der wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu kennen, Meinungen von Fakten unterscheiden können & diese im Verlauf einer Diskussion oder eines Textes immer wieder entsprechend einordnen.
Widerlegte Argumente immer & immer wieder zu reproduzieren & wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren führt etwa dazu, dass wir in Deutschland noch immer diskutieren:
- Gibt es überhaupt #Rassismus in Deutschland?
- Ist das mit den #Sexismus wirklich so schlimm?
Es verstellt den Blick auf die Frage: Wie lösen & ändern wir das?
Wir diskutieren noch immer: Wie viel #Klimaschutz können wir uns leisten? Wobei die Frage seit 30 Jahren lauten müsste: Wie können wir ihn möglichst schnell & sozial gerecht umsetzen?
Dass Rassismus, Sexismus & die Klimakrise reale & dramatische Auswirkungen haben, kann niemand ernsthaft bestreiten. Es ist hinlänglich bewiesen.
Man kann sich allerdings entscheiden es zu ignorieren. Wenn man das Privileg hat, die Auswirkungen (noch) nicht jeden Tag zu spüren.
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Auch viele Journalist:innen reagieren auf die #Klimakrise mit kognitiver Dissonanz & Verdrängung. Selbst einige Klimajournalist:innen.
Was ich in den letzten Monaten lernen durfte: Faktenwissen allein reicht oft nicht aus, um das Ausmaß der Klimakrise zu begreifen.
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Man muss auch den Gedanken zulassen können, dass das was mit seinem eigenen Leben zu tun hat.
Ich selbst konnte das lange nicht. Ich habe in den vergangenen 3 Jahren fast täglich zur Klimakrise gelesen, kannte alle wesentlich Daten, Fakten & Graphen.
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Aber die Jahreszahlen auf der X-Achse wurden im Kopf nicht mit meinem eigenen Lebenslauf verknüpft. Oder dem möglicher Kinder.
Obwohl ich die Temperaturkurven für 2050 kannte, hatte ich keine Vorstellung davon, was 2 Grad für mein 60-jähriges Ich und die Welt bedeuten.
Die kommende Bundesregierung ist realistisch betrachtet die letzte, die (evtl.) noch ausreichende & sozialverträgliche Maßnahmen einleiten kann, damit Deutschland seinen fairen Anteil zu 1,5 Grad leistet.
Richtig? Hab ich was übersehen?
Mir ist bewusst, dass es auch die Auffassungen gibt, dass das a) schon nicht mehr gehe (siehe PPM) oder b) mit einem Restbudget von < 7 Jahren nicht mehr sozialverträglich möglich sei.
Aber: Wenn man es noch ernsthaft versuchen wollen würde, dann ... jetzt?!
Frage, weil die Debatte das bisher nicht annähernd widerspiegelt. Dass etwa kein CDU-Vorsitzkandidat einen ernsthaften Klimaplan hatte, stand ja nicht gerade im Zentrum des medialen Interesses.
#Klima erscheint weiterhin als ein Thema unter vielen. Als hätten wir noch Zeit.
Ich übersetze das mal, auf Englisch kann man das so leicht überlesen:
Wir müssen den #Klimanotstand anerkennen. Die nächsten 10 Jahre werden darüber entscheiden, ob unsere Generation ‚ernste‘ Klimafolgen erleben wird - oder ‚verheerende‘.
Detaillierter beschreibe ich das übrigens hier. Gefaktchecked und tw. sogar mitgezeichnet von mehreren weltweit führenden Klimawissenschaftlern: uebermedien.de/52582/journali…
Übrigens müssen wir innerhalb der nächsten 10Jahre bereits einen enormen Teil der Transformation hinkriegen. 2030 diskursiv endlich da anzukommen, dass wir uns das Ausmaß der Krise eingestehen, wird nicht reichen. Je schneller wir das tun, je schneller wir handeln - desto besser.
Massives Problem in der Diskussion um #Klimaschutz:
Wir reden über sehr unterschiedliche Dimensionen von Gefahren, die es abzuwehren gilt - & entsprechend unterschiedliche Ansätze, was & wie viel & wie schnell zu tun ist.
1. Die ferne abstrakte Bedrohung: sind oft Menschen, die noch immer konsequent von ‚Klimawandel‘ sprechen. Denken, der ‚Wandel‘ vollziehe sich langsam & halte auch ein paar positive Überraschungen bereit. Haben Kipppunkt oft nicht verstanden, entsprechend auch nicht die Akutheit.
2. Die nicht ganz so abstrakte, aber immer noch ferne Bedrohung: „Schon alles schlimm, aber trifft ja frühestens meine Ur-Enkel. Und bis 2050 kriegen wir das schon hin, ne?“ Fliegt mit schlechtem Gewissen & beschäftigt sich lieber nicht zu genau mit den Auswirkungen.
Aus politischer & psychologischer Sicht sehr lesenswert, wie @tinchilla & @ecraether im @DIEZEIT-Interview immer wieder versuchen, der kognitiven Dissonanz von Joschka Fischer zur #Klimakrise beizukommen.
Einerseits kennt er die Kipppunkte; weiß, dass die Klimaschutzmaßnahmen immer radikaler ausfallen müssen, umso länger wir warten & erkennt an, dass sich @FridayForFuture aus ‚zwingenden Gründen’ auf ‚das Jetzt & die nähere Zukunft‘ konzentrieren.
Andererseits kritisiert er ihre Kompromisslosigkeit (als wäre das nicht die der Physik) & beharrt darauf, dass im Parlament nur alle 4 Jahre Mehrheiten geändert & Kompromisse nur langsam errungen werden können. (Obwohl die planetaren Grenzen keine Kompromisse anerkennen werden.)
Es ist einigermaßen faszinierend, dass es @zeitonline auch am Vorabend von #VoteThisCAPdown nicht für nötig hält, auch nur einen einzigen kritischen oder zumindest angemessen einordnenden Text zur EU-Agrarpolitik online zu stellen. Wie bei jedem klimapolitischen Großereignis in
den letzten Wochen gibt’s nur aus Agenturen zusammengeklöppelte & entsprechend oberflächliche Stücke. Als wäre die #Klimakrise etwas, das man wegmelden kann.
Dabei stellt die Redaktion bei #Corona ja seit Monaten unter Beweis, dass sie Wissenschaftsjournalismus eigentlich kann.
Dass sie weiß, was exponentielle Kurven bedeuten; dass auch abstrakte wissenschaftliche Werte politische & reale Auswirkungen haben. Dass nicht jede politische Meinung gleich gewichtet werden kann, weil sie wissenschaftlich teils einfach Bullshit sind. Und entsprechend weniger