Eine aktuelle Studie aus Oxford, (medrxiv.org/content/10.110…) basierend auf Forschungsnetzwerk Daten vor allem aus den USA, wurde vor 10 Tagen als Preprint (noch nicht begutachtet, man kann Anhänge nicht einsehen) veröffentlicht.

Thread mit allgemeinverständlichen Erklärungen ⬇️
Die Studie untersucht etwa 10.000 Geimpfte
mit Durchbruchinfektionen gegen eine passende Kontrollgruppe und zeigt zunächst erwartbare Ergebnisse:

➡️ Covid Impfung reduziert effektiv das Risiko von schweren #COVID19 Verläufen (ITS, Tod, Beatmung etc.), zwei Impfungen schützen
besser als eine, Menschen >60 profitieren
weniger als Jüngere usw.

💡Erklärung der Grafik: Die Abbildung zeigt einen sogenannten Forestplot, der das relative Risiko für die Symptome/Ereignisse gegenüber der Kontrollgruppe als Punkt und den Vertrauensbereich des Ergebnisses
(Strich) darstellt. <1 ist eine Reduktion des Risikos, >1 ist ein Anstieg; 0.9 heißt daher ein etwa 10% geringeres Risiko. Vertrauensintervalle, die die y Achse kreuzen sollte man generell mit Vorsicht genießen, können aber u.U. auch aussagekräftige Ergebnisse zeigen.
➡️ Das Neue an der Studie ist nun: sie zeigt, dass das Risiko für
#LongCovid/Post Covid Symptomatiken nicht durch die Impfung reduziert wird.

Da dieser Fakt aber derzeit auf Twitter einfach so hingeknallt wird, einige Anmerkungen:
1️⃣ Einige wenige LongCovid Symptome zeigen sehr wohl signifikante Reduktion, allerdings nur in der Gruppe mit zwei Impfungen: z.B. Myalgie, Anosmie. Leider kann der Anhang zum Preprint noch nicht eingesehen werden, um da nochmal tiefer in die Daten zu schauen.
Außerdem, und ich
meine, da begeben sich die Autoren mMn. auf etwas dünnes Eis, gibt es signifikante Verringerungen des Risikos bei Myalgie, Fatique, Schmerzen und Atemproblemen, die aber nach multiplen Testen statistisch nicht stand halten.

💡Erklärung Multiples Testen:
Korrektur für Multiples
Testen (hier mittels Bonferroni Test) wird durchgeführt, weil es bei jedem statistischen Test eine zurückbleibende Ungenauigkeit gibt. Diese wird i.d.R so definiert, dass nur 5% der signifikanten Ergebnisse fälschlicherweise als signifikant gewertet werden. Wenn man also 100x
rechnet, zB. weil man 100 Symptome anschaut, sind da statistisch 5 falsche Funde dabei. Darum korrigiert man das Ergebnis nochmal nach unten. Die Autoren haben hier nun Bonferroni benutzt, dieser Test ist sehr streng und daher nicht immer sinnvoll, das ist letztlich eine Abwägung
der Autoren. Ob es sinnvoll ist, die Ergebnisse nochmal explizit ohne Korrektur zu diskutieren, daran habe ich allerdings meine Zweifel.
Das Ganze ist letztlich Abwägungssache.

2️⃣ Der zweite interessante Punkt betrifft die Datenerhebung. Hier wurden elektronische
Daten von Gesundheitssystemservern genutzt, anstatt Selbstrecordings. Die Autoren sprechen an, dass es relative Unterschiede in der Inzidenz von LongCovid Symptomatiken zu einer Studie mit App-basierten Selbsterhebungen gibt (Selbstreportings habe ich wiederholt als problematisch
diskutiert, hier ist einfach schneller in einer App geklickt als zum Arzt gegangen). Ich finde daher die hiervorliegenden Daten überzeugender. Die Ergebnisse könnten aber daher auch davon beeinflusst sein, dass generell seltener LongCovid Symptome erfasst wurden und daher
Unterschiede zur Kontrollgruppe geringer waren. Da die Daten nur relativ angegeben sind und der Anhang noch nicht verfügbar ist, kann ich da leider nicht gezielter prüfen.

❓Maybe @MaximeTaquet could comment on this?
You mentioned a “relative differences in the incidence of
individual long-COVID features [... that] differ from those of an app-based survey” in your recent preprint. Since you use federated health network data instead of self reporting: is your incidence of Post Covid Symptomes lower than in studies based on self reporting? Could this
explain smaller differences? Is there any supplemental data available, yet?

3️⃣ Jüngere profitieren deutlich stärker von der Impfung als Ältere. Hier ist natürlich eine Zeitkomponente zu beachten, da die älteren Personen in den meisten Staaten früher geimpft wurden und der
Zeitraum nach Impfung nicht näher erfasst wurde. Dass der Schutz vor Durchbruchinfektionen nach kurzer Zeit signifikant sinkt (thelancet.com/journals/lance…) kann auch ein Hinweis darauf sein, dass weitere Schutzmechanismen mit der Zeit nachlassen. Das ist aber hier nur Spekulation.
Naheliegend ist die Erklärung, dass das Immunsystem mit dem Alter als Effektivität verliert.

Was schließen wir daraus?

➡️ Ältere Menschen sollten die Chance zu Boostern unbedingt wahrnehmen, gerade jetzt vor der Wintersaison, auch um einen Mix mit anderen Erregern zu vermeiden.
➡️ Long Covid ist und bleibt eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Es wird vermutlich noch eine ordentliche Zeit dauern, bis wir die Mechanismen verstanden haben.
Nachtrag: keine Ahnung warum ich oben vor 10 Tagen geschrieben habe, es muss vor 2 Tagen lauten (vermutlich wegen etwa 10.000 Patientinnen und mit dem Kopf schon beim nächsten Punkt). Ist natürlich für die Daten irrelevant, aber der Richtigkeit halber hier noch als Nachtrag.

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22 Oct
Letzte Woche „Altern im Zeitraffer“, diese Woche Demenz, nächste Woche dann Krebs?
Warum bleiben wir nicht bei dem, was die Studie aussagt, anstatt zu spekulieren? Sie sind kein Neurologe & ich bin keine Neurologin, aber die Autoren des Papers sind es und die AutorInnen des
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Die beschreiben nämlich in der Arbeit, dass Sars-Cov2 bei Menschen & in Versuchen an Hamstern & Mäusen eine bestimmte Zellsorte, die die innere Wand von Blutgefäßen, das Endothel, aus-
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20 Oct
Interessante Publikation vom @rki_de vom 06.10.2021 (rki.de/DE/Content/Inf…) und ich frage mich, wer da gerade hinters Licht geführt werden soll:

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20 Oct
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