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Jan Michael Marchart @janmarchart
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(Thread) Was mich an diesem Text abseits des fragwürdigen Demokratieverständnisses ärgert, ist die dieses verächtliche Herabsehen auf Menschen, die es schwerer haben, die "Leistung für überbewertet halten". Das lese ich öfter und nehme ich persönlich.
kurier.at/amp/meinung/ja…
Meine Eltern haben beide keine Matura, haben beide eine Lehre gemacht, für die es heute keine Jobs mehr gibt. Mein Vater etwa, gelernter Radio- und Fernsehtechniker, war seit den frühen 2000er Jahren immer wieder arbeitslos, was für die gesamte Familie Einbußen bedeutete.
Sie haben immer gearbeitet. Mein Vater war inzwischen Taxifahrer, hat im Außendienst für wenig Geld und Provision so ziemlich alles verkauft, was man sich vorstellen kann. Meine Mutter hatte schon in meiner Kindheit immer wieder mehrere Jobs gleichzeitig, wenn es knapp wurde.
Doch zählt das als "Leistung"? Nein. Politiker und diverse Leitartikler richten meinen Eltern gerne aus: "Hättest du nur mehr gelernt und geleistet, dann hättest du es leichter und Erfolg gehabt." Doch diese These übersieht ökonomische Verhältnisse. Leistung ist nicht nur Geld.
Es ist der Leistung meiner Eltern zu verdanken, dass ich heute Journalist bin bin. Sie haben unter schwierigen Verhältnissen immer dafür gekämpft, dass es mir einmal besser geht. Das tut es. Dafür haben meine Eltern Abstriche bei ihrem eigenen Leben gemacht.
Der persönliche Aufstieg ändert aber nichts an meiner Sicht auf die Dinge. In Österreich leben 1,5 Millionen armutsgefährdete Menschen, denen es weit schlimmer geht als es mir jemals gegangen ist. Ein Schicksal, das sich niemand freiwillig aussucht.
Wenn ich allgemein immer öfter von einer "sozialen Hängematte" lese und höre, von Menschen, die lieber Mindestsicherung beziehen als arbeiten zu gehen, von Menschen, die nichts leisten wollen, dann nehme ich das persönlich.
Die Sätze über jene Menschen, die unter schwierigen Verhältnissen aufwachsen und leben, werden immer verächtlicher. Über Menschen, mit denen die allermeisten Journalistinnen und Journalisten - wenn wir ehrlich sind - nichts zu tun haben.
Worte können viel anrichten. Selbst in einer beiläufigen Frage. Meine Vergangenheit erfüllt mich mit Stolz. Aber diese Verachtung tut weh. Dass sich diese Verachtung verfestigt, umso mehr.
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