Thread by @Johannes42

1/8 Spannender Artikel, der einige Beispiele dafür nennt, wie prominente Kulturschaffende in den USA ihre Fanbase auf social media nutzen, um gegen Kritiker*innen zu schießen, die negativ über ihr Werk geschrieben haben. Die Verwunderung und Empörung

buzzfeednews.com/article/scaach…

2/8 darüber, wie auch im Fall Rützel/Amani oder im Fall Würger (auch in diesen Fällen gab es populistischen Backlash gegen die Kritik) teile ich. Allerdings sollten auch die dahinterstehenden medienhistorischen Veränderungen mitbedacht werden. Es handelt sich nicht um eine

3/8 neue Form der Dünnhäutigkeit. Den Künstler*innen hat die Kritik schon immer gestunken. Schon Goethe fantasierte in einem Gedicht darüber, Rezensenten zu erschlagen. Was sich verändert hat, sind die medialen Machtverhältnisse, die Tatsache, dass der klassische

4/8 Rezensionsbetrieb an Macht verliert und Einzelpersonen mit einer großen Hausmacht an Followern an Einfluss gewinnen. Dadurch sinkt zum einen die Hemmschwelle, gegen etablierte Medien vorzugehen, zum anderen steigt die Erbitterung über die wahrgenommene Ungerechtigkeit der

5/8 herrschenden Machtverhältnisse, in denen eine vermeintliche Elite in den klassischen Publikationsformen alles kulturelle Kapital zu verteilen hat, obwohl dahinter keine quasi demokratische Legitimation des Publikums steht. Ein Pitchfork Review wird die Verkaufszahlen eines

6/8 Albums eher nicht so stark beeinflussen, entscheidet aber sehr stark über den kanonischen Wert eines Werkes innerhalb des Milieus der ästhetischen Gesetzgeber*innen. Ähnlich verhält es sich mit Buchkritiken in den etablierten Medien. Schlechte Kritiken können hier zwar

7/8 schon lange nicht mehr verhindern, dass ein Buch ein Bestseller wird; allerdings kann der Verlust an kulturellem Prestige enorm sein. Das heißt natürlich nicht, dass es in irgendeiner Weise ok ist, eine Twitterarmee auf eine Kritiker*in zu hetzen, aber diese Faktoren müssen,

8/8 finde ich, mitbedacht werden, wenn man versucht zu erklären, was gerade passiert.