, 41 tweets, 8 min read Read on Twitter
CN Diskriminierung, Polyamorie

Nach einer Nacht drüber schlafen will ich da mal noch genauer drüber reden. Also mal ein Thread zur #Blutspende
gestern.
Ich wollte in Regensburg beim BRK (Bayerischen Roten Kreuz) spenden. Dafür gibt es einen monatlichen Spendetermin und ich bin dementsprechend dorthin gegangen.
Vorher habe ich mal mein Wissen noch mal aufgefrischt und u.a. diesen Selbsttest gefunden.
blutspendedienst.com/blutspende/ser…
Selbst, wenn ich dort angebe, zu einer Risikogruppe zu gehören, bekomme ich die Antwort "SIE KÖNNEN VIELLEICHT BLUT SPENDEN. (...) Um Ihre Spendefähigkeit individuell beurteilen zu können, benötigen wir weitere Informationen bzw. Befunde."
Vorher habe ich auch ein Formular gefunden, das allerdings nicht das war, was ich bekommen habe. Gefundenes Formular war dieses hier blutspendedienst.com/uploads/docume…
Dort ist die Risikogruppe "Heterosexuelle Personen mit häufig wechselnden Partnern?" genannt.
Da dachte ich mir "Kein Problem". Ich bin nämlich zum einen nicht heterosexuell und zum anderen würde ich nicht sagen, dass ich häufig wechselnde Partner'innen habe. Aufgrund meiner gelebten Polyamorie sind das immer dieselben.
Und selbst wenn: Schutzmaßnahmen enden nicht bei Kondomen. Sie gehen weiter mit Lecktüchern, Handschuhen, regelmäßigen Tests auf sexuell übertragbare Erkrankungen, Kommunikation mit Partner'innen darüber und genauso über deren Partner'innen.
An der Stelle will ich übrigens keine Person shamen, die für sich entschieden hat, andere Schutzmaßnahmen zu treffen. Ich habe da nämlich kein Recht überhaupt rein zu reden. Ich kann da übrigens auch nur für mich sprechen und bin ja eh von ner Einzelfall-Entscheidung ausgegangen.
Insofern dachte ich mir "Kein Stress, du bist gesund". Zu diesem Punkt der häufig wechselnden Partner'innen steht auch was beim freiwilligen Selbstausschluss, was gewissermaßen noch einmal (meiner gelebten) Polyamorie widerspricht:
"Personen mit häufig wechselnden Partnern (dies wäre z.B. der Fall bei Geschlechtsverkehr mit Personen, deren Lebensumstände Ihnen nicht näher bekannt sind)"

blutspendedienst.com/uploads/docume…

Mir sind aber eben gerade die Lebensumstände meiner Partner'innen bekannt.
Also bekam ich neben meiner Erstspende-Dokumente einen Fragebogen, der aber nicht der Verlinkte ist. Dort war nämlich explizit die Rede von n Partner'innen in den letzten 12 Monaten und in mehr als 12 Monaten. Die Anzahl von n erscheint dabei ziemlich willkürlich.
Ich mit meinen x > n kreuze also ja an. Und ab da begann das Drama seinen Lauf.
Beim ärztlichen Gespräch wird dieser Fragebogen einmal durchgegangen. Meine Ärztin war auch ziemlich verständnisvoll, auch, wenn sie sich an die Richtlinien hielt.
Ich bin nämlich davon ausgegangen, mit einem x circa n, mit Safer Sex, mit Schutzmaßnahmen nach Schutzmaßnahmen ist das kein Problem. Als ich dann noch erklärte, nicht nur mit cis Männern zu schlafen und das Infektionsrisiko damit für mich geringer ist, war ich der Sonderfall.
Bisexuelle, polyamore Frauen, die Safer Sex haben, aber x Partner'innen habe, wobei x nahe n, dürfen kein Blut spenden. Ich wurde im Übrigen extra darauf aufmerksam gemacht, dass es keine Rolle spielt, wie Safe mein Sex ist.
Mit anderen Worten: Habe ich n oder weniger als n Partner'innen, so ist es vollkommen in Ordnung, auf sämtliche Schutzmaßnahmen zu verzichten, und trotzdem Blut zu spenden.
Nichts gegen diesen Lebensstil, das ist okay, wenn Menschen das wollen.
Ich möchte hier eben aufzeigen, dass innerhalb dieser Grenze von n unsicher absolut möglich ist. Selbst mit einer Person, die ich nicht kenne und nie nach Krankheiten frage, habe ich ein ziemlich großes Risiko. Es wäre dann okay, 4 Wochen danach Blut zu spenden, trotz Risiko.
HIV ist übrigens nach 6 Wochen im Blut nachweisbar. In dem Fall würde also eine falsch negative Person potentiell HIV-infiziertes Blut spenden können und niemanden interessiert's.

Es wird übrigens auch ein weiterer Generalverdacht gesprochen.
blutspendedienst.com/blog/neuer-fra…

"Da jedoch nicht auszuschließen ist, dass im Laufe der Zeit ein neuer unbekannter Erreger auftreten könnte und um hier die größtmögliche Sicherheit bieten zu können, hat sich der Richtliniengeber mit Blick auf die Patientensicherheit dazu entschieden, ...
in einigen Fällen eines Risikokontaktes die Wartezeit für die Blutspende auf 12 Monate festzulegen."

Menschen und Medizin sind nicht unfehlbar, klar. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass ein Erreger auftaucht, der unter Risikoverhalten fällt?
Ich mein, es kann auch passieren, dass ein weiterer Grippeerreger a la Vogel- oder Schweinegrippe auftaucht, der ne gewisse Inkubationszeit hat, sodass das bei der Spende eben nicht auffällt? Oder dass irgendein Nahrungsmittel befallen ist? Oder ne Übertragung durch Speichel?
Und wenn Menschen das erst nach der Spende bemerken? Klar ist dort ein Hinweis, nach der Spende anzurufen, wenn irgendwas sich nicht gut anfühlt. Aber das ist doch bei sexuell übertragbaren Erkrankungen ähnlich. Da dürfte keine einzige Person mehr Blut spenden.
Es kann nämlich jede Person jederzeit irgendetwas in sich tragen, was potentiell gesundheitlich problematisch sein kann, ohne etwas zu bemerken. Gleichzeitig gibt es aktuell keinerlei Verdacht auf eine unbekannte, sexuell übertragbare Erkrankung.
Aber weiter in meiner Situation: Ich erklärte der Ärztin, die sagte, sie wolle mich jetzt für 12 Monate sperren, dass das doch nicht im Sinne der Frage sei. Wenn ich gesperrt werden sollte, dann bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich n Partner'innen hatte.
Denn nur, weil ich zum Spendezeitpunkt innerhalb der letzen 12 Monate mehr als n Partner'innen hatte, bedeutet das ja nicht, dass das auch für die nächsten 12 Monate gilt. Darüber haben wir dann letztlich dreimal diskutiert und den Arzt Nebendran zu Rate gezogen.
Der sah das übrigens gefühlt deutlich lockerer. Die Ärztin pochte allerdings weiter auf dieser Richtlinie und der Anzahl von n Personen, sodass ich trotz intensiver Sicherheitsvorkehrungen kein Blut spenden durfte. So viel zu "individueller Beratung".
Es wurde eben einfach nur auf diese Richtlinie, zu der ich nichts im Internet finde, mit n Personen gepocht.
Alle Tests auf STI sind übrigens in deutlich weniger als 12 Monaten aussagekräftig. Insofern ist das hier wohl reine Willkür.
Dazu kommt, dass ich während dieses Gesprächs zwar in einem einzelnen Raum saß, aber in diesem Raum fanden zwei Gespräche gleichzeitig statt. Getrennt wurde durch ne Trennwand. Die Tür war offen und draußen warteten Menschen.
So viel zur vertraulichen Atmosphäre.
Im Prinzip war es also möglich, mitzuhören, was ich der Ärztin in einem vertraulichen Gespräch über mein Sexualleben erzählte.
Ich habe leider vergessen, zu fragen, ob bei einer solchen Sperre mit gespeichert wird, warum ich gesperrt bin. So aus Datenschutzgründen.
Übrigens ist dieses Vorgehen wahrscheinlich gar nicht nötig. Ich habe einen Fragebogen der Uniklink Freiburg uniklinik-freiburg.de/fileadmin/medi… und des Blutspendediensts West gefunden blutspendedienst-west.de/spenderfragebo…
Dort wird nämlich nicht nach einer willkürlichen Anzahl n gefragt, sondern "Hatten Sie in den letzten 4 Monaten Sexualverkehr mit
► einer neuen Partnerin / einem neuen Partner? Wenn ja, wann:"

Es geht offenbar auch anders, wenn das denn gewollt ist.
Auch hier lässt sich übrigens wieder diskutieren, inwiefern diese Regelung sinnvoll ist. Aber sie ist sinnvoller als "ja, sorry, Ihr Safer Sex ist uns ab einer Anzahl n egal und darunter ist es uns auch egal, wie safe das ist".
Das ist nämlich nichts als pure Diskriminierung.
Diese Fragebögen sind übrigens voll von purer Diskriminierung. Männer, die Sex mit Männern haben, egal wie monogam und zweisam oder egal wie safe fliegen raus, wenn sie innerhalb des letzten Jahres Sex mit einem Mann hatten.
Sexarbeitende fliegen raus. Auch darüber lässt sich diskutieren, aber auch die klassische, unantastbare Domina um die Ecke macht Sexarbeit und fliegt damit raus.
Gleichzeitig wird in manchen Fragebögen gleich so was wie "Sex gegen Geld oder z.B. Drogen" erwähnt.
Damit wird dieser Beruf direkt wieder in ein illegales Licht gerückt. Generell bringt mich das auf einen Punkt zu sprechen, der beim Sexualverhalten vollkommen ignoriert wird: Was ist Sex? Wie weit geht dieser Begriff? Und was hat das mit Infektionsrisiko zu tun?
Unterschiedliche Arten von Sex haben ein unterschiedliches Risiko. Das mit einer Anzahl und einer Berufsgruppe festzulegen ist hochgradig problematisch und sorgt dann eben dafür, dass Menschen wie ich "bedauerliche Einzelfälle" sind.
Gleichzeitig werden noch "Transsexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten?" genannt. Warum müssen Menschen jetzt noch angeben, ob sie trans sind oder nicht? Das wird doch sowieso schon ausreichend durch andere Fragen abgedeckt.
So fällt beispielsweise die Frage nach Operationen oder Medikamenten (Hormone) darunter, die nicht auf Menschen, die trans sind, zutreffen muss, aber kann. Diese als spezielle Kategorie für Risikoverhalten darzustellen, muss echt nicht sein.
Was ist jetzt die Moral von der Geschichte? Offenbar hat dieses Land zu viel Blut. Die Phrase von "Jede Spende zählt" gilt halt eben nicht.
Werde ich nach Ablauf meiner Sperrfrist Blut spenden? Keine Ahnung. Erstmal habe ich auf weitere Diskriminierungen keine Lust.
Wenn ihr spendewillige Personen, die bedauerliche Einzelfälle sind, loswerden wollt, das ist der absolut richtige Weg dazu.
Mir wird signalisiert, dass mein Blut nicht gebraucht wird. Es werden Richtlinien aus dem Hut gezaubert, die absolut willkürlich erscheinen.
Diese Bedingungen sind noch nicht einmal in diesem Land einheitlich. Andere Blutspendedienste wie Blutspendedienst-West oder das Klinikum in Freiburg hätten mich genommen, weil ich demnach kein Risikoverhalten aufweise.
Also tut nicht so, als wären diese Richtlinien in Stein gemeißelt. Wenn ich noch mal auf die abstruse Idee kommen sollte, Blut spenden zu wollen, dann werde ich das definitiv nicht beim BRK (oder DRK) machen wollen, dann lieber zum Uniklinikum oder so.
Aber lasst das mit diesem "Jede Spende zählt", denn das ist offensichtlich nicht der Fall.
Missing some Tweet in this thread?
You can try to force a refresh.

Like this thread? Get email updates or save it to PDF!

Subscribe to Lea Rain 🏳️‍🌈
Profile picture

Get real-time email alerts when new unrolls are available from this author!

This content may be removed anytime!

Twitter may remove this content at anytime, convert it as a PDF, save and print for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video

1) Follow Thread Reader App on Twitter so you can easily mention us!

2) Go to a Twitter thread (series of Tweets by the same owner) and mention us with a keyword "unroll" @threadreaderapp unroll

You can practice here first or read more on our help page!

Follow Us on Twitter!

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just three indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3.00/month or $30.00/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!