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Mein Sohn hat die Matura bestanden, mit ausgezeichnetem Erfolg. Ich werde nun tun, worauf ich seit Jahren gewartet habe. Sein Maturazeugnis kopieren, in ein Kuvert stecken, und an eine gewisse Person schicken. Eine Person, sie ist eine renommierte Kinderpsychologin, die
meinen damals 6-jährigen psychologisch getestet hat, weil er bei der Einschreibung in der Volksschule ein „auffälliges Verhalten“ an den Tag gelegt hatte. (Er sollte bis 10 zählen, war allerdings erst bei 143 zu stoppen, und er intonierte die Zahlen in verschiedenen Tierstimmen)
Ich fand das witzig und smart, aber die Pädagogen machten ein ernstes Gesicht, und schickten uns zu eben jener Schulpsychologin. Die den Beruf, vermute ich, gewählt hat, weil sie Kinder nicht mochte, dafür mochte sie ihre klinischen Tests umso lieber.
Diese „Feststellung der Schulreife“ zog sich über mehrere Einheiten. Ich begleitete meinen Sohn immer in die Praxis, wartete auf ihn, und dann gingen wir wieder nach Hause. Mein Eindruck war, dass die beiden überhaupt nicht miteinander konnten. Wollte ich mit ihr darüber reden
wimmelte sie mich ab: „keine Zeit ... das stört den Prozess ... warten Sie auf das Ergebnis der Diagnostik ... Sie erfahren alles noch früh genug.“ Doch, zwei Kommentare sonderte sie zwischendurch ab: „Der kann ja gar nix“ und „ojeoje, ich seh wirklich schwarz für die Schulreife“
Dann war endlich das Ergebnis der klinischen Testung da, und, welch Überraschung, es zeigte sich ein äußerst düsteres Bild. Mein Sohn war, las ich, bei allen ausgetesteten Fähigkeiten im untersten Bereich, intellektuell eine Null, unmotiviert, bockig, zappelig, und sozial unreif.
Die Psychologin bedauerte, dass mein Kind nie eine „normale Schule“, so formulierte sie das, besuchen können wird, ich solle ihn am besten gleich in der Sonderschule anmelden. Dann schickte sie uns nach Hause, die Sitzungen waren zu Ende. Was für eine Erleichterung für uns beide.
Tags darauf meldete ich meinen Buben gleich in der Sonderschule an, und ... NEIN, natürlich nicht. Weil ich genau merkte, wie unwohl sich das Kind bei dieser Trulla gefühlt hat, und wie nervig es für ihn war, in dieser destruktiven Atmosphäre getestet zu werden, und abgeurteilt.
Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass mein Sohn jede Menge Fähigkeiten hat. Diese Psychologin jedoch ganz bestimmt eine nicht: das Talent und die Empathie, sich in die Gefühlswelt eines Kindes hinein zu versetzen, und es mit Herz, Hirn und Humor zu fördern und zu begleiten.
Der Rest der Geschichte ist rasch erzählt: von der eigentlich geplanten öffentlichen Volksschule hatten wir die Nase voll. Es wurde dann eine tolle private Einrichtung mit alternativen Lernmethoden, mein Sohn war von Anfang an begeistert, und in seiner Lernlust kaum zu bremsen.
Der Wechsel in eine öffentliche AHS gelang später problemlos, er gehörte immer zu den Besten und Wissbegierigsten in der Klasse, und, für mich das absolut wichtigste: ging gerne zur Schule. Also alles gut! Und doch nicht. Was mich quält: was, wenn ich dem Psycho-Rat gefolgt wäre?
Viele Eltern hätten sich gedacht: „Na, die Frau Schulpsychologin muss es ja wissen ... die hat studiert, die hat erkannt, dass mein Kind strohdumm ist.“ Oder „nicht normal“, „auffällig“, etc. Die hätten vielleicht am Kind, und nicht an den Kompetenzen der Psychologin gezweifelt.
Wie viele Kinder werden wohl am Beginn ihres Lebens mit zweifelhaften Diagnosen abgestempelt? Wie viele Kinder hocken dann, unterfordert, in sonderpädagogischen Einrichtungen? Unglücklich und ohne Selbstbewusstsein. Das ist dann auch mal kaputt. Für Jahre, oder gar für immer.
Das ist Lebensfreude, die im Keim erstickt wird, und Potenzial, das verloren geht. Wer mit diesem Brandzeichen ins Leben startet, ringt möglicherweise ewig mit dem Gefühl, nichts wert zu sein, und am falschen Platz. Dieser Gedanke macht mich traurig, und wütend zugleich.
Darum werde ich heute, einen Tag nach der Maturafeier und 12 Jahre nach der „Diagnose“, das Zeugnis, mit einem kurzen Brief, an eine Adresse senden, die ich gerade gegoogelt habe. Ja, die Psychologin praktiziert noch. Vielleicht gibt es ihr zu denken, vielleicht ist es ihr egal.
Für mich jedenfalls ist es ein wichtiger Schritt. Auch schlechte Erfahrungen haben aber ihr Gutes: Mich hat dieses Erlebnis darin bestärkt, auf mein Bauchgefühl zu hören, statt auf „Experten“. Und an meine Kinder zu glauben. Immer. Tut das auch, bitte.

Danke fürs Lesen.
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