(1) Der Syrienkonflikt ist kein Kinderspielplatz. Die verbleibenden Parteien verfolgen existenzielle Staats- oder Gruppeninteressen, für die sie notfalls bereit sind über Leichenberge zu gehen. Die Zeit, in der man sich auf die Seite der "Guten" hätte schlagen können, ist vorbei.
(2) 8,5 Jahre, 500.000 Tote, 2/3 der Bevölkerung vertrieben. Giftgas, Vernichtungslager, Hunger-Belagerungen. Die Idee, dass man das mit ein wenig Geld, Spucke und gutem Willen aus Moskau beiseite kehren und unbefangen "Schutz" oder gar "Frieden" durchsetzen könnte, ist absurd.
(3) Es braucht einiges an Hintergrund zum Krieg und den diplomatischen und militärischen Strategien der Hauptakteure, um die Absurdität mancher in der deutschen Presse zirkulierender Pläne wirklich begreifen zu können. Dafür fehlt hier der Platz.
(4) Kurzgefasst bleiben drei Wege: Sich mit Assad und Putin einlassen, um deren blutiges Model der Totengräber-Stabilität zu garantieren. Wer glaubt, sich beim Schlächter von Damaskus für ein paar Mille Menschenrechte oder Schutz von Zivilisten kaufen zu können, ist delusional.
(5) Zweitens, sich auf die Seite Erdogans und der Türkei schlagen, in der Hoffnung, die letzte verbleibenden von der Opposition kontrollierten Gebiete mit ihren mehr als 3 Millionen Zivilisten, die größtenteils gen Norden fliehen würden, vor der drohenden Auslöschung zu bewahren.
(6) Damit einher ginge der Versuch, die Türkei aus der anti-westlichen "Astana-Axe" mit Russland und Iran zu lösen. Gleichzeitig müsste man bereit sein, auf syrische oder sogar russische Jets zu schießen - zum Schutz einer von radikal-islamistischen Kräften dominierten Region.
(7) Putin, Assad, Erdogan spielen alle darauf ab, dass uns unsere Angst vor Flüchtlingen und Terroristen Schlussendlich sowieso in ihre Arme treiben wird. Vielleicht ist dem so. Vielleicht muss braucht es nur genug Opeds zu angeblichen "Realitäten" die man nun "anerkennen" müsse.
(8) Aber bevor mir einen Pakt mit dem einen oder dem anderen Teufel eingehen, sollten wir uns klar vor Augen führen: (a) Was sind unsere Werte und Interessen? (b) Was bedeuten diese im Kontext Syriens? (c) Was sind unsere Hebel? (d) Was sind die direkten und indirekten Kosten?
(9) und (d) wie realistisch ist es, dass es uns gelingen kann, (a/b) mit Einsatz (c) zu erreichen und in welchem Verhältnis stehen die Nutzen zu (d)?

Abends in der Tagesschau mag das einfach zu lösen sein, aber wie Mario Cuome mal sagte "campaign in poetry, govern in prose".
(10) Stellt sich raus, unsere Gegner verfolgen eigene, existenzielle Interessen und genießen gleichzeitig mehr Handlungsspielraum (Giftgas, um Himmelswillen!). Acht Jahre lang, jede unserer Normen, roten Linien und selbst militärischen Fronten herausgefordert und überschritten.
(11) Selbst wenn man bereit wäre, über die tagtäglichen Kriegsverbrechen der russischen Luftwaffe hinwegzusehen, hat Moskau bis heute noch nicht bewiesen, dass es bereit oder in der Lage wäre, das Assad-Regime am Boden zu bändigen. In "roten" Territorien herrscht der Mukhabarat.
(12) Unter Assad kann es keinen effektiven Schutz geben. Egal wie nah das Regime dem militärischen und wirtschaftlichen Kollaps kam, es hat sich *nie* zu Kompromissen bereiterklärt. Eskalation auf allen Ebenen. Selbst die UNO wurde nach und nach zum Kriegsinstrument des Regimes.
(13) Was sich häufig in Meinungs-Spalten als "knallharter Realismus" gibt, ist normal weder das eine, noch das andere. Sondern weichgekochte und einseitige Kompromisse, die uns moralisch und strategisch kompromittieren, und außer Putin-Handshakes, keine Vorteile liefern.
(14) Entschuldigt die Tippfehler. Hunger.
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