Was mir zurzeit große Sorgen bereitet: Während viele Leute #Verschwörungsideologen immer noch belächeln, sind ihre Erzählungen längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und breiten sich rasend schnell aus. Das hat mehrere Gründe (#Thread):
Ein aktueller Grund ist die #Corona-Krise. Eine neuartige Krankheit bricht aus. Eine globale Pandemie. Gewissheiten gibt es so gut wie keine. Da ist ein Virus, das uns töten kann, ist eine der wenigen. Dass es weder Impfstoff, noch Heilmittel gibt eine andere.
Die Bevölkerung erfährt so ausführlich wie selten, wie Wissenschaftler tun, was sie tun: Wissen schaffen. Nach wissenschaftlichen Methoden. Immer wieder werden Thesen aufgestellt, überprüft, verworfen. Ein normaler Vorgang, den wir in Quasi-Echtzeit verfolgen können.
Das System Wissenschaft ist nicht jedem vertraut. Aber die Erwartungen groß. Für wen jede These, jedes Zwischenfazit irgendwas zwischen Expertenmeinung und absolut gültiger Aussage darstellt, für den ist jede Korrektur eine Irritation. Wenn nicht eine Erschütterung.
Dazu kommt der gesellschaftliche Ausnahmezustand. Strukturen fallen weg, Routinen auch, schlimmstenfalls das komplette soziale Umfeld. Man fühlt sich hilflos. Und ist größtenteils darauf angewiesen, dass andere die Situation auflösen. Stichwort Medikament. Stichwort Impfstoff.
Psychologin @_pietz_ , die zu Verschwörungserzählungen forscht, hat es im Tagesspiegel so formuliert: „Wenn Menschen das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben, suchen sie Strategien, um damit umzugehen. Eine Strategie ist, auch da Muster zu sehen, wo keine sind.“
Eine weitere wichtige Rolle spielen Multiplikatoren. Prominente. Influencer. Verschwörungsideologen sind Teil einer gut vernetzten Szene. Man bleibt in der Regel unter seinesgleichen. Die meisten Menschen erreicht diese Szene über soziale Medien wie Youtube und Telegram.
Die Kanäle der Verschwörungstheoretiker erfahren stetig Zulauf, aber so groß wie in den letzten Monaten war er, soweit ich das beurteilen kann, noch nie. Unter anderem, weil Promis für diese Kanäle und ihre Inhalte werben – mal mehr, mal weniger öffnen.
Wenn die Facebookseite von RTL-Moderatorin Sonja #Zietlow nicht mehr von denen bekannter Verschwörungsideologen zu unterscheiden ist, dann hat das Folgen.
Wenn der aus dem TV bekannte Kochbuchautor Atilla #Hildmann von Mikrochips-per-Zwangsimpfung faselt und bewaffnet in den „Untergrund“ gehen will, weil man ihn angeblich töten will, und anderen Leuten einredet, sie würden verfolgt, dann hat das Folgen.
Sie alle schlagen damit eine Brücke von einer eher abgeschotteten Szene in die Mitte der Gesellschaft. Ohne wirklich kontrollieren zu können, was über diese Brücke rüberkommt. Und welche Auswirkungen das hat.
Besonders perfide wird es, wenn vermeintliche Fachleute sich in den Diskurs einmischen. Ein Arzt zum Beispiel. Der von Corona-Hysterie spricht, alles halb so wild, da schau her. Hier ein paar Grafiken. Ein paar Auslassungen. Fehlinterpretationen, mindestens.
Und dann spricht dieser Arzt von Grundrechten, die eingeschränkt werden. Wichtige Debatte. Und beteiligt sich an der Gründung einer „Partei“, die über Notstandparlamente nachdenkt. Während Verschwörungsideologen ihren Zuspruch ausdrücken. #Widerstand2020
Wenn dieser Arzt sich dann mit Verschwörungsideologen austauscht, auf einem Youtube-Kanal der sonst Holocaustleugnern und rechtsextremen Rappern eine Plattform bietet. Und da seine „Partei“ bewirbt. Und Leute, die das schauen, sich ihm anschließen. Dann bereitet mir das Sorgen.
Es gibt noch viele andere Gründe, warum Verschwörungserzählungen immer stärker in der Gesellschaft präsent sind. Diskursverschiebung durch politische und mediale Akteure. Social-Media-Bubbles. Fehlende Medienkompetenz. Et cetera. Und jeder einzelne Grund macht mir Sogen.
Weil das nicht einfach nur absurde Erzählungen sind, über die man sich amüsieren kann. Hihi, Aluhut. Für Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, rechtfertigen diese ihr Handeln. Bis hin zur Ausübung von Gewalt.
Menschen müssen sterben, weil andere Menschen an Verschwörungserzählungen glauben. Der Attentäter von #Halle glaubte an Verschwörungserzählungen. Der Attentäter von #Hanau glaubte an Verschwörungserzählungen. Der von #Christchurch ebenfalls. Und weitere.
In den USA sind QAnon-Anhänger in der Vergangenheit mehrfach bewaffnet losgezogen, um „Unrecht“ zu bekämpfen. Ausgehend von Verschwörungserzählungen wie dem „Pizzagate“. Einer von ihnen ermordete seinen Bruder mit einem Schwert, weil er dachte, der sei eine Echse.
Zuletzt sah man einige Anons bewaffnet vor Parlamenten in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten. Protestieren, gegen die Corona-Maßnahmen. Angefeuert von Präsident Donald Trump. Einem der mächtigsten, einflussreichsten Männer der Welt. Das bereitet mir große, große Sorgen.
Nachtrag: Noch ein paar Follow-Empfehlungen zu den angesprochenen Themen - vergesse eh die Hälfte, gerne ergänzen: @kattascha @_pietz_ @MatthiasMeisner @julie_renbe @DittrichMiro @JHillje @correctiv_fakt @janskudlarek @jan_rathje @raeuberhose @Natascha_Strobl @QanonAnonymous
