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Otto, die Verschwörungstheorie und die Psychologie

Oder: Wie Otta's und Otto's Freundschaft auf die Probe gestellt wird.

(Thread)

#COVIDー19 #Verschwörungstheorie #Corona

/dh
Otto ist auf YouTube. Da findet er ein Video zur #Coronakrise. Es klingt plausibel. Es ist leicht zu begreifen - so scheint das endlich Sinn zu machen.

Dann findet er noch eins.

Und noch eins.

Keines stammt von Virolog*innen. Aber Otto ist nun sicher - #Corona? Hysterie!
Eine Woche später steht Otto auf, frühstückt und geht auf eine Demo gegen die Coronadiktatur. Einen Mundschutz trägt er nicht.

Seine gute Freundin Otta versteht die Welt nicht mehr. So kennt sie ihn nicht. Und sie macht sich Sorgen um ihn.
Sie versucht, Otto den Stand der Wissenschaft zu erklären; dass er mit seinem Verhalten andere und sich gefährdet. Aber Otto streitet es ab. Stattdessen wirft er ihr vor, Teil der “dummen Masse zu sein, die jeden Unsinn glaubt”. Otta fühlt sich wütend und ohnmächtig.
Und Wut distanziert. Otta will nicht als “Teil der dummen Masse” bezeichnet werden. Sie sieht zudem die Gefahr in Ottos Denken: Wenn das alle so machen, haben wir bald ein größeres Problem als die #Coronakrise. Sie überlegt, sich von Otto abzuwenden.
So oder so ähnlich spielt es sich aktuell vielerorts ab. Verschwörungstheorien gewinnen an Reichweite. Und sie werfen Fragen auf.

In diesem Thread wollen wir zeigen:

1. Warum wir Otto besser nicht isolieren.
2. Wie das gelingen kann.
3. Wo unsere Empathie an Grenzen stößt.
Studien (zB Swami & Coles, 2010, Moulding et al., 2016) zeigen, dass Menschen, die sich entfremdet fühlen, eher an Verschwörungmythen glauben.

Und: wenn wir sie sozial isolieren, sind sie nurnoch unter sich. So vergrößert sich das Problem also.

Otta würde den Kontakt zu Otto deshalb lieber nicht abbrechen. Gleichzeitig fällt es ihr unglaublich schwer, mit Otto in Kontakt zu bleiben. Denn sie sieht, wie gefährlich sein Verhalten ist.

Was kann Otta also dabei helfen, die Beziehung aufrechtzuerhalten?
Viele Psycholog*innen würden sagen: Verständnis.

Verständnis hilft uns, das Verhalten des Gegenüber einzuordnen, im Kontext zu sehen. Es ermöglicht, trotz Widrigkeiten im Kontakt zu bleiben.

Otta fragt sich also: Warum braucht Otto überhaupt diese Verschwörungstheorie?⬇️
Das #Coronavirus ist kaum erforscht. Von allen Seiten bekommt Otto teils widersprüchliche Informationen - und das ist normal! Denn die Situation ist komplex und das Virus noch nicht verstanden. Aber Otto ist dadurch tief verunsichert. Und er fühlt sich ohnmächtig.
Er hat nicht nur Angst um sein Leben und das seiner Liebsten. Er weiß auch nicht mehr, was kommt. Er spürt, dass seine Realität plötzlich tiefe Risse bekommt, spürt, dass sowohl er selbst, als auch die Gesellschaft zutiefst verwundbar ist.
Hier kommt die Verschwörungstheorie ins Spiel. Sie macht die Welt begreifbar (Whitson & Galinsky, 2008). In den meisten dieser Theorien gibt es zB Gut und Böse - oft steckt hinter einem schlimmen Geschehen (das in Wirklichkeit niemand kontrollieren kann) eine böse Gruppe.
Plötzlich kann Otto also einerseits jemanden für die Misere beschuldigen, andererseits fühlt er, dass er endlich “begreift”, was los ist.

Hinzukommt: viele dieser Theorien verharmlosen das Virus. So muss man es nicht mehr fürchten.
Für Otto bedeutet die Verschwörungstheorie also: Halt im Chaos. Das ist wichtig - denn häufig sind wir geneigt, die Verschwörungstheorie als ein rationales Konstrukt zu beachten, während es eigentlich einen emotionalen Nutzen hat.
Deswegen sind Verschwörungstheorien so hartnäckig: Ohne sie fühlt sich Otto verloren, hilflos, wütend und ohnmächtig. Durch den Verschwörungsmythos fühlt er sich nur noch wütend - und diese Wut kann er gegen die “Bösen” richten. Die “Guten” hat er jetzt an seiner Seite.
Hilflos, wütend, ohnmächtig? Das hatten wir in diesem Thread doch schon? So fühlt sich nämlich auch Otta bei ihrem Versuch, Otto von dem Verschwörungsglauben abzubringen. Vielleicht ist das kein Zufall - denn so kann Otto die eigene Wut und Hilflosigkeit im Gegenüber platzieren.
Sprich: Wenn Otta sich an Ottos Verschwörungskonstrukt abbarbeitet fühlt nun nicht mehr Otto sich machtlos und wütend - Otta fühlt sich so.

Nun wäre es nur nachvollziehbar, wenn Otta das Gespräch einfach beendet. Aber sie könnte auch etwas sagen wie:
"Du glaubst, dass wir von einer bösen Gruppe kontrolliert werden, gegen die wir keine Chance habe? Das würde mich ganz wütend und ohnmächtig zurücklassen. Aber naja, mit der Coronasituation gehts mir im Grunde ähnlich..."
Oder: "Ja, ich kann gut verstehen, dass dich das ankotzt mit #Corona. Durch die Kurzarbeit hast du jetzt ja auch deutlich weniger Geld, oder? Und wie macht ihr das eigentlich jetzt mit der Kinderbetreuung?“
Also - weg vom Verschwörungsmythos! Ihn direkt anzugreifen kann schnell in Wut, Ohnmacht und schließlich Distanzierung enden.

Besser: Verbindendes betonen, bei dem Menschen bleiben, hin zu gemeinsamen Themen.
Wenn Otto ununterbrochen am Missionieren ist, kann Otta noch versuchen, sich klar zu distanzieren. “Weißt du Otto - du hast deine Sicht und ich habe meine. Wir werden da nicht zusammenkommen. Lass uns bitte das Thema wechseln.”
Ob Otto auf Ottas Versuche eingeht oder nicht - so hat Otta zumindest den weiteren Kontakt angeboten, statt sich von ihm abzuwenden.

So zu reagieren verlangt ihr aber auch etwas ab. Es ist schwierig, sich in das Gegenüber einzufühlen, wenn man eigentlich wütend ist.
Also: wie hier von /ld schon geschrieben - wir müssen nicht jeden Berg erklimmen. Vielleicht schafft Otta es, im Kontakt zu bleiben, vielleicht auch nicht. Auch Otta muss gerade mit zwei Krisen gleichzeitig umgehen und hat keine unbegrenzten Ressourcen.
Trdm: Grundmuster der Verschwörungstheorie ist die Spaltung. Gut vs. Böse. Lasst uns versuchen, nicht in dieses Muster zu tappen, indem wir die Anhänger als böse bewerten und isolieren. Lasst uns versuchen in Kontakt zu bleiben. Oder schöner formuliert:
In der Essenz: Am ehesten werden Menschen von einer Verschwörungstheorie lassen, wenn sie sie nicht mehr brauchen - nicht wenn sie vom Gegenteil überzeugt werden.

/dh
PS: Ganz wichtig: Die meisten nutzen Verschwörungstheorien zur psychischen Stabilisierung - manche aber auch als Propagandainstrument! Und das ist dann eine ganz andere Geschichte. @Saschalobo dazu: spiegel.de/netzwelt/web/c…
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