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#Trost im Angesicht der existenziellen Krise(n).

Eine existenziell-psychologische Perspektive.

(Thread)

#COVIDー19 #Quarantäne #Existenzialismus #Rilke #Yalom #Klimakrise #SocialDistancing #PhysicalDistancing

/dh
1/17 Ob #COVID—19 oder #Klimakrise - das macht etwas mit uns.

#Corona spüren wir hier und jetzt, die #Klimakrise lässt sich noch verdrängen. Aber diese Krisen haben eines gemeinsam: sie sind existenziell - sie zeigen uns schonungslos unsere Grenzen auf:
2/17 Weder sind wir selbst unverwundbar, noch ist es die Gesellschaft, in der wir leben. Diese Krisen rütteln an den Fundamenten dessen, was uns normalerweise Sicherheit gibt. Und das macht Angst. (1)
3/17 Für viele ist diese Angst nicht ständig da. Sie ist wie eine Krake, die aus den Tiefen der Meere gelegentlich an die Oberfläche gelangt, uns dort kurz in ihren Tentakeln hat, um dann bald wieder unter die Oberfläche zu verschwinden.
4/17 Normalerweise bleibt unsere Krake in sicherer Tiefe. Im Moment reicht schon ein Husten, um sie zurück an die Oberfläche zu holen - mit sich bringt sie diese Angst und Ungewissheit. Trifft es mich? Meine Nächsten? Wie soll das alles weitergehen?
5/17 Diese Krisen sind nicht schön, aber unausweichlich. Wir können sie auch nicht schönreden.

Doch vielleicht gibt es trotzdem tröstende Gedanken.

⬇️
6/17 #Rilke schreibt in einem Gedicht über den Tod folgende Zeilen…(2)

Doch als du gingst da brach in diese Bühne
ein Streifen Wirklichkeit durch jenen Spalt
durch den du hingingst: Grün wirklicher Grüne
wirklicher Sonnenschein, wirklicher Wald.
7/17 In unserer Wirklichkeit, in unserem Alltag - da haben wir wenig Sinn für das, was uns umgibt. Wir leben in Routinen, in Abläufen. Und das ist gut so. Denn genau das gibt uns Sicherheit. Der Tod hingegen bricht mit dieser Sicherheit.
8/17 Er ist der ”Streifen Wirklichkeit”, er zeigt uns “wirklichen Sonnenschein, wirklichen Wald”. Vielleicht beschreibt Rilke einen Nebeneffekt von dem, was wir gerade erleben: wir werden wieder mit unserer existenziellen Wirklichkeit konfrontiert…
9/17 …und diese Wirklichkeit hat nicht nur das Potential, uns Angst zu machen - sie lässt uns auch vieles von dem Erleben, wofür wir sonst keine Zeit haben. Wir befinden uns in einer Grenzsituation. Yalom schreibt dazu (3):..
10/17 …Die Gewahrwerdung des Todes bringe uns “von einem Zustand des Staunens darüber, *wie* die Dinge sind, zu einem Zustand des Staunens, *dass* sie sind.”

Später in Rilkes Gedicht heißt es:

“…sodass wir eine Weile hingerissen
das Leben spielen, nicht an Beifall denkend.”
11/17 Die Physikalität des Todes zerstört uns. Die Idee vom Tod hat jedoch das Potential, uns einem wirklichen Erleben näherzubringen. Und das gilt auch für unsere Beziehungen. (3)
12/17 Paradoxerweise sind wir derzeit physisch voneinander isoliert, gleichzeitig sind wir uns aber im Erleben viel näher als sonst. Denn diese existenzielle Krise erleben wir alle. Das ist ein markanter Kontrast zu unserem Alltag, wo es sich oft umgekehrt verhält:
13/17 Da sind wir uns physisch nahe, aber in unseren Welten sehr weit voneinander entfernt. Jeder ist in seiner eigenen Blase und wir behandeln uns dabei gegenseitig oft mehr als Werkzeuge denn als Menschen.

Was wir jetzt spüren ist hingegen eine existenzielle Realität:
14/17 Wir zwar voneinander verschieden, aber wir teilen dieselben Herausforderungen.

Wir müssen alle sterben, wir alle leben ein Leben, dessen Sinn wir nicht verstehen können... Uns allen droht das #Coronavirus, unser aller Klima ändert sich.
15/17 Yalom schreibt (3): “Die Gemeinschaft mit anderen ist unsere Hauptquelle, um die Furcht (…) zu lindern. Wir sind alle einsame Schiffe auf einem dunklen Meer. Wir sehen die Lichter der anderen Schiffe - die wir nicht erreichen können, aber…
16/17 …deren Gegenwart und ähnliche Situation uns viel Trost zukommen lassen.

Nein, diese Krisen sind nicht schön und es wäre grundlegend falsch, hier irgendetwas zu idealisieren. Aber die #Coronakrise und die #Klimakrise sind unausweichliche Realität.
17/17 Und in dieser Realität haben wir weniger Sicherheit. Das macht uns Angst. Doch vielleicht können wir uns gerade deswegen näherkommen. Momentan nicht physisch. Aber im Gefühl.

/dh
Quellen
(1) Pyszczynski, T., Solomon, S., & Greenberg, J. (2015). Thirty Years of Terror Management Theory. Advances in Experimental Social Psychology, 1–70. doi: 10.1016/bs.aesp.2015.03.001
(2) Rainer Maria Rilke - Todes - Erfahrung
(3) Yalom, I. D. (1980). Existential psychotherapy. New York: Basic Books.
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