Eine Followerin hat mir einen furchtbaren Text über ein noch schlimmeres Training gesendet. Die Methoden im Text können unwissend sogar als sinnvoll und gut empfunden werden, weil Autist*innen abgewertet und in meinen Augen auch enthumanisiert werden.
Diese Methode ist aber alles andere als gut. Ich möchte mir mit euch mehrere Punkte in dem @BR_Wissen-Text anschauen und nicht nur korrigieren, sondern auch schauen, warum diese Falschdarstellung passiert. Legen wir los.
Autismus ist keine Erkrankung, sondern eine neurologische Diversität. Diversitäten kann man aber nicht so gut behandeln wie etwas, das man pathologisiert. Zu sagen, es gäbe "leichte Symptome, mit denen man gut leben könne", verschließt die Augen vor den Problemen Screenshot aus dem BR-Wissen Text: Die Ausprägungen von Aut
von Autist*innen, die sich sehr bemühen, sich anzupassen und nicht zurechtkommen, weil sie keine Hilfe brauchen, sondern obwohl sie keine bekommen. Oft mit schlimmen Folgen für physische und psychische Gesundheit und zu Lasten ihrer Lebensqualität.
Auch die sonderpädagogische Betreuung ist ein Konzept, das sich vor allem selbst erhalten will. Würde man Hilfen schaffen, die die Teilhabe am Leben fördern und nicht solche, die SONDERwelten schaffen und exkludieren, wäre das alles vermutlich so nicht nötig.
Die meisten Autist*innen sind keine Genies, haben keine Hochbegabung oder gar das Savant-Syndrom. Auch posthume Diagnosestellung ist mehr als unseriös. Nicht alle Autist*innen kommen gut mit Zahlen zurecht. Ihre Interessen sind breit gefächert, wie bei allen Menschen. Screenshot. Text:  Empathie und soziales Verhalten erlernen
Zu sagen, Autist*innen lebten in ihrer eigenen Welt, ist in meinen Augen ein Weg, um sich von Verantwortung frei zu machen: Wenn man in dieser Welt ist und sie in der anderen, was soll man da tun? Das ist ja alles so mysteriös, unverständlich. Vielleicht muss man sie befreien?
Ich halte es für dehumansisierend, Menschen, die man in einer sogenannten anderen Welt verortet, mit grausamen Methoden wie ABA, den Verbot von Stimming und Spezialinteressen und anderen schlimmen Behandlungen zu quälen unter dem Vorwand, sie aus ihrer Welt "befreien" zu wollen.
Diesen Teil finde ich besonders schlimm: Die Autist*innen müssen also Filmausschnitte so bewerten, wie es die Forschenden für richtig halten. Ein eigenes Empfinden und Bewerten ist ihnen nicht erlaubt. Durch Strom sollen die neuronalen Verbindungen manipuliert werden, Screenshot. Text:   Neuronale Verbindungen bei Autismus mani
damit die Falschbeantwortung nicht mehr vorkommt, sondern sich das erwünschte, von den Forschenden vordefinierte Verhalten in das autistische Gehirn einbrennt. Das ist grauenhaft, um es ganz deutlich zu sagen.
Mit dieser Behandlung scheint es Autist*innen nicht erlaubt zu sein, selbst zu empfinden, ihr Wahrnehmen muss einer vordefinierten Norm entsprechen. Bei Falschantworten erklärt die behandelnde Person, warum die Antwort falsch sein soll. Auch das ist, sagen wir, schwierig.
Könnte man Verhalten, Kommunikation und soziale Interaktion so einfach erklären, würden wir es auch verstehen. Menschliches Verhalten unterliegt aber kulturellen Einflüssen, ist situativ anders, schwankt je nach Kontext. Es ist also nicht einfach erklärbar.
Diese Feinheiten sind es doch, die uns Probleme machen. Die Abweichungen, die Änderungen, das Abweichen von der vermeintlichen Logik! Eben das, was man nicht erklären kann!
Autismus ist nicht heilbar, weil es keine Krankheit ist, sondern eine Neurodiversität. Die frühe Diagnose ist oft eine Rechtfertigung dafür, schädliche, grausame Therapien wie ABA anzuwenden und die Kinder schon früh auf Normalität zu drillen. robotinabox.de/aba-und-kritik/ Screenshot. Text: Autismus frühzeitig erkennen  Autismus is
Man zwingt schon autistische Kinder dazu, ihren Autismus zu verstecken, zu maskieren. Ihr Sein zu verstecken. Mit welchen Folgen? Depressionen, Ängste, Burnout, Suizid. Das alles, um möglichst "normal" zu wirken. Eine normale kindliche Entwicklung ist so nicht mehr möglich.
Mir fehlt das Wissen, um zu sagen, inwiefern man über Augenbewegungen auf Autismus schließen kann (weiß @Felicea mehr?). Was ich hier aber sehe ist die komplette Verneinung einer anderen Wahrnehmung. Ich muss niemanden ins Gesicht schauen um wahrzunehmen, was die Person fühlt. Screenshot. Text: Analyse der Augenbewegungen  Erste Ergebni
Ich brauche keinen Augenkontakt um zu verstehen, was mir jemand mitteilt. Ich kann dazu hinschauen, wo auch immer ich will. Ich nehme trotzdem wahr. Warum muss Augenbewegung so stattfinden, wie sie von den Forschenden gewünscht wird?
Autismus algorithmisch zu erkennen wirkt auf mich wie das Stochern im Dunkeln. Vielleicht klappt es, vielleicht nicht. Hautpsache, wir bekommen Forschungsgelder für eine vermeintlich gute Sache: Die Ausrottung von Autismus und damit auch die Ausrottung autistischer Menschen. Screenshot. Text: Autismus ist in Hirnscans sichtbar  Autism
Mein Fazit: Es geschieht eine enorme Pathologisierung von Autismus, um eine fragwürdige Methode zu rechtfertigen, mit der man Autist*innen einer vordefinierten Norm anpassen will. Bei allem ignoriert man autistische Bedürfnisse und das autistische Sein komplett.
Diese Forschungsgruppe scheint autistische Menschen nicht als Menschen wahrzunehmen, sondern wie von Loovas gesagt als "leeres Blatt", das man füllen muss. Dafür bekommen sie Beifall. Und Forschungsgeld. taz.de/Umstrittene-Au…
Ich wünschte, die Autismusforschung würde FÜR uns geschehen, nicht GEGEN uns. Ich wünschte, man würde forschen, wie wir mehr Lebensqualität bekommen und gleichberechtigt Teil der Gesellschaft sein können, statt uns und unseren Autismus verhindern zu wollen.

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27 Aug
Einer der schlimmsten Diskreditierungen von Nichtbehinderten ist die "Extrawurst". Meine behinderte Kollegin bekommt eine Sonderregelung? Ich will auch eine Extrawurst. Die Planung wird wegen dem behinderten Menschen geändert? Jetzt haben alle Umstände wegen einer Extrawurst.
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Um das zumindest in Teilen zu kompensieren gibt es Nachteilsausgleiche. Das können Steuervergünstigungen, gesonderte Parkplätze, Zusatzurlaub, mehr Zeit in Prüfungen, Wohnförderung und diverse Ermäßigungen sein. Das klingt nach viel Geld, ist aber tatsächlich oft nur kosmetisch.
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9 Aug
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2 Aug
Ich habe mich gestern lange mit einer Freundin darüber unterhalten, warum ich den in Österreich so gerne verwendeten Begriff "Menschen mit Beeinträchtigungen" statt "Behindert*er", "behinderter Mensch" oder "Mensch mit Behinderung" ablehne. #behinderung
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25 Jul
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In diesen Phasen fällt mir Kommunikation schwerer als sonst. Warum ist das so? Wenn ich kommuniziere, leiste ich Übersetzungsarbeit. Ich muss mein Denken und das, was ich damit ausdrücken will, in "neurotypisch" übersetzen. Das ist etwas, was permanent passiert und anstrengt.
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28 Dec 19
Ich freue mich sehr, dass der erste Thread über #Autismus so oft gelesen wurde, darum versuche ich mich heute einmal an einem schwierigeren Thema: Emotionsverarbeitung. Zu meinem Entsetzen hält sich das Vorurteil, wir würden keine Emotionen empfinden, sehr hartnäckig.
An dieser Stelle klammere ich Empathie bewusst aus, das ist ein eigenes großes Thema, nur so viel: Autist*innen empfinden sehr starke Empathie. Was sich unterscheidet – und was nichtautistische Menschen oft irritiert – ist die Kommunikation darüber, das Verhalten nach außen.
Es gibt auch etwas Namens Gefühlsblindheit (Alexithymie). Das ist eine psychosomatische Erkrankung, die nichts mit Autismus zu tun hat. Nachdem aber geschätzt 1% der Menschen autistisch sind, kommt es natürlich auch bei uns vor.
de.wikipedia.org/wiki/Gef%C3%BC…
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27 Dec 19
Ihr wollt etwas über #Autismus wissen? Okay, das finde ich gut, here we go. Ich weiß seit bald 10 Jahren, dass ich autistisch bin. Als ich diagnostiziert wurde, hatte ich bereits sehr viel Ausgrenzung, Mobbing und Gewalt hinter mir.
Das autistische Spektrum ist sehr groß und beherbergt ganz verschiedene Menschen mit sehr vielfältigen Fähigkeiten und Persönlichkeiten, die mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert werden. Darum lehne ich die Begriffe "leicht" und "schwer" ab.
An dieser Stelle erzähle ich von meinem Autismus, der verhältnismäßig unauffällig ist. Das bedeutet, ich kann ihn eine Zeit lang verbergen und man merkt es mir nicht gleich an. Trotzdem schränkt er meine Teilhabe an der Gesellschaft ein, so dass er einen Behinderungswert hat.
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