Ich freue mich sehr, dass der erste Thread über #Autismus so oft gelesen wurde, darum versuche ich mich heute einmal an einem schwierigeren Thema: Emotionsverarbeitung. Zu meinem Entsetzen hält sich das Vorurteil, wir würden keine Emotionen empfinden, sehr hartnäckig.
An dieser Stelle klammere ich Empathie bewusst aus, das ist ein eigenes großes Thema, nur so viel: Autist*innen empfinden sehr starke Empathie. Was sich unterscheidet – und was nichtautistische Menschen oft irritiert – ist die Kommunikation darüber, das Verhalten nach außen.
Es gibt auch etwas Namens Gefühlsblindheit (Alexithymie). Das ist eine psychosomatische Erkrankung, die nichts mit Autismus zu tun hat. Nachdem aber geschätzt 1% der Menschen autistisch sind, kommt es natürlich auch bei uns vor.
de.wikipedia.org/wiki/Gef%C3%BC…
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Wie auch beim letzten Thread geht es hier darum, wie ich empfinde, denke und verarbeite. Darin können sich andere Autist*innen wiederfinden, müssen aber nicht. Denn das Spektrum ist so groß und vielfältig, dass sich keine zwei Autist*innen gleichen.
Bei aller Liebe zur Sachlichkeit bin ich ein sehr emotionaler Mensch. Ich empfinde derart tief und intensiv, dass es mich oft aus der Bahn wirft. Überraschungen mag ich nicht, denn so eine unvorbereitet heftige Freude (oder Enttäuschung) kann schnell überfordern.
Und ich bin nicht gerne überfordert, das ist niemand gern. Zum einen kostet es viel Kraft und viel Erholungszeit, zum anderen kommen meine autistischen Verhaltensweisen stark an den Tag. Und die zeige ich nicht gern jeder Person einfach so.
Das heißt nicht, dass ich mich und meinen Autismus verstelle oder etwas verstecke, nein. Ich bin sehr selbstbewusst mit meinem Sein. Aber man selbst sein macht auch sehr verletzlich. Das bin ich lieber im sicheren, privaten Umfeld. Nachvollziehbar, oder?
Ich habe es bereits angedeutet: Emotionen verarbeite ich nicht intuitiv und unterbewusst, sondern ich muss mir bewusst Zeit und Kraft dafür nehmen. Muss mich mit meinem Empfinden auseinandersetzen, es analysieren, verstehen, verarbeiten. Daraus lernen, Handlungen ableiten.
Das geht, vor allem wenn es sich um etwas mir Unbekanntes handelt, nicht immer sofort. Darum kann ich in manchen Situationen eher unbeteiligt wirken oder anders reagieren, als man es erwartet.
Tatsächlich aber ist es, als wäre jede Emotion ein großer Stein und je mehr ich empfinde, desto größer wird der Berg an Steinen vor mir. Und manchmal versperrt mir so viel Gefühl buchstäblich die Sicht. Was ich dann tue? Ich ziehe mich, wenn möglich zurück.
Nehme mir Zeit für mich und betrachte diesen großen Berg an Emotionen. Nehme Stein für Stein, Gefühl für Gefühl und beschäftige mich damit. Mit der Situation. Durchlebe erneut. Mache mir Gedanken darüber. Vergleiche alles mit bereits bekannten Situationen.
Manches ist schmerzhaft und schwer, das prokrastiniere ich mitunter. Diesen sinnbildliche Steinberg an Gefühl trage ich dann aber tatsächlich weiter in mir herum, er drückt mich und beeinflusst mich. Darum ist es besser, sich auch dem Unangenehmen bald zu stellen.
Gespräche darüber zu führen hat sich für mich als sehr zielführend erwiesen. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um mich drehen. Das Fühlen, Erleben und Verarbeiten von Anderen ist für mich etwas, in das ich mich gut hineindenken kann und von dem ich für mich selbst viel lerne.
Letztendlich ist es so: Ich fühle extrem viel, manchmal zu viel. Und ich brauche Zeit und Kraft zum Verarbeiten. Dass es auch anderen so geht, kann man zum Beispiel in diesem Buch nachlesen: amzn.to/2QsMFAp
Wie andere Autist*innen Emotionen empfinden, weiß ich natürlich nur aus Erzählungen. Wenn es euch interessiert, empfehle ich euch, autistische Menschen einfach danach zu fragen und dieses menschenverachtende Vorurteil der Gefühllosigkeit für immer zu vergessen.
