Thread. Abscheuliche „Ehrenmorde“ wie jener an #HatunSürücü vor 16 Jahren sind anfangs, das gehört leider zur Wahrheit, von deutschen Gerichten mit „Verständnis“ behandelt worden.
Bis 1995 hatten deutsche Gerichte für den Verweis ausländischer Täter darauf, die gewaltsame Unterdrückung weiblicher Familienmitglieder habe Tradition (bzw. sei von Tradition „geboten“), Akzeptanz aufgebracht…
…und in der Folge bei manchem „Ehrenmord“ nur auf Totschlag erkannt (statt Mord). Erst seit 1995 beantwortet der BGH die Frage, ob der Ehrenmord zumindest objektiv auf „sittlich niedrigster Stufe“ stehe (mit der Folge: Mord), mit Ja.
Ja – aber: Der Täter müsse immer auch subjektiv erkennen, dass „Ehrenmorde“ nicht ehrenhaft sind. Sonst bleibt es beim milderen Totschlagsparagrafen, wenn zum Beispiel…
…der Täter sich aufgrund kultureller Prägung vor lauter „gefühlsmäßigen Regungen, die sein Handeln bestimmten“ (ich übersetze: Frauenhass), nicht mehr unter Kontrolle hatte (so BGH NJW 1995, 602 f.).
Relativierungen las man auch noch lange bei deutschen Ethnolog*innen, etwa Anna Cöster („Ehremord in Deutschland“, Freiburg 2009). Für die enge Verkettung von Sexualmoral und Familienehre, nannte sie…
…zu Recht Beispiele auch außerhalb der muslimischen Welt, etwa in Italien, auf dem Balkan oder in Südamerika (S. 35-57). Aus der Vielzahl der Bsp. schloss sie allerdings nicht auf ein großes Problem – sondern auf etwas, das Respekt verdiene.
O-Ton: „Durch verstehendes Nachvollziehen kann es unter Umständen gelingen, ehrbezogene Gewalttaten in ihren Gründen und Ursachen zu begreifen und …“
„… nicht als etwas Archaisches und, wie es vor Gericht oft heißt, „nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe“ stehendes Verhalten zu interpretieren“ (S. 278).
Im amerikanischen Recht läuft die Debatte schon viel länger, dort unter dem Schlagwort „cultural defense“. D.h. die Frage, ob ein Straftäter aufgrund Angehörigkeit zu einer Minderheitenkultur ein milderes Urteil bei „kulturell angelegten“ Taten verdient.
Und in den USA ist man auch schon länger bei der einzig vernünftigen Antwort:
No.
Einer sozialen Praxis bereits deshalb normative Kraft zuzubilligen, weil sie eben schon lange praktiziert wird, meist von den Mächtigen in einer bestimmten Gesellschaft, meist von den Männern …
…heißt Zustände zu affirmieren, die im Grunde auf nichts als auf dem Recht des Stärkeren basieren.
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Ich habe gestern darüber nachgedacht, warum in der jüdischen Gemeinde von Erlangen/Nürnberg der antisemitische Doppelmord von 1980 fast 40 Jahre lang kaum thematisiert worden ist. Ich bin da aufgewachsen, aber die Tat wurde in meiner ganzen Jugend nie erwähnt. 1/
Meine Eltern hatten die Mordopfer Shlomo Lewin und Frida Poeschke gekannt, sie waren öfter bei ihnen zu Hause. Der Kantor, Baruch Grabowski, der mich 1996 auf meine Bar Mitzwa vorbereitete, war einer derjenigen, die von der Polizei fälschlich der Tat verdächtigt wurden. 2/
Die vielen Gemeindemitglieder, die sich anfangs gegen Verdächtigungen der Polizei wehren mussten, lernte ich als Eltern und Großeltern meiner Freunde kennen. Aber erst als Erwachsener habe ich auf Umwegen von diesem Doppelmord erfahren und Fragen gestellt. 3/
Warum sollte #Inzest entkriminalisiert werden? Warum ist das Inzestverbot in Paragraf 173 StGB wirklich ein Problem für diesen Rechtsstaat und diese Gesellschaft? Ein Thread 1/
Die Aufhebung der Strafbarkeit einverständlichen Inzests im Jahr 1810 in 🇫🇷 markierte nicht etwa den Rückfall der Franzosen in dunkle Vorzeit, sondern 1 Schritt hin zur Aufklärung: Wo niemandem Unrecht angetan wird, da gibt es für eine Gesellschaft auch nichts zu bestrafen. 2/
Das ist das Grundprinzip säkularen Strafrechts. Wer den „einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Geschwistern“, wie das Bundesverfassungsgericht den Inzest definiert, verbieten will, kommt also nicht umhin zu sagen, worin dabei das „Unrecht“ bestehen soll. 3/
„Je suis Meinungsfreiheit“? In Sachen #Religionskritik steht das deutsche Recht übrigens keineswegs klar auf Seiten der Aufklärung. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, den #Gotteslästerung-Paragrafen abzuschaffen. Thread 1/
Zu Zeiten Tucholskys, der 1928 wegen seines Gedichts „Gesang der englischen Chorknaben” angeklagt wurde, hieß die Strafvorschrift noch offiziell „Gotteslästerung”. Heute, in modernisierter Form, „Beschimpfung von Bekenntnissen“, § 166 StGB. 2/
Es macht sich strafbar, wer „den Inhalt des religiösen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören”. Und das ist das Problem: 3/
Als Jurist*innen beobachten wir, wie viel Geländegewinn den Völkischen, Antisemit*innen & Neonazis zuletzt gegenüber dem Rechtsstaat gelungen ist.
Am 28.10. starten wir gemeinsam etwas dagegen.
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Der Report „Recht gegen Rechts“, veröffentlicht im Fischer Verlag, dokumentiert u analysiert die wichtigsten Urteile und StA-Entscheidungen des Jahres zu #Rassismus, #Antisemitismus, #LGBTIQ-Feindlichkeit, #HateSpeech - verständlich & mit Literaturtipps 2/
Anstatt den Schutz des Eigentums zum Fetisch zu erheben, könnte das dt. #Strafrecht viel stärker die Pluralität der Gesellschaft verteidigen, die von Rassisten und Antisemiten attackiert wird. Mein - finde eigtl - bescheidener Vorschlag im neuen Heft der Deutschen Richterzeitung.
„Ich glaube nicht, dass das ein realistisches Abbild ist“, sagt mir ein Verfassungsschützer aus einem Bundesland über das „Lagebild #Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“, das #Seehofer am Dienstag um 11h vorstellen will.
Warum?👇1/6
Wer die Entwurfsfassung des Berichts lesen konnte, der fand dort wenig mehr als das, was eh in Zeitungen zu lesen war: Lauter bekannte Fälle, bei denen zwischen dem 1. Januar 2017 und dem 31. März 2020 Disziplinar- oder Strafverfahren gegen Polizeibeamte eingeleitet wurden. 2/6
An der Spitze steht #Hessen mit 59 solchen sogenannten Verdachtsfällen. Dahinter kommt #Berlin mit 53. #Bayern meldete 31 Fälle, #Sachsen lediglich neun. Es war die Aufgabe des #Verfassungsschutz|es, diese Zahlen einzusammeln. 3/6