Warum ist ein Ländervergleich in Bezug auf #Covid19 so schwierig? Ein Analyseversuch aus Sicht der Bildungsforschung. 1/31 Warum ist ein Ländervergleich in Bezug auf #Covid19 so schw
1. VORBEMERKUNG. In der Bildungsforschung bemüht sich die Wissenschaft spätestens seit PISA 2000 um einen fundierten Ländervergleich - ohne ein abschließendes Ergebnis. 2/31
2. Welche Analyseebenen müssten für einen länderübergreifenden Vergleich von #Covid19-Zahlen berücksichtigt werden? Dies Übersicht ist NICHT vollständig und bildet auch keine Wechselwirkungen ab. 3/31 Welche Analyseebenen müssten für einen länderübergreifen
3. Responsivität der staatlichen #COVID-Maßnahmen: Werden die #COVID19-Maßnahmen gemäß der aktuellen Lage und den Bedürfnissen der Bevölkerung angemessen und zeitnah eingeleitet? 4/31
4. Politische Kommunikation. Werden Maßnahmen ausreichend und nachvollziehbar kommuniziert oder einfach angeordnet? 5/31
5. Politische & rechtliche Strukturen. Die scheinbar gleichen Maßnahmen werden in unterschiedlichen Ländern verschieden streng umgesetzt und kontrolliert. Extrembeispiel: China. 6/31
6. Politische Strukturen. Bei einer stark dezentralisierten Entscheidungsfindung werden zentrale Vorgaben nur schwach umgesetzt, etwa in einigen deutschen Bundesländern. 7/31
7. Kultur & Werte. Wenn die Bevölkerung staatlichen Maßnahmen (aus guten Gründen) misstraut, können diese nur unter starker Kontrolle und Strafandrohung umgesetzt werden (Beispiel: Impfkampagne in Russland). 8/31
8. Land & Klima. Etwa klimatische Bedingungen können extrem unterschiedlich sein. Scheinbare klimatische Vorteile können durch unzureichende Klimaanlagen ohne Filter zu einem Nachteil werden. 9/31
9. Sozialraum. Dichte Ballungsräume sollten Infektionsketten wahrscheinlicher machen, etwa durch die ungeschützte Nutzung des ÖPNV. 10/31
10. Sozialstrukturen. Menschen mit einem hohen sozio-ökonomischen Status können individuelle Schutzmaßnahmen viel besser umsetzen. Aus dieser Perspektive sollten Länder wie Schweiz oder Norwegen einen Vorteil haben. 11/31
11. Soziales Umfeld. Etwa in Spanien leben viele Menschen in Haushalten mit mehreren Generationen: hierdurch entsteht eine höhere Vernetzung eigentlich separater Netzwerke und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Infektionsketten. 12/31
12. Arbeitsumfeld. Produktion, Dienstleistung oder Handel ergeben unterschiedliche Kontaktsituationen, die sich zum Teil nur schwer absichern lassen. Zum Teil ist Homeoffice gar nicht möglich. 13/31
13. Wohnumfeld. In Hochhäusern mit gemeinsamer Fahrstuhlnutzung etc. erhöhen sich die möglichen Kontaktsituationen, etwa in Vergleich von Vorortstrukturen mit Einzelhäusern. 14/31
14. Bildungsumfeld. Kann Präsenzpflicht durch Homeschooling ersetzt werden? Können Kontaktsituativen in der Schule durch Lüfter, Masken, Schnelltest & feste Zuordnungen sicher gestaltet werden? 15/31
15. Schutzhandlungen. Werden individuelle Schutzhandlungen umgesetzt? Direkte Schutzhandlungen, Vermeidung von gefährlichen Kontaktsituationen oder kommunikative Handlungen. 16/31
16. Handlungsmotivation. Sind die Menschen zu Schutzhandlungen motiviert? Die Menschen in den asiatischen Ländern, die 2002/2003 die erste SARS-Epidemie erlebt haben, sind sicherlich besser motiviert, individuelle Schutzmaßnahmen anzuwenden. 17/31
17. Handlungsintention. Bauen die Menschen eine stabile Selbstwirksamkeitserwartung für eine Schutzhandlung auf, etwa durch positive Verhaltensbeispiele? 18/31
18. Handlungsumsetzung. Wird eine mögliche Schutzhandlung tatsächlich umgesetzt? Dies hängt von vielen Bedingungen ab, etwa von den finanziellen Möglichkeiten für gute Masken oder Filtersysteme. 19/31
19. Schutzverhalten. Wie viele Menschen nehmen an der jeweiligen Impfkampagne teil? Schützt sich der Einzelne in gefährlichen Kontaktsituationen, etwa mit einer guten Maske? 20/31
20. Kontaktverhalten. Versuche die Menschen Risikokontakte, etwa mit besonders vulnerablen Personen, systematisch zu vermeiden? Oder werden Risikokontakte durch umfangreiche Schutzmaßnahmen abgesichert? 21/31
21. Kommunikationsverhalten. Informieren sich die Menschen über die neuesten Entwicklungen aktiv? Welche Informationskanäle werden genutzt? 22/31
22. Datenerfassung. In den Ländern gibt es unterschiedliche Testkriterien & Teststrategien. Etwa Dänemark führt viel mehr PCR-Testungen pro Kopf durch als Deutschland. 23/31
23. Reporting. In den meisten Ländern sind die Meldezahlen NICHT verlässlich. Nur wenige Länder, wie etwa UK, haben ein systematisches Sampling von Fällen implementiert, was eine verlässliche Basis für Meldezahlen ergibt. 24/31
24. Interaktionen. Die verschiedenen Analyseebenen sind nicht unabhängig voneinander. Netzwerkdynamiken können sich gegenseitig verstärken (oder abschwächen). 25/31
25. Maßnahmenmix. In verschiedenen Ländern wurde ein Mix aus unterschiedlichen Maßnahmen implementiert. Selbst beim Vergleich von Zwillingsländern können isolierte Einzelmaßnahmen NICHT verglichen werden, wenn diese aus unterschiedlichen Maßnahmenpaketen stammen. 26/31
27. Fazit. Länderübergreifende Vergleiche von Maßnahmen können nur unter Berücksichtigung von ALLEN länderspezifischen Strukturen und Maßnahmen gezogen werden. Hierfür fehlt zumeist eine ausreichende Datenbasis. 28/31
28. Fazit des Fazits. NAIVE Vergleiche von #CVOID19-Inzidenzen oder der Wirksamkeit von #COVID19-Maßnahmen über Ländergrenzen hinweg sind kaum möglich. 29/31
29. Alternativen: Wir bräuchten multinationale Studien, ähnlich wie die PISA-Studie in der Bildungsforschung, in denen systematisch und vergleichbar Daten auf allen beschriebenen Analyseebenen gesammelt werden. 30/31
30. Ausblick: Mit (und nur mit) einer ausreichend guten Datenbasis könnten etwa mit Mikro-Agenten-Simulationen verschiedene # Covid19-Maßnahmen abgeschätzt und länderübergreifend verglichen werden. 31/31
P.S. Ich hatte ja geschrieben, dass diese Analyse NICHT vollständig ist. Ergänzt werden könnte zum Beispiel: Grenzverläufe, Transitland, Altersstruktur. Danke an: @st_hennermann

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