Es wurde hier auf #Econtwitter zuletzt immer wieder von der vermeintlichen „Effizienz“ des #CO2-Emissionshandels gesprochen. Leider hält das Argument einer genaueren empirischen Betrachtung nicht stand. Ein 🧵 1/
Ich kenne das Lehrbuch-Argument eines statischen Emissionshandels mit perfekten Märkten. Und klar, da kommt in Betrachtung ein effizientes Ergebnis heraus, weil der Emissionsabbau immer dort stattfindet, wo er am günstigsten ist. 2/
en.wikipedia.org/wiki/File:Emis…
Leider hat das mit der Realität eines Emissionshandels über die Zeit, wie er etwa beim EU-ETS besteht, nichts zu tun. Hier kann man empirisch schnell erkennen, dass die Ergebnisse ineffizient sind.
Um das zu verstehen, muss man sich die intertemporale Effizienz ansehen. 3/
Effizienz in der intertemporalen makroökonomischen Betrachtung bedeutet, dass der Verbrauch begrenzter Ressourcen über einen Pfad stattfindet, der über die Zeit die Summe der Nutzen (und damit den Nutzen der Gesellschaft) maximiert. 4/
Die Frage dahinter ist: Könnte im Gedankenexperiment ein sozialer Planer mit vollständiger Information das Allokationsergebnis des Marktes verbessern, d.h. den Gesamt-Surplus erhöhen, indem er anweist, dass an einem Zeitpunkt mehr, an einem anderen weniger verbraucht wird? 5/
Wenn das prinzipiell möglich ist, ist das Marktergebnis nicht effizient. (Und bevor jemand schreit: Ein solcher Planer muss nicht praktisch möglich sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass ein bestimmtes Marktergebnis ineffizient ist.) 6/
Wenn man dieses Kriterium anlegt, so ist das EU ETS Ergebnis klar ökonomisch nicht effizient.
Warum?
Im Sommer 2020 hat die Emission einer Tonne CO2 weniger als 30 € gekostet, heute fast 80 €. 7/
Im Sommer 2020 haben manche (die Grenzverschmutzer) also CO2 ausgestoßen, obwohl ihnen das nur knapp 30 € pro Tonne gebracht hat. Heute können manche, denen der Ausstoß einer Tonne CO2 70 € wert ist, dieses CO2 nicht ausstoßen, weil der Preis höher liegt. 8/
Ein sozialer Planer mit vollständiger Information hätte so etwas nicht zugelassen, insbesondere, da der risikofreie Zins in der Zwischenzeit praktisch bei null lag. Er hätte den CO2-Ausstoß 2020 gedämpft, heute mehr zugelassen. 9/
Und anders als etwa beim Markt von Schweinehälften, die man nicht lagern kann, ist dieses Argument im Falle von CO2 durchaus relevant. Es geht es hier um den Verbrauch aus unserem Restbudget CO2, der nicht durch Nichtnutzung verdirbt. 10/
Was 2020 nicht verbraucht wurde, könnte heute oder aber in zehn Jahren verbraucht werden. 11/
Und der unterschiedliche Preis kann auch kaum plausibel etwas mit Informationen zu tun haben, die vor einem Jahr nicht vorgelegen haben. Was sollte das bitte schön sein, dass den Wert einer Tonne CO2 für die nächsten Jahre fast um den Faktor 3 verändert? 12/
Und weil immer argumentiert wird, man wisse ja nicht, welcher Steuerpfad der richtige wäre: Konkret wäre eine Vielzahl Steuerpfade dynamisch effizienter gewesen als der Preispfad, den das EU ETS geliefert hat. 13/
(Hier als Beispiel zwei lineare Pfade, bei denen der CO2-Preis von Anfang 2015 auf heute 60 und 75 € gestiegen wären. Beide wären effizienter gewesen UND hätten in der Summe mehr CO2-Reduktion gebracht, 14/
zumindest unter der Annahme, dass der aktuelle CO2-Preis für die Zukunft eine gewisse Aussagekraft über den tatsächlichen künftigen individuellen Nutzen von CO2-Ausstoß hat.) 15/
Natürlich kann der Emissionshandel immer noch eine bessere Lösung sein als andere Ansätze (evtl. die Steuer), und es gibt möglicherweise politökonomische Gründe, die für ihn sprechen, aber effizient in einem ökonomischen Sinne ist das nicht. /END

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15 Dec
Hier auf #Econtwitter wurde zuletzt wiederholt behauptet, ein #CO2-#Zertifikatehandel würde zur makroökonomischen Stabilisierung beitragen, weil ja die Preise in der Krise fallen und im Boom steigen.

Diese Schlussfolgerung ist leider Unsinn. Ein 🧵 1/
Natürlich stimmt es, dass die CO2-Preise im Emissionshandel in der Krise regelmäßig eingebrochen sind und danach in der Erholung gestiegen sind.

Allerdings trägt dies nicht zur makroökonomischen Stabilisierung, sondern eher zur Destabilisierung wieder. 2/
Warum ist das so?
Zunächst: Bei Energiepreisen allgemein ist die Erfahrung, dass fallende Energiepreise über höhere Kaufkraft zu mehr Nachfrage führen und damit die Wirtschaft ankurbeln.
Das liegt allerdings daran, dass Länder wie Deutschland ihr Öl und Gas überwiegend 3/
Read 16 tweets
9 Dec
The @EU_EESC has just published a study by @repasi, @chris_ptz, @AndrewWattEU, Sebastian Watzka and me on the economics and legal issues of changing EU #fiscal rules.
Our conclusions: Quite sweeping changes are possible without treaty change. A Thread. 1/
eesc.europa.eu/en/our-work/pu…
In the study, we look at different reform proposals for the fiscal rules (including that of the the @EFB_EU), dissect them into the different elements and evaluate the legal and economic issues surrounding the elements. 2/
The specific elements are: Moving towards an expenditure rule (with the detailed questions of benchmarks, investment clauses and the escape clause as well as adjustment speed), the change in the debt anchor and the adjustment towards it as well 3/
Read 14 tweets
21 Nov
During the first #Covid19 wave, Germany was seen as an example for swift and effective action and managed the pandemic better than others.
In this fourth wave, we are seriously behind the curve and the rest of the world wonders what went wrong. A T. 1/
In the spring of 2020, the pictures from Italy led to a very quick reaction by German politicians. Contacts were limited and retail businesses as well as restaurants and hotels closed before the virus spread broadly. 2/
The government of Angela Merkel (with the vice-chancellor Olaf Scholz) quickly summoned the heads of the Länder and imposed an (overall) common approach in the crisis. 3/
Read 25 tweets
1 Nov
Weil auch nach meinen theoretischen Erläuterungen zur #Schuldenbremse hier die Diskussion mit wissenschaftlich fragwürdigen Argumenten weitergeführt wurde, noch einmal, um welche Frage es geht, und welche Fakten uns KEINE Antwort geben können. 1/
Was war die Frage? Ich hatte die These aufgestellt, dass die Schuldenbremse dazu führt, dass die öffentliche Hand weniger investiert.
Was heißt aber in diesem Zusammenhang „weniger“? 2/
Wenn wir in der Ökonomie (oder Medizin oder sonst wo, wo es um kausale Analysen geht) die Frage stellen, wie ein Faktor A auf das Ergebnis X wirkt, dann geht es um den Vergleich einer Situation mit dem Faktor A gegenüber einer hypothetischen Situation ohne den Faktor A. 3/
Read 15 tweets
29 Oct
Mein Tweet zu maroden Schulbauten und der #Schuldenbremse hat viel Aufregung verursacht.
Ein paar Erläuterungen, warum die abgefallene Decke vielleicht nicht direkt mit der SB zusammenhängt, warum die SB aber trotzdem ein Problem für Schulbauten ist. 1/

Zunächst: Ich weiß nicht, ob die Decke so alt und unsaniert war, dass sie aus Geldmangel abgefallen ist oder ob beim Bau gefuscht wurde. Beides kommt vor, und nicht nur in Berlin.
Und natürlich läuft in Berliner Verwaltungen einiges nicht so, wie man sich das wünschen würde. 2/
Aber: Das ändert nichts daran, dass viel dafür spricht, dass die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form mit zu der verlotterten Infrastruktur in Deutschland beigetragen hat – und vor allem einer schnellen Sanierung im Weg steht. 3/
Read 17 tweets
13 Sep
Lesenswerter #Thread zur Diskussion „Innovation durch Verbote?“ von @Phuenermund.
Ein paar Ergänzungen von meiner Seite zur #EU-Dimension der Frage. 1/
Jenseits der Frage, wie Standards und Verbote auf die Innovationskraft der Unternehmen wirken, sollte man im #EU-Kontext nicht unterschätzen, wie stark die Standards in der EU auf die Innoviationen im Rest der Welt wirken. 2/
In den Politikwissenschaften und in den Randgebieten der Handelsökonomie wird seit einigen Jahren betont, dass die #EU ein „regulatory superpower“ geworden ist. @anubradford nennt dies den „Brüssel-Effekt“. 3/ scholarship.law.columbia.edu/books/232/#:~:….
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