Mein Tweet zu maroden Schulbauten und der #Schuldenbremse hat viel Aufregung verursacht.
Ein paar Erläuterungen, warum die abgefallene Decke vielleicht nicht direkt mit der SB zusammenhängt, warum die SB aber trotzdem ein Problem für Schulbauten ist. 1/
Zunächst: Ich weiß nicht, ob die Decke so alt und unsaniert war, dass sie aus Geldmangel abgefallen ist oder ob beim Bau gefuscht wurde. Beides kommt vor, und nicht nur in Berlin.
Und natürlich läuft in Berliner Verwaltungen einiges nicht so, wie man sich das wünschen würde. 2/
Aber: Das ändert nichts daran, dass viel dafür spricht, dass die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form mit zu der verlotterten Infrastruktur in Deutschland beigetragen hat – und vor allem einer schnellen Sanierung im Weg steht. 3/
Gerne wird gesagt: „Das ist alles eine Frage der politischen Priorität und man darf deshalb nicht die Schuldenbremse verantwortlich machen.“
Und klar: Politiker hätten andere Präferenzen setzen können und diese konkrete Schuldecke reparieren können. 4/
Aber: Es ist unumstritten, dass die SB die verfügbaren Ressourcen für den Staat verringert hat (kann man gut oder schlecht finden, aber den Fakt wird wohl kaum jemand bestreiten), und das führt dazu, dass irgendwo gekürzt wird. 5/
Wenn man den Hartz-IV-Satz kürzt und danach feststellt, dass Kinder aus armen Familien keine vernünftigen Schulsachen mehr haben, kann man auch sagen, das sei alles eine Frage der Priorität, solange die Eltern noch ein Netflix-Abo haben oder gelegentlich ein Bier trinken, 6/
und doch ist wahrscheinlich, dass die Budgetbeschränkung einen Beitrag zur mangelhaften Ausstattung der Kinder gehabt hat. 7/
Bei der Schuldenbremse lassen zudem gängige politökonomische Argumente darauf schließen, dass der Staat bei Einführung einer Schuldenbremse ehesten bei den öffentlichen Investitionen kürzt bzw. diese vernachlässigt. 8/
Die SB ist eingeführt worden, weil man PolitikerInnen nicht traut, die politischen Prioritäten richtig zu setzen, weil argumentiert wurde, die PolitikerInnen würden die Bedürfnisse künftiger Generationen nicht ausreichend beachten, 9/
also jetzt zuviel Geld für die Älteren ausgeben und dafür Kredite aufnehmen. 10/
Als Politökonom hätte man erkennen müssen, dass, wenn dieses Argument für die Verschuldung gilt, es wahrscheinlich auch für Investitionen gilt: Es gibt einen Anreiz, Ausgaben für heute gegenüber denen für die Zukunft zu präferieren. 11/
So, wie die SB geschrieben worden ist, erlaubt sie weiter auf Kosten künftiger Generationen zu wirtschaften, nur eben über Vernachlässigung der Investitionen. 12/
Das ist so, wie wenn ich nicht möchte, dass meine Kinder Süßigkeiten kaufe, ich Ihnen das Gesamtbudget für Schulbücher und Süßigkeiten kürze. (Was würde wohl passieren?)
Bei Kindern wäre die Lösung, die Schulbücher zu bezahlen, 13/
aber das Budget für Süßigkeiten zu kürzen.
Auf die Schuldenbremse bezogen entspräche das einer goldenen Regel, die Kredite für Investitionen erlaubt, etwa so, wie der @SVR_Wirtschaft es vor Einführung der SB vorgeschlagen hat. 14/ sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/date…
Wenn Befürworter der Schuldenbremse dann blind die bestehenden Regeln verteidigen, gibt es dafür eigentlich nur zwei Erklärungen: Entweder sie verstehen die politökonomischen Argumente nicht, oder es geht ihnen gar nicht um den Schutz künftiger Generationen, /15
sondern um ein ideologiegetriebenes Schrumpfen des Staates. /16
(Wenn nicht, wäre es schön, von jenen, die immer die Ineffizienz des Staates als Argument für die Schuldenbremse anführen, und ihre ganze Energie in die Verteidigung der SB stecken, einmal konkrete Vorschläge zur Verbesserung von Verwaltungsabläufen zu hören.) /END
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Weil auch nach meinen theoretischen Erläuterungen zur #Schuldenbremse hier die Diskussion mit wissenschaftlich fragwürdigen Argumenten weitergeführt wurde, noch einmal, um welche Frage es geht, und welche Fakten uns KEINE Antwort geben können. 1/
Was war die Frage? Ich hatte die These aufgestellt, dass die Schuldenbremse dazu führt, dass die öffentliche Hand weniger investiert.
Was heißt aber in diesem Zusammenhang „weniger“? 2/
Wenn wir in der Ökonomie (oder Medizin oder sonst wo, wo es um kausale Analysen geht) die Frage stellen, wie ein Faktor A auf das Ergebnis X wirkt, dann geht es um den Vergleich einer Situation mit dem Faktor A gegenüber einer hypothetischen Situation ohne den Faktor A. 3/
Lesenswerter #Thread zur Diskussion „Innovation durch Verbote?“ von @Phuenermund.
Ein paar Ergänzungen von meiner Seite zur #EU-Dimension der Frage. 1/
Jenseits der Frage, wie Standards und Verbote auf die Innovationskraft der Unternehmen wirken, sollte man im #EU-Kontext nicht unterschätzen, wie stark die Standards in der EU auf die Innoviationen im Rest der Welt wirken. 2/
In den Politikwissenschaften und in den Randgebieten der Handelsökonomie wird seit einigen Jahren betont, dass die #EU ein „regulatory superpower“ geworden ist. @anubradford nennt dies den „Brüssel-Effekt“. 3/ scholarship.law.columbia.edu/books/232/#:~:….
Half a year ago,there was a huge outcry in Germany that the EU had presumably botched #Covid19 vaccine procurements.
Now, it shows that the mistakes at the EU level are dwarfed by failures of the vaccination campaign in Germany–but no one talks about it anymore.
A thread. 1/
When early this year, Israel, the #UK and the #US pulled ahead of EU countries in the vaccination drive, there was a lot of finger pointing at the EU commission. As was broadly discussed, the Commission had looked too much after not paying excessive prices 2/
and had ended up with contracts under which vaccine producers such as #Astrazeneca believed they could serve other countries first and the EU only second. (Some of this ended before courts.)
In Germany, media called it the “Impfdebakel” (vaccination debacle).3/
Ich wollte mit dem Tweet verdeutlichen, dass auch kleine Wahrscheinlichkeiten (0,01 %) in einer größeren Population eine relevante ABSOLUTE Zahl ausmachen. Ich habe nicht behauptet, dass 0,01 % der deutschen Kinder an Covid19 sterben, wenn sie infiziert sind. 2/
Es war also KEINE Projektion oder Prognose,sondern ein Beispiel.Auch wollte ich keine Panik verbreiten.
Es ging vielmehr darum, die oft gehörte Bemerkung „0,0x% Sterblichkeit ist nicht so schlimm“ etwas zu relativieren.
Ich hätte das aber wohl noch klarer formulieren sollen.
3/
Big news: According to the details in today’s quarterly report, #Biontech alone is now set to boost German GDP this year by 0.5 % and hence German GDP *growth* 2021 by 0.5 percentage points. This is quite extraordinary for a start-up. 1/
Usually, as a macroeconomist, I do not tweet about individual companies. Sometimes, however, there are rare cases where single companies have a macroeconomic relevance. #Biontech is such a rare example. 2/
Quick back-of-the-envelope calculation: #Biontech has estimated the revenue from #Covid19 vaccines for 2021 to €15.9 billion, which is roughly 0.5 % of GDP. As Biontech had only marginal sales in 2020, this impacts also GDP growth rate almost 1-to-1. 3/ investors.biontech.de/node/10446/pdf
Sehr spannende (und soweit erkennbar solide gemachte) neue Studie zur Übersterblichkeit seit 2020. Ergebnis: Deutschland ist pro Kopf mit etwa halb so vielen zusätzlichen Toten durch die Pandemie gekommen wie Frankreich, Österreich oder die Niederlande.1/ elifesciences.org/articles/69336
In den USA gab es pro Kopf etwa viermal so viele Tote wie bei uns, in Großbritannien immerhin dreimal so viele.
Hätten wir die gleiche Übersterblichkeit wie die USA, wären bei uns rd. 116.000 Menschen zusätzlich gestorben. 2/
Kanada dagegen hat rd. 20 % weniger zusätzliche Tote gehabt, Australien und Neuseeland noch weniger.
(Im PDF sehr detaillierte Tabellen mit Angabe von Datenstand, absoluten und relativen Zahlen.) 3/