Hier auf #Econtwitter wurde zuletzt wiederholt behauptet, ein #CO2-#Zertifikatehandel würde zur makroökonomischen Stabilisierung beitragen, weil ja die Preise in der Krise fallen und im Boom steigen.

Diese Schlussfolgerung ist leider Unsinn. Ein 🧵 1/
Natürlich stimmt es, dass die CO2-Preise im Emissionshandel in der Krise regelmäßig eingebrochen sind und danach in der Erholung gestiegen sind.

Allerdings trägt dies nicht zur makroökonomischen Stabilisierung, sondern eher zur Destabilisierung wieder. 2/
Warum ist das so?
Zunächst: Bei Energiepreisen allgemein ist die Erfahrung, dass fallende Energiepreise über höhere Kaufkraft zu mehr Nachfrage führen und damit die Wirtschaft ankurbeln.
Das liegt allerdings daran, dass Länder wie Deutschland ihr Öl und Gas überwiegend 3/
importieren. Wenn der Preis fällt, kommt es also zur Umverteilung von ausländischen Energieproduzenten hin zu inländischen Konsumenten. Das kurbelt die Nachfrage im Inland an. 4/
Bei fallenden Zertifikatspreisen ist das nicht so. Ein Verfall der Preise bedeutet, dass jene Unternehmen, die Zertifikate halten, den Wert abschreiben müssen. Außerdem sinkt noch der Wert der von den Unternehmen im Rahmen der freien Zuteilung künftig erwarteten Rechte. 5/
Hier wird die Bilanz geschwächt, es wird schwieriger, dass die Unternehmen Mittel für Investitionen mobilisieren, weil sie weniger Sicherheiten haben. Vielleicht werden dadurch Produkte etwas billiger, weil Unternehmen neu kalkulieren, aber der Vermögensverlust bleibt heftig. 6/
Dieser Mechanismus mag den Konsum etwas ankurbeln, aber dämpft die Investitionstätigkeit, weil die Bilanzen der betroffenen Unternehmen geschwächt sind. 7/
Gleichzeitig wird auch die Investitionstätigkeit in CO2-sparende Anlagen gedämpft, weil mit gefallenem Zertifikatspreis der Anreiz für solche Investitionen fällt.
Das mag evtl. ein bisschen von gestärktem Konsum ausgeglichen werden, 8/
aber eine makroökonomische Stabilisierung ist das in der Summe nicht, auch weil die Multiplikatoren der Investitionen üblicherweise größer sind als des Konsums. 9/
Und was ist mit den Zertifikaten, die neu versteigert werden? Bei diesen Zertifikaten (die nun billiger sind) gibt es eine Umverteilung vom Staat zu den Nutzern von Zertifikaten. Ob das netto die Nachfrage stützt, häng davon ab, wie der Staat mit den Mindereinnahmen umgeht. 10/
Wenn er wegen Fiskalregeln oder aus anderen Gründen die Ausgaben kürzt, ist hier ebenfalls kein Stabilisierungseffekt gegeben. 11/
Zur Einordnung der Größenordnungen des negativen Vermögenseffektes vs. der Entlastungswirkung: Es werden etwa dreimal so viele CO2-Zertifikate in Europa gehalten wie in den vergangenen zwölf Monaten neu versteigert wurden. 12/
Das ist aber noch nicht alles: Die Preise von CO2-Zertifikaten sind stark mit dem Ölpreis korreliert. Insoweit die Unternehmen die CO2-Preise auf ihre Absatzpreise umlegen (was sie derzeit etwa beim Strom tun), verstärkt 12/ ImageImage
der Emissionshandel die Volatilität der Inflationsraten.
Oder andersherum: Bei den Verbraucherpreisen ist der Emissionshandel DESTABILISIEREND, nicht stabilisierend. 13/
Man kann ja den Emissionshandel aus anderen Gründen gut finden, die Idee einer makroökonomischen Stabilisierung fällt aber ins Reich der Fabeln (oder der Wunschgeschichten bei jenen, die sich in Handelsmechanismen verliebt haben). /END

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More from @SDullien

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13 Sep
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A thread. 1/
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