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#Extremunbrauchbar, #Hufeisentheorie

Der Sammelband kostet 19,00 Euro und hat 304 Seiten. _Extrem unbrauchbar_ im Verbrecher Verlag, in Koop mit der Bildungsstätte Anne Frank erschienen, bringt vor allem junge Autorinnen.
Studierte politische Theorie ist nicht gerade Arbeit am Fließband, hinter dem Tresen. Das Buch fasst aber lesbar einige Erkenntnisse zum Verständnis der herrschenden sauberen Demokratie in der kapitalistischen BRD zusammen.
Auch mit dieser Buchbesprechung erreichen wir keinen, der in seiner Werkstatt nicht schon ohnehin weiß, was da in Lohfelden vor erst einer Woche war, oder was dort am 14. Oktober 2015 war.[1] Das Problem von Wissen und nicht Wissen und den politischen Konsequenzen daraus
ist aber genau das Schwierige. Ausgerechnet jetzt, nach dem Mord an Walter Lübcke, nach dem Angriff auf eine Synagoge in Halle und immer wieder Dresden-als-Opfer des Zweiten Weltkrieges, der ein Angriffskrieg der Deutschen war, nach der Erkenntnis, Kassel hat eine
aktive rechte Szene mit Kontakten u.a. nach Dortmund[2], setzt die Hessische Regierung (CDU/Grüne) ein "Aufklärungsprogramm" zu Linksextremismus auf.[3]
Aber was ist extrem links? Was ist rechts und mitte (als Adjektiv)? Wozu braucht wer eine "Extreme" wann fürs Normale? Jonas Fedders diskutiert dies im Buch an der Frage, wo die neue Rechte gesellschaftlich ansetzt. An
der "Mitte". Oder aus der Mitte, aus der Normalität heraus? Damit bestätigt sich dieses Bild mit der Sitzverteilung im Parlament mit den Un-Gemäßigten am Rand. Auch kann Fedders zwar erläutern, wie die Rechte ihren Diskurs aufbaut, mit einer Hegemonialpraxis, einer
Praxis, die Herrschaft erlangen will. Aber an der theoretischen Metapher vom Mainstream hält er - gezwungenermaßen - fest. "Die Rechte", will sie von Nebenarmen kommend dann den Hauptstrom mit "Konzepten und Ideen", mit ihrer "geistigen Strömung" bestimmen?
Handeln sich "alle Menschen" (die Mitte) mit dieser geduldeten "Metapolitik" von rechts - Markierungen des “Ausländers“, Zeichen der Reaktion, herrschaftliche lokale Raumübernahme, Zerstörung demokratischer Sitten - eine braune Flut ein, gegen die Dämme brechen würden?
Woher das ganze Wasser und das Flüssige, wenn die Abwehr von Gedanken und physisch offensiv unterdrückender Gewalt ansteht? Ist das mit dem Hass aus Ideen und Weltanschauungen im Unterschied zu Aktionen, dem getanem Tun, so klar?
Verlegt sich eine kritische Diskussion der rechten Gewalt zu sehr auf ihre Gedanken, die wie vorbereitet, eben ausgedacht, nur abgerufen werden? Oder artikuliert sich aspirierende, gewollte, Herrschaft in den Akten von Gewalt,
sich zuerst herstellend auf der Basis materieller Bedingungen? Die die Rechte zu simulieren sucht? Mit anderen Worten, ist diese Kritik hier ideologische Ideologiekritik? Geht Ideologie der Gewalt immer voraus?
Extremismustheorie sieht vor allem politische "Strömungen" dort "im Extrem", wo es antidemokratisch zugeht. Mit ihr wird vermutlich ein Bereich vorausgesetzt, der demokratisch sei. Die Mitte? Dass "in der 'demokratischen Mitte' selbst eine Vielzahl an
antidemokratischen Einstellungen vorherrschen",[4] kann eine Kritische Theorie der Mitte nicht wirklich retten. Was Jonas Fedders anmerkt ist, dass die Extremismustheorie Form und Inhalt voneinander trennt: Sie "fokussiert sich auf die Form eines politischen
Gegenstandsbereichs, also etwa auf Aktionsformen, durch die der Inhalt transportiert werden soll, oder auf sprachliche Formen, in die der Inhalt gekleidet wird. Für den Inhalt selbst ist sie hingegen weitestgehend blind."
Extremismustheorie wäre dann eine substanzfreie "Theorie". Sie ist aber selbst Diskurs, und ihre Gegenstände stehen in Relationen zu dem, was geschieht.
Wäre noch zu ergänzen, dass die Aktion(en) und die Mythen, dass die Form selbst der Inhalt sein kann. Dies ist das Verwirrende mit der Metapolitik. Das Ergebnis kann Destruierung bestehender Verhältnisse sein, Faschisierung,
das heißt Vereinigung und Ausgrenzung. Alles signifikant für den Nazismus. Im Buch wird außerdem kritisiert, dass der VVN-BdA als "linksextrem" attackiert wurde, wie stark der Staat versucht, diese problematisch gewordene Normalität zu definieren, wie etwa Antisemitismus "das
ideologische Angebot einer Gesellschaft" ist, "die sich selbst nicht begreifen kann". Mit dieser letzten Analyse von Katharina Rhein und Tom David Ulig, die mit Eva Berendsen den Band herausgeben, wird die Theorie des Extremismus gesprengt. Gesellschaft funktioniert
komplexer, das Extreme an der Außenseite von Gesellschaft hält zur Erklärung der gesellschaftlichen Entwicklung nicht, was sie verspricht, nämlich:
"Extremisten gefährden, unabhängig von ihrer ideologischen Prägung, das friedliche Zusammenleben in unserem demokratischen Staat". So steht es auf der Seite für die Linksextremismus-Prävention für die Schule aus Wiesbaden.[5] Der Faschismus kommt irgendwie von
Außen. Bringen wir ihn unter Kontrolle. Die Lehre vom Extremismus ist zum Schutz der "herrschenden Wirtschafts- und Sozialordnung" da, "gegen emanzipatorische Politik", wie Maximilian Pichl titelt.
Aber Pichl kann die Scharniere (und das ist vielleicht auch nicht Aufgabe dieses Buches) vom Kapitalverhältnis zum Faschismus, oder die bestimmten Potenzen des Autoritären im Kapitalismus nicht verdeutlichen. Seine Kritik der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
(fdGO) bestimmt implizit eine staatliche Garantie des Schutzes vor der Willkür des Staates selber und Pichl verweist dabei wiederum auf emanzipatorische Kräfte, die hier das Korrektiv bilden sollen.
Aber wir machen uns auch nichts vor. Vereinfacht: Extremismus ist als "Abweichung" willkommen für die andauernde Nationbildung, ihr Außen und ihren "Kern", den Kompromiss der Klassen. Hält dieser nicht, scheint es so, als entstünde ein Haken vom "rechten Rand" zur Mitte hin,
von der Mitte hin zum "rechten Rand". Nicht vergessen werden darf, darauf kann mit dem Band insgesamt hingewiesen werden, dass Extremismus quasi das Handbuch der Organe des kapitalistischen Staates, inklusive des Verfassungsschutzes darstellt.
Guenther Sandleben schreibt irgendwo, es reiche nicht aus, "Nazis raus" zu praktizieren, wenn (ab hier weiter sinngemäß interpretiert) die sozialen Ursachen für den Nazismus nicht beendet würden. Das unterstellt natürlich eine Vermittlung vom Kapitalverhältnis zur Herrschaft
und zum Autoritären. Und dieses Autoritäre kann ins System des Kapitalverhältnisses selbst umschlagen. "Das Autoritäre" ist bürgerliche Herrschaftsform.
Welche emanzipatorischen Kräfte, welche emanzipatorische Politik wäre aber denn gemeint, wenn es um mehr ginge, als einer Theorie das Wort abzusprechen, die den kapitalistischen Staat reproduzieren hilft?
Wir dachten bei der "Hufeisentheorie", die für die Extremismustheorie eine Ähnlichkeit linker wie rechter Inhalte behauptet, immer an Jean-Pierre Faye. Mit ihm kann frau für diese strukturellen Ähnlichkeiten "linker" und "rechter" Kräfte[6] das Inhaltliche vom Taktischen
unterscheiden. Emanzipatorisch Links und autoritär Rechts wollen also nicht dasselbe. Sie wollen aber beide nicht diesen Staat und diese parlamentarische Demokratie. Eine falsche Schnittmenge in der Theorie vom politischen Hufeisen (über einer gedachten Mitte senken sich rechte
und wie linke Antidemokraten destruktiv herab). Diese Bild hat historische Gründe. Der Kommunismus/Stalinismus bedrohte angeblich mörderisch die demokratisch verfasste kapitalistische Grundordnung, die nazistisch/faschistische Rechte auch,
nutzte ihn aber in Wirklichkeit vollends aber bis zum Eliminatorischen aus. Mit Faye kann man das aber so im Konjunktiv denken und zugleich stalinismuskritisch anbringen: Der Kommunismus/Stalinismus hätte dann im so genannten Hitler-Stalin-Pakt Kapitalismus nur taktisch
entdroht (!), um den "Sozialismus in einem Land" für einen Zeitraum zu sichern, weil der faschistische Angriff absehbar war. Die emanzipatorische Linke blieb, strittig auch bereits bolschewistisch, auf der Strecke.
Links und rechts _erscheinen_ geschichtlich miteinander verquickt. Was der Band nicht ausspricht: "Neue Linke" (sofern nicht stalinistisch) aber wollen den Kapitalismus abschaffen (aufheben), um zuallererst demokratische Verfasstheit herzustellen, während Rechte
_diesen_ Kapitalismus zwar "abschaffen" wollen, aber nur um ihn weiter zu entdemokratisieren und zu verschärfen. Entdemokratisierung bildet jedoch offenbar das Moment, das kapitalistischer Staat und Rechte gemeinsam haben, im ersteren als Tendenz, bei letzterer als Plan.
Die Theorie vom Hufeisen der Extreme versucht darum einen Kern des guten Systems zu basteln, welches das Entdemokratisierungsmoment ausschließt, welches Autoritarismen rechtsstaatlich mit der Gewaltenteilung abweist.
Vom allwissenden Auge des "Überwachungskapitalismus" mit seinem Staat aus gesehen, nähern sich "Extreme" (Gruppen und Strategien) konzeptionell auf einer Metaebene an, was bedeutet, jede nicht-kapitalistische Diktatur zur Gefahr 1 und jede nicht-demokratische
mordende Diktatur zur Gefahr 2 zu entwerfen. Ein Entwurf, wie er einmal im Anti-Bolschewismus zwischen 1914 und bis weit nach 1945 tragend war und wie er im Antikommunismus weiter fortbesteht.
Es wäre schön gewesen, wenn im Buch die "Autoritarismen" der Nation etwas genauer benannt worden wären. Nation aka Staat schließt Bürger "integrierend" aus und ein, reguliert den Zwang zur Lohnarbeit, hält ein Gewaltmonopol für den Schutz
privaten Eigentums aufrecht, führt (die BRD betreffend) strategischen Angriffskrieg und bestimmt souverän als "ideeller Gesamtkapitalist" über die Marschrichtung der ökonomischen Gesamtpolitik.
Der Beitrag von Tom Uhlig geht zwar - Max Horkheimer zitierend - auf diesen "dauernden Kriegszustand nach innen und außen" ein, bestimmt aber die Situation polit-psychologisch als soziale "Kälte".
Das Buch äußert sich darum nicht in einem links-libertären "Fahrwasser" oder akademisch. Er kann aber die praktischen Erwägungen aus dem Analysierten nicht ziehen. Ein emanzipatorischer "Begriff der Verfassungspolitik", wie Pichl ihn etwa bei den
mietenpolitischen Enteignungsinitiativen sieht, erhofft sich mehr vom Grundgesetz als vom Kapitalverhältnis zu erwarten ist. Frau kann darum nicht behaupten, dass es nur um Diskursstrategien ginge. Es geht auch um Namen.
Ulrich Kutschera, biologistischer Pflanzenphysiologe an der Uni Kassel, der Schwulen und Lesben keine "unnatürliche" Adoption von Kindern erlauben will und Genderfragen als unwissenschaftliche ablehnt, wird von Charlotte Busch und Julia König in die "sprachliche
(Re-)Produktion gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse" eingeordnet. Kutschera, der auch für die "Die Freie Welt" schreibt, einer rechten "Internet- und Blogzeitung für die Zivilgesellschaft", wird in Kassel wegen Volksverhetzung vor Gericht stehen.
Wichtiger als das ist die Kritik von Studierenden der Uni Kassel an Kutscheras offen homophober Un-Wissenschaftlichkeit. Kutschera will die "Zensur" seiner "biologisch korrekten Tatsachen-Aussagen" bis vor das Bundesverfassungsgericht bringen.
_Extrem unbrauchbar_ wird heute abend, am Freitag, 14.2.2020 um 19:00 Uhr im öffentlich zugänglichen Sendesaal im Freien Radio Kassel (freies-radio-kassel.de) in der Opernstraße 2 vorgestellt. Der Eintritt ist frei.
Tom David Uhlig, Eva Berendsen, Katharina Rhein (Hg.). _Extrem unbrauchbar. Über Gleichsetzungen von links und rechts_. verbrecherverlag.de/book/detail/10….
[1] Am 14.10.2015 äußert sich Walter Lübcke, der 2019 ermordet wurde, zur Flüchtlingssituation im Raum Kassel. Am 8.2.2020 hält wenige hundert Meter neben der damaligen Flüchtlingsunterkunft im Baumarkt "Hornbach" in Lohfelden die AfD einen Neujahrsempfang ab. Siehe
auch: t-online.de/nachrichten/de…, hier ermitteln Journalisten forensisch, das heißt systematisch und für die Öffentlichkeit bestimmt, zum möglichen Sitzplatz von Stephan Ernst in der damaligen Veranstaltung anhand eines Video.
[2] Dem journalistischen Text bzw. den im Gericht entstandenen Mitschriften des Band 1 "Beweisaufnahme" von _Der NSU-Prozess. Das Protokoll_, erschienen im Kunstmannverlag und im Nachdruck von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb.de/shop/buecher/s…), ist
[4] Fedders verweist hier auf das Buch _Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Die Leipziger "Mitte"-Studie 2016_.
Yelena Simc, Matze Schmidt
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