Nochmal zum 🇩🇪 #Mindestlohn

Ich hatte dazu in der @wiwo einen Vorschlag gemacht, aber der Text ist jetzt erst online.

Spoiler: wir sollten nicht nur über die Höhe des bundeseinheitlichen ML diskutieren, sondern auch über regionale Differenzierung. /1

wiwo.de/my/politik/kon…
Zunächst: die Einführung des ML von 8,50 Euro im Jahr 2015 war ein großer Erfolg!

Er hat die Einkommen im Niedriglohnsektor spürbar erhöht, aber nicht (wie zuvor befürchtet) zu Arbeitsplatzabbau geführt.

Siehe 👇 und die Diskussion dazu. /2

Aber das bedeutet *nicht*, dass wir jetzt einfach einen ML in beliebiger Höhe festsetzen können, ohne jemals negative Konsequenzen fürchten zu müssen.

Die Frage ist immer: wie hoch ist der ML im Vergleich zum allgemeinen Lohnniveau? /3
Basierend auf der internationalen Evidenz hat der ML-Spezialist @arindube (für UK) eine schöne Faustformel entwickelt:

Danach führen ML idR nicht zu Jobabbau, wenn sie sich unterhalb von 66% des Medianlohns bewegen.

Wenden wir das mal auf 🇩🇪 an. /4

assets.publishing.service.gov.uk/government/upl…
Stundenlöhne sind mit @iab_news Daten nicht einfach zu berechnen. Aber überschlagen wir mal grob: der Brutto-Monatsverdienst lag im Median (vor Corona) für Vollzeitbeschäftigte bei 3400 Euro

Das entspricht bei 22 Arbeitstagen und 8h ca. 20 Euro/Stunde /5

spiegel.de/wirtschaft/soz…
Nach der Dube-Formel läge die kritische 66%-Schwelle für den ML somit bei 13,20 Euro.

Die aktuell diskutierten 12 Euro wären somit noch im Rahmen.

Die aktuellen 9,60 Euro liegen klar im grünen Bereich - ein Grund, warum der ML bislang nicht zu Jobverlusten geführt hat. /6
Natürlich ist diese Schwelle nicht in Stein gemeißelt.
Vielleicht liegt sie in 🇩🇪 höher, aber vielleicht auch niedriger.

Immerhin beziehen sich die 20 €/h im Median nur auf Vollzeitkräfte, usw. usf.

Doch nun zum eigentlichen Thema: regionale Differenzierung. /7
Es gibt zwei zentrale Gründe, warum regional differenzierte ML besser sein könnten als ein bundeseinheitlicher ML.

1. Regionale Preisunterschiede
2. Regionale Unterschiede bei den kritischen ML-Schwellen. /8
Zunächst die Preise: In München oder Hamburg reichen nicht mal 12 Euro, geschweige denn die aktuellen 9,60 Euro, um davon anständig leben zu können.

Das Niveau ist nach @AndrewWattEU et al. dafür in 19 der 20 größten deutschen Städte zu gering. /9

wsi.de/de/faust-detai…
Auf dem Land sind 9,60 Euro hingegen etwas völlig anderes als in München, wo qm-Mieten fünfmal so hoch liegen.

Derselbe nominale ML-Lohnzettel ist auf dem Land real deutlich mehr wert.

Gleichzeitig sind die Risiken&Nebenwirkungen des ML räumlich höchst unterschiedlich. /10
In München liegt der Medianlohn bei 27 Euro. Stellenabbau droht nach Faustformel also erst ab 17,88 Euro. In Erlangen sind es sogar 19,63 Euro

Diese Städte würden deutlich höhere ML gut verkraften. Sie sind nicht bloß teuer, sondern verfügen über hoch produktive Unternehmen /11
Ganz anders in Saale-Ostra oder Vorpommern-Rügen.

Dort liegt der nominale Medianlohn nur bei rund 15 Euro. Somit kann es schon ab einem ML von 9,60 Euro kritisch werden, 12 Euro wären riskant. /12
Denn im Unterschied zu Firmen können Regionen ja nicht einfach verschwinden.

Laut Dustmann et al. (QJE 2021) haben viele kleine, unproduktive Firmen den ML nicht überlebt und die Arbeitskräfte sind anderswo hingegangen.

Bei ganzen Regionen ist so ein Prozess unvorstellbar. /13
Im Wahlkampf sind regionale Mindestlöhne wahrscheinlich schwer zu vermitteln

Zu schnell wird der Ruf "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" erschallen, auch wenn die Reallöhne gar nicht gleich sind

Aber mittelfristig lohnt es sich, über regionale Differenzierung zu diskutieren. /14
Vielleicht klappt der politische sell über "Ortszuschläge". Mal sehen.

Es würde in der Praxis zu nominalen Mindestlöhnen deutlich oberhalb von 12 Euro in den Großstädten führen, mit entsprechend moderateren Anstiegen in Orten, wo das Geld ohnehin mehr Wert ist. /END
ps: Einen ebenfalls positiven , aber ganz anders motivierten Blick auf regionale ML von @PeterBofinger gibt es hier

ipg-journal.de/rubriken/zukun…

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Jens Suedekum

Jens Suedekum Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @jsuedekum

31 Aug
Nein, die carbon border tax muss keinen Handelskonflikt auslösen!

Sie verschafft der EU keinen unlauteren Vorteil ggü Handelspartnern, sondern mindert bloß die Nachteile, die sich für die EU aus steigenden CO2-Preisen ergeben. Grund für Vergeltungszölle bietet sie nicht /Thread
Ein fiktives Beispiel zur Erläuterung

- mal angenommen, in der EU läge der CO2-Preis bei 100 Euro/Tonne, aber in allen anderen Ländern bei 0.
(diese Zahlen dienen nur zur Veranschaulichung und sind nicht real!!!).

- Offensichtlich hätte die EU-Industrie jetzt ein Problem. /2
- Sie hat höhere Produktionskosten als ihre Wettbewerber aus 🇨🇳,🇺🇸,🇮🇳, ... und büßt global Marktanteile ein.

- Einige EU-Firmen werden ihre Produktion ganz ins Ausland verlagern, um CO2-Preise zu umgehen. Das ist das sog. (direkte) "carbon leakage" Problem. /3
Read 16 tweets
18 Aug
Eben ging der letzte Autogipfel dieser Legislatur zu Ende

Es ging u.a. darum, was mit den 1 Mrd. € des "Zukunftsfonds Autoindustrie" passieren soll
Als Co-Vorsitzender des Expertenausschuss habe ich der Kanzlerin folgende Empfehlungen überreicht /Thread

bmwi.de/Redaktion/DE/D…
Zunächst: der Ausschuss hatte 12 Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften

Seit Januar 2021 haben wir mit zahlreichen Akteuren gesprochen, die von der Transformation der Autoindustrie betroffen sind, und daraus *einstimmig* unsere Förderempfehlungen abgeleitet. /2
Sie teilen sich in 3 (quantitativ etwa gleich starke) Säulen auf.

1) Regionale Transformation
2) Digitalisierung
3) Fertigungstechnik

S 2 & 3 haben einen F&E-Fokus. Es geht um technologische Entwicklungen (z.B. Software oder circular economy) wo 🇩🇪 großen Nachholbedarf hat. /3
Read 20 tweets
12 Jun
Hallo, ich bin Jens (45) und bin mit 31 Jahren W3-Prof für VWL geworden. Ich kenne das akademische up-or-out game (bzw. die upside) also ganz gut aus eigener Erfahrung.
Ich unterstütze das #IchbinHanna Anliegen und würde es gerne etwas einordnen. /Thread
Woher kommt die Vorstellung, dass wiss. Mitarbeiter Stellen für den Nachwuchs "verstopfen"?

Meine anekdotische Evidenz: Mein VWL-Studium begann im WS 1996/97 an der Uni Göttingen. Damals gab es noch recht viele Dauerstellen im Mittelbau, die den Professuren zugeordnet waren. /2
Schnell geriet ich an Akad. (Ober-)Räte Anfang 50, eingestellt in der 70er Bildungsexpansion, mit *null* Bock auf Lehre und entsprechendem Forschungsoutput.
Unmotivierte Beamte, die nur noch auf die Pension warten. Dienst nach Vorschrift. Vorlesung seit 20 Jahren unverändert. /3
Read 12 tweets
27 Jan
Do robots destroy jobs and cause mass unemployment?
No, they don’t!

Happy to share that our paper

“The Adjustment of Labor Markets to Robots”

has been accepted for publication in the Journal of the European Economic Association.

Here’s a little thread about it. (1/18)
It’s been a long journey – starting in Sept. 2017, when we first published this widely read @VOXEU column (the older ones on #Econtwitter might still remember).

And here we are, four years later, with the final version #JEEA: drive.google.com/file/d/1dNv9lb…

voxeu.org/article/rise-r…
The paper received in media attention in >25 countries.

A personal highlight was my double interview @faznet with popstar philosopher Richard David Precht, where I argued that his claim – robots cause mass unemployment – is, well, not true. /3

faz.net/aktuell/wirtsc…
Read 19 tweets
23 Jan
Hier eine kleine Reflexion zur gestrigen #MMT Debatte auf #Clubhouse mit @MauriceHoefgen und Mark @schieritz

(bevor andere mutmaßen, was ich denn gesagt/gemeint haben könnte...😉)

Zunächst zu Marks Frage: woher kommen Zinsen? Sind sie "natürlich" oder werden sie gemacht?
Ich beginne mit einer Analogie. Reden wir zunächst über Löhne, statt über Zinsen.

Genauso wenig wie es "den Zins" gibt, gibt es auch nicht "den Lohn". Es gibt in einer Volkswirtschaft Millionen von Löhnen, die alle von zig (mikro- und makroökonomischen) Faktoren abhängen. /2
Diese Löhne ergeben sich zunächst mal - ganz natürlich - über Angebot und Nachfrage. Aber der Staat beeinflusst diese Preisbildung auf mannigfaltige Art und Weise, zB über Mindestlöhne, Arbeitsrecht usw.

Der Staat setzt ("macht") also keine Löhne, aber er beeinflusst sie. /3
Read 20 tweets
12 Jan
Blicken wir mal ein paar Monate nach vorne: der Frühling kommt, die Impfmaschine läuft endlich und das normale Leben kehrt zurück.

Wie geht es dann kurz- bis mittelfristig mit der deutschen Wirtschaft weiter? Hierzu gibt es zwei grundsätzliche Stories und jetzt einen /Thread
Story 1 sagt: dann kommt ein großer Boom, die "goldenen 20er"

Story 2 sagt: die Corona-Krise wird noch lange nachhallen und die Wirtschaft über eine lange Zeit dämpfen.

Welche Story stimmt? Wahrscheinlich beide. Aber erstmal zu den Details. /2
Zunächst ist wichtig festzustellen, dass die aktuelle Konjunkturlage im Q4/20 trotz sog. „lockdown“ gar nicht so übel aussieht.

Zwar sind einige Wirtschaftszweige extrem getroffen, allen voran Gastro, Reisen und Veranstaltungen. Dafür sieht es anderswo schon wieder gut aus. /3
Read 20 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(