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Weil der Spin grad selbst bei Leuten kursiert, die ich für schlauer halte, kurz zur Erklärung, warum ein Misstrauensantrag gegen ihn und ein Pochen auf eine echte Übergangsregierung natürlich die richtige Strategie ist. /1
Eingangs einmal: Die Gegenthese hat als Voraussetzung, dass hier einige Akteur*innen, vornehmlich Kurz selbst, 17-dimensionales Schach spielen. He doesn't. Nobody does. Erstens funktioniert die Realität nicht wie House of Cards, zweitens halte ich sein taktisches Geschick /2
sowieso für stark überbewertet (im Gegensatz zu seinen kommunikativen und Präsentations-/Spin-Fähigkeiten – keine Frage, das kann er, wobei da auch den nach wie vor enttäuschend schwachen ö. Medien eine wichtige Rolle zukommt). /3
Auf der Haben-Seite im MA-Fall: Kurz kann sich als Opfer inszenieren, den anderen Parteien zu wenig staatstragendes Verhalten vorwerfen, einfordern, man müsse ihn mit mehr Wirkungsmacht ausstatten und seinen „Reformkurs“ stärken, yadda yadda. Ja, eh. /4
Aber Newsflash, Freund*innen der gehobenen Kleinkunst: Genau das macht er sowieso, und Bezug zur Realität und zu realen Verhältnissen war im Kurz'schen Spin-Krieg sowieso nie der limiterende Faktor (siehe in Tweet №3 oben unter #Medienversagen). /5
Negativa für Kurz im MA-Fall hingegen: Es durchbricht seine Inszenierung und ist eine symbolische wie tatsächliche Entmachtung. Es hindert ihn, sich als strahlender Reformkanzler und einzige Kontinuität und Stabilitätsanker zu gerieren. /6
Es ist ein eindeutiger Gesichtsverlust und reduziert ihn auf die Rolle der Drittelminderheit, die er ja auch ist und darstellt. Es ist, meiner schreibtischpsychologischen Einschätzung nach besonders gravierend, ein Kontrollverlust. /7
Meiner Wahrnehmung nach ist Kurz ein unheimlich starker Kontrollmensch, der Dinge bis ins kleinste Detail plant und durchtaktet, möglichst alles im Vorhinein genau einkasteln und dann am liebsten nur noch nach Schema fahren möchte. /8
Ich neige selbst eher (::hüstel::Untertreibung::hüstel::) zu der Einstellung und Denkstruktur, und wenn ich ihn da richtig einsortiere, dann ist das literally the worst für ihn persönlich. /9
Und last but not least: Es schränkt seinen Handlungsspielraum ein, und zwar sowohl politisch als auch kommunikativ. EU-Gipfel-Inszenierungen, Diplomatie-Termine als großer Staatenlenker und dergleichen kann er stanzen. /10
Und einen Kommunikationsstab von 120 Mitarbeiter*innen kann sich nicht mal die ÖVP auf Parteikosten einfach mal so leisten. Personal ist teuer. /11
TL;DR: It's not rocket science. Kurz per Misstrauensantrag zu entmachten bedeutet primär, Kurz zu entmachten—und zwar symbolisch, kommunikativ, vom Handlungsspielraum und von der Inszenierung her. Es ist oberflächlich wie auch tiefer gehend betrachtet die richtige Strategie. /12
Ergänzend noch, weil das auch als Argument kam: Ja, Kurz wollte im 2017er-Wahlkampf nicht Vizekanzler werden. Da ging's aber um die Inszenierung und schlüssige Erzählung von „mit der SPÖ geht es nicht mehr“, und die Bild- und Wirkungsmacht hatte er als Minister ja trotzdem. /13
Weil das jetzt ein paar mal als Kritik kam: Ja, in diesem Thread ging's primär um Strategie und Taktik, ich find es aber auch aus staatspolitischen Gründen notwendig. Schreib später noch was dazu. /14
So, ein paar kurze Ergänzungen noch.

Upthread ging's jetzt primär um taktische Überlegungen mit Blick auf die Wahlkampagne, aber auch aus idealistischeren Motiven ist ein Misstrauensantrag die richtige Vorgangsweise. /15
Die gesamte Causa hat schon zu einem massiven Misstrauensanstieg innerhalb der Politik wie auch unter den Wähler*innen geführt. Die derzeitige ÖVP-plus-Regierung ist da keineswegs geeignet, Vertrauen in die Institutionen, Gepflogenheiten und Abläufe zu stärken. /16
Eine tatsächlich überparteilich zusammengesetzte Regierung unter irgendeiner konservativeren, nicht mehr aktiven Politiker*in hingegen wäre da ein symbolisch wichtiges Zeichen. /17
Und auch die Zusammensetzung wäre so schwierig nicht hinzubekommen; die von VdB ausgewählte Person trifft sich mit allen Parlamentsparteien zu Gesprächen und lotet akzeptable Personen aus Beamtenschaft oder Zivilgesellschaft aus, Möglichkeiten gibt's genug, fertig. /18
(Wo da die von manchen postulierte rot-blaue Schreckensallianz herkommen soll, ist mir übrigens nicht ganz klar; die Übergangsregierung soll ja so gestaltet sein, dass sie auch für die ÖVP akzeptabel ist.) /19
Umgekehrt wäre es von der Bildwirkung her mMn nicht erklärlich oder vermittelbar, warum einem Kanzler, der *so* offensichtlich nicht das Vertrauen einer Parlamentsmehrheit hinter sich hat, das Vertrauen ausgesprochen werden sollte. /20
Das befördert aus meiner Sicht erst recht wieder das enorm verbreitete, aber fatale Bild von „politics as sport“ bzw. „politics as game“, wo man A sagt, obwohl man B meint, und ja eh alles gar nicht so wichtig und ernst ist. (Es ist.) /21
Und auch der jetzt schon halbwegs unabhängige neue Teil der Regierung kann ja ggf. bleiben, wenn es im Rahmen eines Gesamtpakets für die Mehrheit der Abgeordneten akzeptabel scheint. /22
Und zuletzt noch: Es. Gibt. Keine. Staatskrise. Auch eine Übergangsregierung ist keine Staatskrise. Auch eine längere Amtsführung einer solchen ist keine Staatskrise. /23
Erstens gibt es ganze politische Systeme, in denen aus Fairness- und Polithygienegründen vor Wahlen kommissarische Regierungen die Amtsgeschäfte übernehmen; … /24
… und zweitens gibt es auch in jüngerer Vergangenheit Beispiele von Ländern, die hunderte Tage ohne funktionierende Regierung problemlos durchs Leben gehen. Die Verwaltung funktioniert ja trotzdem.

Es. Gibt. Keine. Staatskrise. /25
Dass sich übrigens just jener Politiker, der innerhalb von weniger als zwei Jahren zweimal mittelbar für vorgezogene Neuwahlen verantwortlich zeichnet, als Hort der Stabilität aufspielt, ist dermaßen lächerlich, dass es ohnedies nur mehr gewisse Europakorrespondenten glauben. /26
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