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Die Methode ist hierzulande bekannt als Googeln. Nur eben ohne eine Suchmaschine, die mit Algorithmen Rankings von Medienstellen, Speicherorte mit Adressen genannt, erstellt. Der zufällige Blick ins Buch #MarxunddieRoboter mit 350 Seiten bringt gleich wichtige Namen hervor:
Marx, Marcuse, Mason. Und sie zeitigt einen ersten, kürzesten Index mit Begriffen: kapitalistische Produktionsweise, Maschinen, Arbeiterinnen. Das „Feld“, wie es die Wissenschaft behauptet, und wie es die selbstskeptische Linke vor sich herschiebt, so wird andernorts behauptet,
sei unübersichtlich, oder brächte nichts Neues. In der Tat wird das Topic der "maschinellen Intelligenz" bei einer "KI", die seit der Frühzeit rechnender Maschinen an die Metaphorik des Gehirns andressiert wird, zu einem Überkomplex an Fragen. Es sind mittlerweile gut
2000 Jahre, dass immer dann von Karel Capeks Roboter die Rede ist, wenn Sklaven zur Arbeit gezwungen werden. Diese kleine historische Ungenauigkeit soll nur darauf verweisen, wie alt die Frage ist, die nach einer Antwort verlangt. Im Band diskutiert Christian Meyer die
Vertechnisierung dieser Frage nach einer Erfindung, die vom basalen Muss der Arbeit entlastet und sie zu einem Grundbedürfnis zurückführen könnte. Der Technikdeterminismus, der auf Marx' Produktivkraftkritik in der berühmten Passage in "Das Elend der Philosophie" zurückginge,
in der dieser sagt, dass bestimmte "Technologie der Gesellschaft ihren Stempel aufdrückt" (Meyer), reibt sich mit der angeblichen Zweckoffenheit von Technik überhaupt. Im "Kapital" steht, wie Technik in der kapitalistischen Produktionsweise die Intensität der Arbeit,
quasi robotisch, steigert für den Zweck der Veranstaltung, den Reichtum des Produzenten zu vermehren und eben nicht den der Gesellschaft. Zwischen Maschinerie und ihrer Anwendung und ihrer kapitalistischen Anwendung zu unterscheiden, ist eine Differenzierung, die
offensichtlich immer wieder wiederholt werden muss. Und das ist nur die halbe Wahrheit, weil Technik ihrer strukturalisierenden Programmatik, ihrer Programmierung und Algorithmik nach performative Akte bestimmt. Algorithmen bestimmten Arbeitsvorgänge.
Das kann man gut an der Popmusik ablesen. Als nach der Abwehr der lästigen Programmierung in maschinellen Lösungen musikalischer Instrumente in den 1980ern die Automaten in die Second-hand-Läden kamen, als Schlagzeug- und Bassmaschinen, wurden ganze Genres neu definierbar
(HipHop, Techno). Es mag avantgardistische Vorläufer dieser Klänge und Rhythmen gegeben haben (Giorgio Moroder), diese waren aber ebenso maschinell induziert.
Wir schalten aus dem Buch in den Saal der Evangelischen Kirche in #Kassel. Dort hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund auf der Veranstaltung "Arbeiten 4.0 – Perspektiven für die betriebliche Mitbestimmung" diese Differenzierung Technik und Anwendung in Gestalt von
Prof. Dr. Wolfgang Schroeder verlautbart, aber mit Prof. Dr. Kerstin Jürgens (beide Universität Kassel) nicht einhalten können. Schroeder hielt 2017 zugute, dass es einen Konflikt von Individuum und Kapital, gäbe, vergaß aber die arbeitende Klasse zu erwähnen, der er als
akademischer Intellektueller nicht angehört. Und Jürgens konnte als damaliges Mitglied der Kommission "Arbeit der Zukunft" der Hans-Böckler-Stiftung zur Tarifmacht der Gewerkschaften in Bezug zum Roboter nichts sagen. Tarifmacht hieß damals: Große Gewerkschaften verhandeln den
Preis der Ware Arbeitskraft, und damit indirekt den Preis der Robotik. Wo menschliche Arbeitskraft den Kostpreis für den Kapitalisten senkt, kann der Roboter zu teuer sein. Die Politik unter der Parole "4.0" bleibt die, den Kostpreis menschlicher Arbeit – in Marxscher
Terminologie v, für variables Kapital – so niedrig wie möglich zu halten. Und c, für constantes Kapital, also Maschinen, dort v ablösen zu lassen, wo menschliche Arbeit den Kapitalisten zu teuer kommt.
Schon eingangs kommen die Herausgeber von _Marx und die Roboter_, Butollo und Nuss, auf diesen Unterschied von lebendiger Arbeit und maschineller "Arbeit" und Lohn und Maschine zu sprechen. Die Theorie: Hochautomatisierte Prozesse des
"High-Tech-Kapitalismus" (Wolfgang Fritz Haug) verbilligen die Arbeit und machen den Mehrwert größer, weil der lebendige Arbeiter in gleicher Zeit "4.0-gestützt" und von maschinell ersetzbaren Routinen befreit, mehr oder im Vergleich qualitativ besseres Mehrprodukt
und so mehr Mehrwert produziert. Aber das Produkt wird nicht unbedingt billiger. Was, wenn der Mehrwert nicht realisiert werden kann? Die Herausgeber weisen auf das allgemeine "Problem der kapitalistischen Akkumulation" hin: Die "theoretisch denkbaren Potenziale neuer
Technologien stoßen an die sozialen Grenzen von Produktionsverhältnissen". Und weiter: "Die Tendenz des Kapitals, durch Einsparung lebendiger Arbeit Kosten zu senken, steht im Widerspruch dazu, dass die Ausbeutung lebendiger Arbeit die einzige Quelle
für die Verwertung des Kapitals darstellt." Warum? Wenn Roboter alles herstellen, müsste doch alles billiger werden, wenn nicht bald alles umsonst zu bekommen ist ... wie Paul Mason post-kapitalistisch insgeheim meint.
Das Missverhältnis von "Kosten" kostender Arbeit der Menschen und kostensenkender Maschine, wird im Band zwar diskutiert, aber leider nicht näher oder explizit behandelt. Einzig Elena Louisa Lange erklärt unter dem Stichwort "Verwertungspostulat" und mit einem langen Zitat
von Marx, wie der "Tarif" mit dem Roboter zusammenhängt. Es ist die Diskrepanz von Technik, die in der Produktion keinen Mehrwert schafft, und Arbeit von Menschen, deren Arbeitskraft bekanntlich wie eine Ware eingekauft wird, denen aber der Mehrwert, den sie bauen nicht gegeben
wird. Lange zitiert aus Band 25 und Band 42 der MEGA, der Gesamtausgabe der Marx-Engels-Werke (MEW, Karl Dietz Verlag Berlin). Produktion, die keinen Mehrwert schafft und damit keinen Profit, ist das Problem des Kapitals. Und das wird meistens mit
dem "tendenziellen Fall der Profitrate" in Verbindung gebracht. Das Buch setzt hier einiges voraus, fordert aber auch heraus die Materialien neu oder wieder durchzugehen. Die erwähnten Texte sind mit den neuen Schreibmaschinen hier …wirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_ba… und
hier …wirklichstudieren.files.wordpress.com/2012/11/mew_ba… gut absuchbar. Das Lesepensum, nicht gleichbedeutend mit dem Verstehenspensum, dürfte dadurch steigen.
Die Textstellen erklären, auch, warum es die "menschenleere Fabrik", im Buch diskutiert von Karsten Uhl, im Kapitalismus nicht und auch sonst nie geben wird. Leicht lassen sich mittels dem noch nicht sozialisierten Google Elena Louisa Lange, mit dem Thema der Mehrwerttheorie,
und Uhl, mit dem Thema der Ersetzung der menschlichen Arbeit, anhand von Marx-Samples ergänzen: "daß die Profitrate nicht den absoluten Surpluswert [Mehrwert] im Auge hat, sondern den Surpluswert im Verhältnis zum angewandten Kapital" (MEW, Band 42, Grundrisse, S. 460),
die Profitrate demnach den Gewinn ausmacht. Und: "Nimmt die Profitrate ab im größeren Verhältnis, als seine Größe wächst, so nimmt der gross profit des größeren Kapitals, verglichen mit dem kleinren, ebensosehr ab, als die Profitrate abnimmt.
Es ist dies in jeder Beziehung das wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie und das wesentlichste, um die schwierigsten Verhältnisse zu verstehn. Es ist vom historischen Standpunkt aus das wichtigste Gesetz." (MEW, Band 42, Grundrisse, S. 641).
Selbst wenn das Theorem des Falls der Profitrate als Lehrsatz kritisiert wird[1], wird auch wenigstens eine Katze, die sich in den Schwanz beißt, angeschrieben. Mehr Roboter bedeuten nicht automatisch mehr Profit als Rate.
Das heißt für alle Kapitalien gedacht, vergrößern mehr Roboter nicht unbedingt die Größe des Profits im Verhältnis von Mehrwert und eingesetztem Kapital, das als konstantes und variables Kapital eingesetzt wird, um diesen Mehrwert überhaupt zu erlangen.
Mehr Roboter bedeuten eventuell sogar den Fall der Rate des Profits. Gewinne können fallen. Dafür gibt es materielle Gründe in der Maschinerie selber, die nicht immer smooth wie Watson und traurig wie Marvin oder tödlich wie HAL ihren Dienst versieht – Motive, die
von IBM, in "Star Wars" und "Per Anhalter durch die Galaxis" und natürlich "2001: Odyssee im Weltraum" erstmal ganz weit draußen verarbeitet wurden. Es gibt aber auch ökonomische Gründe, und die wiegen nicht nur schwer, die sind der "Springpunkt" für den Fall der Profitrate.
Ökonomische Gründe und materielle sind dabei miteinander verknüpft. Bei steigendem Einsatz von Maschinen steigt, nach Marx, der Anteil des konstanten Kapitals (oben c genannt) in der Produktion von Neu-Wert des Dings genannt Ware. Der Anteil des variablen Kapitals,
die lebendige Arbeit geht im Produktionsprozess zurück. Hier geht es weniger um absolute Zahlen denn um eine Tendenz, die einem Muss entgegensteht. Das Muss aller Kapitalien ist, mehr Profit zu "machen", um im Konkurrenzkampf zu überleben.
Sinkt die Profitrate für eins dieser Kapitalien, hat diese Firma ein gegebenenfalls existenzielles Problem. Der Profit könnte an andere Kapitalien gehen. Doch, wird im Durchschnitt überall mehr konstantes Kapital eingesetzt, sinkt die Profitrate für alle Firmen zusammengenommen
insgesamt. Dieser tendenzielle Fall der Profitrate ist von Professor Michael Heinrich in Frage gestellt worden. Dafür wurde er in der Scientific Community von einigen kritisiert (siehe z.B. Andrew Kliman, Alan Freeman, Nick Potts, Alexey Gusev und Brendan Cooney
"The Unmaking of Marx’s Capital: Heinrich’s Attempt to Eliminate Marx’s Crisis Theory", mpra.ub.uni-muenchen.de/48535/1/MPRA_p…). Heinrich hat offensichtlich die Tendenz zu einem Gesetz der Voraussage machen wollen. Was wiederum einem gewissen Katechismus der sozialistischen Linken entspricht,
die diese Theorie zum Lehrsatz machte. Marx bezeichnet den tendenziellen Fall der Profitrate als Gesetz ("Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate", auch GTFP), aber dieses "Unumgängliche" als versteckter Grund für eine immer und jedenfalls ins Leere laufende
Kostenersparnis durch rechnergesteuerte Maschinen, ist nach Kliman und Freeman et al (siehe MPRA_paper_48535.pdf S. 14) eben kein Muss.
Nichts weniger als die organische Zusammensetzung des industriellen Kapitals steht hier in der Diskussion. Also der Einsatz von Produktivkraft aus Maschinen und lebendiger Arbeit. Elena Louisa Lange hat Marx hier zusammengefasst:
Das Kapital ist Akkumulation, "Akkumulation gerade aber verlangt Kostenersparnis und den Ersatz von lebendiger Arbeit, 'teuren Lohnkosten' durch 'billige Maschinerie' und produziert so zwingend weniger Mehrwert: ein Teufelskreis".
Einzuwenden ist hier, dass weniger Mehrwert nicht dazu führen muss, dass die Profitrate sinkt. Oder? Die interessante Stelle in Band 25 lautet: "Das Gesetz, daß der durch Entwicklung der Produktivkraft verursachte Fall der
Profitrate..." (Karl Marx-Friedrich Engels-Werke, Band 25, "Das Kapital", Bd. III, Dritter Abschnitt. Berlin/DDR: Dietz Verlag, 1983. S. 221-241. mlwerke.de/me/me25/me25_2…. Das Grab, das sich das Kapital da mit dem iRobot™ schaufelt muss als Tendenz, Dehnung, Ausdehnung,
Ziel, Bias, verstanden werden, der nicht zwingend zur Durchsetzung kommen muss. Es gibt keinen Possibility Drive, der in einem Possibility Generator, genannt kapitalistische Industrie, sitzt und Möglichkeiten zwingend duchsetzt, nur weil sie möglich sind.
Dem Buch hätte eine Kritik der transhumanistischen "Perspektive" gut getan. Felix Gnisa deutet die Subsumtion der Kommunikation bei Uber und Facebook aus, doch das nicht zu realisierende Ideal des Arbeiters, der Mensch als Roboter, bleibt außen vor. Dass mit einer Gestaltung
des Komplexes gesteigerter Produktivität aus Rationalisierung, fluiderer Digitalisierung, weiterer Automatisierung und weiterer Integration der Arbeitsprozesse seitens der Arbeiterinnen zu rechnen ist, ist mitunter nur der Traum der deutschen Gewerkschaften, die beinahe quer
durch die Bank eine nationale Agenda verfolgen. Prof. Dr. Daniel Bieber vom Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (ISO) sprach 2017 in Kassel vor sehr stummen Funktionären von Verdi, der IG-Metall und anderen über Uber und die "Disruption" und dabei ganz
offen von einem schlechten ausländischen und einem guten innländischen Kapital. Dass Disruption die altbekannte Zerstörung eines Kapitals durch ein anderes ist, will den pro-kapitalistischen Kompromißlern nicht in den Kopf, zumal nicht, wenn sie von Bundesministerien und
der Volkswagen-Stiftung finanziert werden. Sie müssen innländischen Klassenkompromiss. Sozialpartnerschaft und Sozialstaat und innländisches Kapital gegen die USA etc. verteidigen.
_________________________
[1] Rainer Fischbach stellt in dem Papier des AK Politische Philosophie Nürnberg (praxisphilosophie.de/lokales_forum_…) "Der tendenzielle Fall der Profitrate Naturgesetz der kapitalistischen Produktion oder retromarxistisches Phantom?" von 2012 in Frage,
ob "eine 'stets wachsende Masse Arbeitsmittel' tatsächlich 'ein konstantes Kapital von stets wachsendem Wertumfang' dar[stell]". Denn, so sagt er, mit "steigender Produktivität sinkt doch auch der Wert der Arbeitsmittel."
Butollo, Florian/Nuss, Sabine (Hrsg.). _Marx und die Roboter: Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit_. Berlin: Karl Dietz Verlag Berlin GmbH, 2019. 352 Seiten, Broschur. ISBN 978-3-320-02362-1. dietzberlin.de/Butollo-Nuss-H….
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