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Siedler von Catan ist, neben #Monopoly _das_ kapitalistische Brettspiel, zumindest im deutschsprachigen Raum. Ein Bestseller und "Spiel des Jahres" 1988 und folgende. Besonders die "Erweiterung Seefahrer" fordert ein Planspiel der Konkurrenz, des Austricksens, der Expansion
kolonialer Art im Gaming zu genießen. Es werden Länder entdeckt, Seerouten gemacht, Städte gebaut, Rohstoffe vernutzt und als Kapital für Kredite bei der Bank eingezahlt. Der Genuß des Gewinnens gegen die anderen liegt aber nicht "in" der Amygdala oder im psychologischen
Belohnungsprinzip. Er liegt zuforderst in der Abrufung genau der gefragten Verhältnisse und strukturellen Verläufe des Kapitalismus, die für sein Charakteristikum, die Akkumulation, kennzeichnend sind. Spielerinnen spielen für das Erreichen einer Punktzahl und nutzen dafür die
Schwächen der Mitspieler. Die höchsts Punktszahl gewinnt. Seefahrer "entdecken", wie das Kolumbus-Prinzip, bekannt aus seinem Logbuch, Land indem sie Schiffe bauen, also Produktionsmittel produzieren, und das Land, ressourcenreich oder Wüste, aus einem Stapel gezogen setzen.
Kolumbus' Prinzip, der Gesetzmäßigkeit des Kolonialisten, der er folgte war, ein Land quasi im Fahren zu machen. Er fuhr und benannte Inseln. Wenn hier die Linguistik der Postmoderne auf diesen Konstruktivismus hereinfällt, nimmt sie gewissermaßen das kantianische Spiel
mit dem Finger auf der Landkarte wieder auf. Die materiellen Bedingungen folgen dann auf die Nominierung und nicht umgekehrt. Selbstredend ist der Kolumbus in #SiedlervonCatan nicht auf diese Weise naiv frühaufklärerisch. Bis zum Land mit Gold, einem stehlbaren
Äquivalent für alle notwendigen Rohstoffe zum Weiterexpansieren, geht die Schiffsroute. Lediglich das Ideal des Piraten, der Räuber, bringt eine Marktbereinigung und Unmut in die fröhliche Runde. Fürs Gold kann der Merkantilismus, dem man Deutschlands Expansion
bescheinigt, immer wieder neu in Gang gebracht werden. Geld (Gold) scheint produktiv zu werden. "Siedler" basiert aber immer auf der Zuweisung von Land und Rohstoffen und Zivilisationsprozessen. Spätestens hier ist eine
Parallele zum Kulturbegriff und zum Zivilisationsbegriff gegeben. Eine Parallele, die auf Nationenbildung und die Relation Staat und Kapital hinweist. Zivilisierung und Kapital sind im Spiel "Siedler" nicht nur synonym. Sie sind
verschmolzen zum selben. Müde Theoretiker wie #KlausTheweleit, die Kulturtechnik als Motor hinter oder in der Subjektivierung betonen - mit Spinoza und seiner Natur gemacht von Menschen, mit Deleuzes Wurzeln - verkennen, wie dieser Beweger ökonomisch
aufgebaut ist. Siedler übt nicht ein, mit Siedler entlasten sich Spieler von ihrem täglichen Akkumulieren für Rente Auto Haus und Kinder in ein Historiendrama hinein. Sie "reenacten" die so genannte ursprüngliche Akkumulation (Marx), die für die globale kapitalistische Situation
nicht ganz vermittelt erscheint mit dem weiter laufenden Nationbuilding, dem Neokolonialismus, der Landnahme, mit dem, was Leninistinnen oder Luxemburgisten Imperialismus nennen würden?
Xaver Schulz
@threadreaderapp Das mit dem #Imperialismus und den Spielen ist mitunter nicht so einfach. Erstens ist der homo ludens begehrte Ware im Zeitalter der selbstoptimierten Wissensarbeit und zweitens ist das imperiale Stadium, siehe den nachträglichen Titel für Lenins bekannte Schrift*,
vielleicht revolvierend - will sagen, sich erneuernd. Ohne die Enderwartung (der Kapitalismus ende mit und im Stadium des Imperialismus), die bei einer bestimmten Interpretation von Lenins Imperialismusthesen den Subtext ausmacht, ist
die stetige Expansion mit dem Konsum der Naturstoffe immer noch Kapitalverhältnis (verkürzt: Mehrwert aus der Ware Arbeitskraft gewonnen zu Profit bzw. zu Kapital und Selbstverwertung des Werts) aber in Nationen gedacht. Im Siedler-Spiel wird so getan, als ginge es nur um
Expansion in der Geschichte. Die Expansion, die dort auf der Mehrarbeit für den Wert der Reproduktion der Arbeitskraft beruht, wenn es kapital-sinnig ist, und dort auf Sklavenarbeit beruht wo es Sinn macht, Menschen als ganze billiger zu
vernutzen, ohne sie zum Konsumenten zu machen, diese Expansion der Kapitalien weltweit wird in Karl Teubers Spiel in der Tat zu einer geschichtslosen Tischveranstaltung.
Dieser Spiel-Imperialismus lenkt ab vom entwickelten industriellen Kapital im Staat und von der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft, die Werte (Schiffe, Häuser, Strassen) erst herzustellen vermag, macht aber dennoch deutlich, wie ein
Weltmarkt im Gröbsten und als Grippenspiel aussehen kann.
Yelena Simc
* mlwerke.de/le/le22/le22_3… (Lenins Konzeption des Finanzkapitals als Supermonopol und der sterbende Kapitalismus als Ableitung aus einer "Kreditindustrie", wie aktuell gern bezeichnet, ist problematisch.)
Warum die Imperialismusendzeitdeskapitalismus problematisch ist: "Daß die Produktion unter den Bedingungen des Monopolismus sogar beschleunigt wachsen könne, wird von Lenin anerkannt. Allerdings steht
dies in gewissem Kontrast zu dem von Lenin zutreffend vermerkten Anwachsen der 'unproduktiven' Schichten der Gesellschaft und zu seiner allgemeinen Qualifizierung des
Imperialismus als eines Stadiums des 'faulenden' und sogar 'sterbenden' Kapitalismus, ökonomisch bleibt das System für Lenin jedenfalls höchst virulent." (trend.infopartisan.net/trd0202/t31020…) Warum die These vom Monopolkapitalismus problematisch ist: Konzentration wird immer wieder
aufgelöst und umgeschichtet. Facebook ist kein gutes Beispiel fürs Monopol, weil zwar Profite, aber keine Mehrwerte für Facebook zu verzeichnen sind. Mit der Blockkonfrontation ist Imperialismus als Kolonialismus nach 1989 zuende gegangen.
Monopole bestehen so total nicht. Der Softwaremarkt z.B. ist kein monopolistischer.
Xaver Schulz
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