My Authors
Read all threads
#DerMarktgerechteMensch
Der Film _Der Marktgerechte Mensch_ ist eine Phänomenologie[1] der Vereinzelung. Er wiederholt jetzt nicht nochmal Bilder der Lohnarbeit – Menschen gehen in die Fabrik, betrinken sich, schlagen ihre Kinder – und erläutert (Screenshot: sw, etwa Min. 44.)
die Ausbeutung ökonomisch. Er versucht die sozialen Folgen des "Spätkapitalismus"[2] aber dennoch mit einer These gleich zu Anfang zu grundieren, Gig Economy sei "neu". Die Stückgutlohnarbeit auf Zufruf und im direkten Verkauf der Ware Arbeitskraft ist im
"Systemzwang", die Arbeitskraft verkaufen zu müssen ein bekanntes Phänomen. Neu ist aber der "industrielle" Grad der Ausbeutung einzelner Arbeitskraftanbieter. Dabei geht es im Film nicht nur um die Auftragslohnarbeit ohne den Schutz staatlich geregelter "sozialer Netze".
Auch die Fabrik oder die Fabrik als soziale Welt wird gezeigt. Bilder der Arbeit sind hier im Wesentlichen Bilder der Iche, die sich optimiert wie eine Ware präsentieren würden, wobei der Modus des Arbeitskraftverkaufs zum Modus des Miteinander wird. Da führt der Film einen
Subjekt-Diskurs. Aber der Film ist auch eine Subjekte-Reportage. Selbstexpertinnen, Expertinnen kommen ohne Kommentar oder kritische Nachfrage zu Wort. Das Material, das hier selbst "sprechen" soll, ist getextet. Der Film zeigt zwar die Orte und die Meinungen, aber eröffnet
in seinem globalen Parkour nicht die Zusammenhänge. Er bleibt phänomenologisch.[3] Er behauptet mit seinem Material, oder zeigt er es?, der Kapitalismus sei nun Konsumkapitalismus[4] in dem der Mensch selbst die Ware sei.
Damit wird der Fokus, vergleichbar mit der Kapitalismuskritik der Frankfurter Schule, auf den Kommerz und die Waren, den Handel, die Zirkulation und die Realisierung des Tauschwerts der Ware gelegt.
Ein theoretischer Rückschritt. Der kommensurable Mensch und alle seine "Beziehungen" in Konsumform zerstörten die Liebe.[4] Das Wesen des Kapitalismus, so Adorno, sei der Tausch, und kann so die Herstellung der Subjekte in den Mittelpunkt rücken.
Kurz wird der Flexvertrag und die mit dem Lohn daraus unbezahlbare Miete, das Teilzeitgesetz der Regierung Schröder/Fischer erwähnt, die vor zwanzig Jahren auch in der BRD verspätet herangebrochene "neoliberale" Epoche. Das Selbst, das Ich, die Psyche, und dann der Schnitt auf
(antiamerikanisch) soetwas wie oder den Times Square. Im freigesetzten Subjekt kommt der Kapitalismus, das ist die Message von _Der Marktgerechte Mensch_, zu sich selbst. Das ist nicht gut. Über Geld, die Zirkulation, kann der Trend gestoppt werden. Gemeinwohlökonomie
transformiert alle Vereinzelten in "direkte Gewinne". Geld wird zum Medium des Tausch gleicher Werte. Kollektive arbeiten gemeinsam ohne Rendite. Lokale Betriebe erwirtschaften gegen großes Kapital. Dieses wird reguliert werden müssen.
Der Film ist ein Werbeclip vom ausgebeuteten Lieferando-Fahrer zur 99%-These[5], für NGOs und Kirchenperspektive, für Oxfam, die Verarmung und soziale Ungleichheit beklagen und das Wirtschaftssystem ändern wollen. Die per Ende Gelände direktes Handeln favourisieren, den Abläufen
direkt in den Arm fallen wollen. Die immer wieder aufgerufene Performance "1000 Gestalten", die während des G20 in Hamburg 2017 choreographisch das Zombiegrau in bunter Befreiung überwindet, deutet auf das Kernthema des Films hin: Die Befreiung des Subjekts
zur Solidarität – ohne Plan, ohne Machtverständnis, im Ichmodus, politisch bis in die veganen Haarspitzen.
[1] Phänomenologie ist die Beschreibung der sichtbaren und abstrakt noch nachvollziehbaren unsichtbaren Dynamiken ohne theoretischen Erklärungsansatz; siehe kernfilm.de/index.php/de/p….
[2] Mit Spätkapitalismus verbindet man eine bereits eingetretene Endphase der kapitalistischen Ökonomieentwicklung. Dies hat mit einem Rückgriff auf Hegel und der Vorstellung geschichtlicher Höhe- oder Endpunkte zu tun.
[3] Es bleibt phänomenologisch, d.h. beschreibend.
[4] Die linke prominente Intellektuelle Bini Adamczak hat sich kürzlich zur "emanzipierten Form der Liebe" privilegiert (im Theater) geäußert. Liebe scheint dann zum Topos zu werden, wenn die Relationen der Menschen in der Krise erkannt werden von denen, die wenig
konkret von brutalen Lohnarbeitsverhältnissen betroffen, das artikulieren können.
[5] 1% seien besitzend, 99% nicht. Diese Spielart des "Die da oben, wir hier unten" geht sofort auf Umverteilung des Reichtums, in Form von Geld.
(Korrektur bei den Screnshots: Der erste bei etwa 1:29:00 und der zweite bei ca. 00:51:53, beide sw.)
Yelena Simc
Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh.

Enjoying this thread?

Keep Current with WORKSHOP

Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

Twitter may remove this content at anytime, convert it as a PDF, save and print for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video

1) Follow Thread Reader App on Twitter so you can easily mention us!

2) Go to a Twitter thread (series of Tweets by the same owner) and mention us with a keyword "unroll" @threadreaderapp unroll

You can practice here first or read more on our help page!

Follow Us on Twitter!

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just three indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3.00/month or $30.00/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!