Homeschooling in Zeiten von Corona - ein Thread
Zunächst einmal kurz zu den Rahmenbedingungen, um meine Perspektive zu erklären: zwei Kinder 4. Klasse Grundschule und 6. Klasse Gymnasium. Beide Kinder gesund ohne Förderbedarf. Mein Mann und ich arbeiten derzeit Homeoffice, müssen aktuell keine Existenzängste haben.
Bundesland Hamburg
Beide Schulen sind sehr bemüht, haben Unterlagen geschickt, stehen mit Eltern und Kindern in Kontakt.
Beide Schulen sind sehr bemüht, haben Unterlagen geschickt, stehen mit Eltern und Kindern in Kontakt.
Die technischen Rahmenbedingungen sind so mittel. eduport - das Hamburger digitale Schulnetz - war überfordert. Aber mit Mails und Nachrichten ging alles.
Trotzdem, wir als Eltern müssen bei beiden Kindern viel machen: Sachen ausdrucken, mit Lehrerïnnen kommunizieren, Unterlagen vorbereiten, Tagespläne mit den Kindern erstellen, erklären, prüfen, zuhören, motivieren usw.
Das alles während mein Mann Vollzeit und ich fast Vollzeit weiterarbeite.
Ehrlich gesagt, empfinde ich die Aufgaben der Kinder als Hilfe. So haben wir alle tagsüber was zu tun. Aber nur weil es bei uns ganz ok klappt, sehe ich das nicht als Normfall. Und vor allem sehe ich wie ungerecht die aktuelle Situation ist.
Klar können die Kinder in der kuscheligen Situation zu Hause gut lernen aber davon ausgehen, dass das so gut klappt kann man nicht.
Wir erleben hier gerade eine zutiefst außergewöhnliche Situation. Unser Ansatz damit umzugehen ist eine sehr klare Struktur. Darein passt zufällig Schulunterricht. Andere Familien andere Kinder brauchen andere Strukturen.
Die Vorstellung, dass das was die Kinder während der Coronazeit machen (oder nicht machen) bewertet wird, finde ich ganz schrecklich.
Ein Glück wird das auch derzeit von beiden Schulen unserer Kinder so vermittelt.
Aber wenn ich die Diskussion dazu verfolge wird mir ganz mulmig. Vor allem verstehe ich nicht, wie man auf ein System pochen kann, das in die Luft fliegt sobald ein Virus auftaucht.
Aktuell ist der perfekte Zeitpunkt unser Gesellschaftssystem mal komplett zu hinterfragen.
Die Leute, die uns gerade den Arsch retten sind die die „Superleister“. Es sind Menschen, die im Pflegedienst, Supermarktmitarbeiter*innen usw. Natürlich auch Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen.
Kurzum, ich frage nicht die Frau an der Kasse, was für eine Note sind in Deutsch hatte, es ist mir egal ob die Ärztin den NC geschafft hat oder über Umwege an ihren Studienplatz kam.
Ich hoffe zudem, dass die Wissenschaftler eng zusammenarbeiten, um schnell einen Impfstoff zu finden und nicht gegeneinander.
Was ich sagen will, was wir alle gerade zum überleben brauchen ist Solidarität und Pragmatismus. Beides wird in der Schule kaum vermittelt.
Ich will nicht sagen, dass Schreiben, Lesen, die schönen Künste und eine gute Rhetorik irrelevant sind. Sie sind wunderbar, sie sind Kulturgüter und sie müssen gepflegt werden.
Aber für ein paar Wochen oder wenige Monate sollte es möglich sein, mal den bürgerlichen Bildungsbürgerfetisch abzulegen und sich bewusst zu machen, dass das auf was man sich so viel einbildet vollkommen irrelevant ist.
Nach dieser Einsicht kann im Grunde nur die logische Schlussfolgerung kommen, dass das was unsere Gesellschaft zusammenhält, nicht unsere persönliche Exzellenz ist, sondern die Solidarität untereinander.
Denn im künstlichen Koma mit einem Schlauch im Hals werden wir merken, dass unsere Abiturnote irrelevant ist.
In diesem Sinne, sollten wir die Homeschooling-Aufgaben als einen guten Zeitvertreib sehen und nicht als Fortführung des neoliberalen Leistungsprinzips, das uns gerade mächtig im Stich lässt.
